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Archiv Buchtipps

   ARiC Berlin empfahl bisher:

Holz, Steffi:
Alltägliche Ungewissheit : Erfahrungen von Frauen in Abschiebehaf
t / Steffi Holz. Mit Fotos von Leona Goldstein. – 1. Aufl. – Münster : Unrast-Verl., 2007. – 166 S. : 16 Farbfotos
ISBN 978-3-89771-468-7

Abschiebehaft sei ein ganz „normales Leben […] nur ohne Freiheit“ (S. 8) beschrieb ein ehemaliger stellvertretender Leiter des Abschiebungsgewahrsams Berlin-Köpenick die Situation der dort Inhaftierten. In Abschiebehaft kann jede Ausländerin und jeder Ausländer kommen, die bzw. der keinen gültigen Aufenthaltsstatus hat. Die Inhaftierung wird als Verwaltungsmaßnahme charakterisiert, „denn Abschiebehaft ist keine Strafhaft, sondern dient der Ausländerbehörde als vorbereitende Maßnahme für die erzwungene Ausreise aus der Bundesrepublik“ (S. 7)
Die Realität und Totalität dieses geschlossenen Systems, die von den Inhaftierten als eine extreme und bedrohliche Situation empfunden werden (S.7) macht die Autorin in ihrem Buch „Alltägliche Ungewissheit“ sichtbar.
Die Sozialwissenschaftlerin Steffi Holz, engagiert in der Berliner „Initiative gegen Abschiebehaft“, recherchierte zwischen 2003 und 2007 im Abschiebungsgewahrsam Berlin-Köpenick. Sie besuchte wiederholt inhaftierte Frauen und führte Interviews mit Entlassenen.
Sie sprach mit Mitarbeitern der Haftanstalt sowie mit einer Angestellten der Ausländerbehörde.
Aus der Perspektive von vier Frauen aus Liberia, Sri Lanka und der Ukraine zeichnet die Autorin den Gefängnisaufenthalt von der Ankunft bis zur Entlassung nach. Die Erinnerungen, Beschreibungen und Wertungen der Frauen bilden den Hauptteil des Buches.
Sie erleben den Abschiebegewahrsam als Ort der vollständigen Kontrolle und Überwachung, betrachten ihn aber auch mit seinen gewohnten Strukturen, seinen Regeln und Routinen (S. 132) als geordneten Alltag. Die alltägliche Ungewissheit sowie die fehlenden Informationen der Ausländerbehörde werden von ihnen als außerordentlich bedrückend empfunden. In dem Abschnitt „Selbsthilfe der Frauen“ (S. 91 ff) beschreibt die Autorin, wie die Inhaftierten trotz der schwierigen Haftsituation Umgangsstrategien entwickeln und sich Erlebnisse organisieren. Sie reflektieren „das System Abschiebehaft, das ihnen zerstörerisch erscheint und stellen es in seiner Wirkungsweise in Frage“. (S. 11) Alle vier Frauen, deren Erfahrungen diesem Buch zu Grunde liegen, wurden nicht abgeschoben, sondern entlassen.
Einführend erläutert Steffi Holz die rechtlichen Rahmenbedingungen der Abschiebehaft in Deutschland und beschreibt den Ort des Abschiebungsgewahrsam Berlin-Köpenick. Sie gibt ferner einen zahlenmäßigen Überblick von Haft, Entlassungen und Abschiebungen der letzten Jahre. „Die Zahl der Abschiebungen aus der Bundesrepublik ist aufgrund abnehmender Inhaftierungen seit Jahren rückläufig.“ (S. 18)
Im Anhang: ein Auszug aus dem „Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet“; Gesetze und Verordnungen über den Abschiebungsgewahrsam im Land Berlin. Mit Literaturverzeichnis.
Gisela Jonas

Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut : Befunde aus Deutschland, Österreich u. der Schweiz / Hrsg. Christoph Butterwegge; Gudrun Hentges. - Opladen & Farmington Hills : Verl. Barbara Budrich, 2008. - 306 S. ISBN 978-3-86649-071-0

Bestehen Zusammenhänge zwischen den Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien und ökonomischen Krisen bzw. deren sozialer Auswirkungen? Wie schaffen es Neonazis, an das Alltagsbewusstsein normaler Bürger anzuknüpfen, und welche Rolle spielen dabei der Umbau des Sozialstaats, die Auswüchse der Arbeitsmarktflexibilisierung sowie neue Formen von Armut und sozialer Ausgrenzung? Diesen und anderen Fragen geht in dem vorliegenden Band der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge gemeinsam mit seiner Kollegin Gudrun Hentges und 13 weiteren Autoren nach. Basis dafür war u. a. das von der EU-Kommission geförderte Forschungsprojekt SIREN ("Socio-economic change, individual reactions, and the appeal of the extreme right"). Es werden Forschungsergebnisse aus Untersuchungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vorgestellt.
Den Anfang macht die zweiteilige, sehr fundierte "Einleitung in den Diskussionsstand und theoretische Grundlegung": Zunächst widmet sich C. Butterwegge den Entwicklungen im globalisierten Kapitalismus und erkennt in dessen Auswüchsen wie rücksichtsloser Konkurrenzgesellschaft und sozialer Kälte einen adäquaten Nährboden für Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft. Er setzt sich mit dem Phänomen des Populismus von rechts wie links auseinander (wobei die verbalen Entgleisungen eines Oscar Lafontaine eine doch erstaunlich milde Relativierung erfahren) und diagnostiziert selbst bei Gewerkschaften einen bedenklichen Hang zum "Standortnationalismus", der sich gegen Arbeitnehmer nichtdeutscher Herkunft richtet. Im Anschluss beschäftigt sich SIREN-Koordinator Jörg Flecker mit der "populistischen Lücke", jenem Vakuum, das die etablierten Parteien angesichts der modernen sozialen Probleme vielen Menschen heutzutage bieten und das von Rechtspopulisten mit wachsendem Erfolg immer wieder erfolgreich genutzt wird. Es folgen die in vier Kapitel unterteilten empirischen Ergebnisse des europäischen Forschungsprojekts SIREN: "Potenziale politischer Subjektivität und Wege zur extremen Rechten" widmet sich den Ergebnissen, die beim Forschungsprojekt in qualitativen Interviews erhoben wurden. "Arbeitswelt, soziale Frage und Rechtspopulismus in Deutschland" zeigt anhand von Fallbeispielen Formen der Hinwendung zu rechtspopulistischem bzw. -radikalem Gedankengut auf; auffällig ist hier, dass sich die Anfälligkeit für solches keinesfalls nur bei den sozial benachteiligten "Modernisierungsverlierern" findet. In "Vorurteil und Berechnung. Sozioökonomischer Wandel und Varianten rechtspopulistischer Anziehung" wird am Beispiel Österreichs der Versuch einer Typologie zum Rechtspopulismus neigender Orientierungen unternommen. Dabei werden vier potentiell empfängliche Typen - Selbständige mit rechtskonservativer Gesinnung, Arbeitnehmer mit eigenen Abwertungserfahrungen, Arbeiter, die sich als Bestandteil einer "Gemeinschaft der Anständigen und Tüchtigen" sehen sowie prekär Beschäftigte - herausgearbeitet. Der folgende Beitrag "Von der Chemie der Arbeit zum Siegszug des Populismus" beschäftigt sich mit den Folgen der Restrukturierung der chemischen Industrie in der Schweizer Region Basel; dabei werden Einblicke in die Sichtweise der Menschen aufgezeigt, die durch Arbeitslosigkeit oder Umsetzungsmaßnahmen einschneidende Veränderungen in ihrer Existenz und ihrem eigenen Selbstverständnis erfahren haben. Den Abschluss bildet der in drei Kapitel unterteilte Teil "Arbeitswelt, Armut und soziale Exklusion": Zunächst wird in "Prekarisierung der Arbeit: Fördert sie einen neuen Autoritarismus?" deutlich, dass die fortschreitende Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse bei den Betroffenen neben sozialer Desintegration auch neue Disziplinierungstendenzen erzeugt, die nicht selten zu Ausgrenzungsthesen und rechtsradikalen Vorstellungen führen. In "Gewerkschaften und Rechtsextremismus. Ausgewählte Ergebnisse eines Forschungsprojekts" werden die beunruhigenden Befunde über ein nicht zu unterschätzendes rechtsextremes Einstellungspotential von Gewerkschaftsmitgliedern vorgestellt. Der letzte Beitrag berichtet über "(Selbst-) Ethnisierungsprozesse und Rassismus der Exklusion im Ausbildungsbetrieb". Darin wird die enorme Wichtigkeit aufgezeigt, Diskriminierungserfahrungen zur Sprache zu bringen und für eine nichtrassistische Bildungsarbeit im Sinne eines dialogischen Lernens plädiert.
Die Herausgeber haben mit diesem Sammelband ein ebenso interessantes wie wichtiges Stück Literatur zu einem brennenden aktuellen Problem der westlichen Industriegesellschaft vorgelegt. Rechtspopulistischen Ideologien müssen demokratische Alternativen entgegengesetzt werden, die nur dann erfolgreich sein können, wenn sie glaubhaft für eine menschenwürdige Gesellschaft eintreten, anstatt Egoismus und Rücksichtslosigkeit zu honorieren.
Im Anhang: Abkürzungsverzeichnis, Literaturauswahl, Informationen über die Autor/-innen.
Thomas Wagner

Laqueur, Walter:

Gesichter des Antisemitismus : von den Anfängen bis heute / Walter Laqueur. – Berlin : Propyläen Verl., 2008. – 246 S. – Aus dem Engl. übers.
ISBN 978-3-549-07336-0

Wenn auch gegenwärtig der Begriff des Antisemitismus nicht mehr so eindeutig ist wie früher und er einfach mangels eines anderen, genaueren benutzt wird, spricht nichts dafür, „dass das letzte Kapitel der langen Geschichte des Antisemitismus bereits geschrieben ist“ (S. 33), so das Fazit des international bekannten und angesehenen Historikers und Publizisten Walter Laqueur nach jahrzehntelanger wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und eigener Lebenserfahrung.
Der 1921 in Breslau geborene, 1938 nach Palästina emigrierte Autor gehört zu den letzten noch lebenden Angehörigen einer Generation, die Judenhass und Judenverfolgung in ihrer radikalsten Ausprägung selbst erlebt hat. In jeder Zeile dieses Buches spürt man, dass der Antisemitismus für Laqueur kein abstraktes Phänomen ist.
Dreißig Jahre lang war der lehrende Historiker Direktor der Wiener Library in London, einer führenden Einrichtung auf dem Gebiet der Antisemitismusforschung. In seinem historischen Essay „Gesichter des Antisemitismus“ konnte er sich auf das ganze Spektrum vorliegender Forschungsergebnisse und Diskussionen zu Motivation, Charakter und Gestalt des Antisemitismus stützen und sie in seine Überlegungen einbeziehen. In elf Kapiteln auf nur knapp 250 Seiten umreißt er Grundzüge der weltweiten Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis heute. Vor allem geht es ihm dabei um den heutigen Charakter des Antisemitismus und seine mögliche Entwicklung in der Zukunft. Es lag nicht in der Absicht des Autors, eine umfassende Theorie des Antisemitismus vorzulegen. Auch auf polemische Auseinandersetzungen lässt er sich nicht ein.
Aus gutem Grund widmet sich Laqueur in mehreren Abschnitten antisemitischen Positionen und Tendenzen nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa, in den USA sowie in der arabischen und islamischen Welt, denn immer noch wird die Debatte heftig darüber geführt, ob und in welchem Ausmaß der heutige Antisemitismus in demjenigen der Vergangenheit wurzelt. In diesem Zusammenhang lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers auf den historischen Umstand, dass es nach 1945 neben den weiter bestehenden traditionellen antisemitischen Feindbildern wesentlich neue Elemente und Trägerschaften gab. Dazu gehören die Leugnung des Holocausts, die ausgeprägt antizionistische Variante und die „Islamisierung des Antisemitismus“ (S. 228).
Die Frage, ob es einen neuen Antisemitismus gibt, „läuft letzten Endes auf das Problem hinaus, ob Antisemitismus und Antizionismus völlig verschiedene Erscheinungen sind oder ob Antizionismus unter gewissen Umständen in Antisemitismus umschlagen kann. Leider gibt es keine klare Trennlinie:“ (S. 17-18)
Von besonderem Interesse für die aktuelle Diskussion in Bezug auf den „Neuen oder post-rassistischen Antisemitismus“ (S. 211) dürften die Kapitel „Die Linke und der Antisemitismus“ und „Islamischer und arabischer Antisemitismus“ sein.
Angesichts des auch in Deutschland oft nicht angemessenen Umgangs mit dem Thema besitzt das schmale Buch große politische Bedeutung. Multiplikatoren wie Mitarbeiter aus NGOs und Netzwerken, Lehrer, Referenten, Sozialarbeiter und andere Interessierte könnten damit ihr Wissen zum Thema Antisemitismus vertiefen.
Bibliografie und Personenregister.
M. Jonzeck

Rechtsextremismus in Brandenburg : Handbuch für Analyse, Prävention u. Intervention / Hrsg. Julius H. Schoeps; Gideon Botsch; Christoph Kopke; Lars Rensmann. – 2. Aufl. – Berlin : Verl. für Berlin-Brandenburg, 2007. – 455 S.
ISBN 978-3-86650-640-4

1990 wurde im brandenburgischen Eberswalde der Angolaner Amadeu Antonio Kiowa von einer ca. 50-köpfigen Gruppe Neonazis ins Koma geprügelt, aus dem er nicht mehr erwachte. An diesen Vorfall, der als erster fremdenfeindlicher Mord im wiedervereinigten Deutschland traurige Berühmtheit erlangte, erinnern die Herausgeber des vorliegenden Bandes in ihrem Einführungstext. Dieser Mord blieb leider kein Einzelfall. Von den obligatorischen Treffen und martialischen Aufmärschen neonazistischer Gruppierungen über volksverhetzende Publikationen und Schmierereien bis hin zu brutalsten gewalttätigen Übergriffen reicht bis zum heutigen Tag die Palette rechtsextremer Vorfälle in Brandenburg. Die konsequente Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus müsse "mehr denn je zentrale Aufgabe von Staat und Zivilgesellschaft" sein, schreibt Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm in seinem Geleitwort; tatsächlich begannen Brandenburger Regierungsinstitutionen sowie staatliche Initiativen und NGOs auch schon früh, diesen faschistischen Umtrieben eigene Aktivitäten entgegenzusetzen.
„Rechtsextremismus in Brandenburg“ enthält über 40 Einzelbeiträge von über 50 Autoren unterschiedlicher politischer Richtungen und Professionen. Die Bandbreite reicht dabei von wissenschaftlichen Analysen zu rechtsextremen Potenzialen bis hin zu Schilderungen von Problemstellungen und Handlungsalternativen aus der Sicht verschiedener, überwiegend im Land Brandenburg aktiver Akteure staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen.
Der Sammelband ist in vier Hauptteile gegliedert: „Analysen zum Rechtsextremismus in Brandenburg“ befasst sich u. a. mit Definitionen und Erscheinungsformen des Rechtsextremismus sowie dessen Milieus, untersucht rechtsextreme Einstellungen und Trends in Brandenburg und bietet einen Überblick über die entsprechenden Organisationen seit 1990. Darin wird deutlich, dass allen Verharmlosungen zum Trotz dringender Handlungsbedarf besteht, denn das rechtsextreme Einstellungspotenzial in Brandenburg ist zwischen 1998 und 2004 von 19% auf 33% angewachsen. Untersucht werden ferner die rechtsextremen Mobilisierungsversuche in Jugend- und Musikszenen und die Codierung rechtsextremer Symbole und Kleidung im öffentlichen Raum. Teil 2 – „Prävention und Intervention: Staat, Gesellschaft und Pädagogik im toleranten Brandenburg“ – stellt Chancen, Strategien und  Aktionsbündnisse gegen Rechtsextremismus vor. Im folgenden Teil „Staat und Recht“ werden die staatlichen bzw. juristischen Möglichkeiten zur Prävention und Intervention diskutiert, u. a. auch die Frage eines NPD-Verbots, dessen tatsächlicher Nutzen unter Experten nach wie vor umstritten ist. Der Teil „Kommune und Gesellschaft“ enthält u. a. einen interessanten Erfahrungsbericht mit NPD-Mandatsträgern aus dem Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern, widmet sich kommunalen Handlungsstrategien, der Förderung von Zivilcourage in Schule und Jugendarbeit, Projekten im Sportbereich und journalistischen Erfahrungen im Umgang mit der NPD. Der abschließende 4. Teil „Erziehung und Bildung“ legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf die Möglichkeiten pädagogischer Arbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus, dabei werden auch Themen wie Gewaltprävention an Schulen, Konzepte für die Arbeitswelt und die Chancen und Grenzen historisch-politischer Bildungsarbeit in KZ-Gedenkstätten berücksichtigt. Erwähnenswert ist dann auch noch der mit fast 70 Seiten sehr umfangreich ausgefallene Serviceteil, der zahlreiche Institutionen und Initiativen sowie wichtige Internetseiten vorstellt. Ein Autorenverzeichnis schließt den Band ab.
Thomas Wagner

Kleijwegt, Margalith:
„Schaut endlich hin!“ : wie Gewalt entsteht – Bericht aus der Welt junger Immigranten / Margalith Kleijwegt. Aus d. Niederländ. von Rosemarie Still. Mit e. Nachw. von Christine Henry-Huthmacher. – 1. Aufl. – Freiburg i. Breisgau : Herder Verl., 2008. – 189 S.
ISBN 978-3-451-29823-3

Die niederländische Journalistin Margalith Kleijwegt beschäftigt sich in ihrer Arbeit vor allem mit den wachsenden Problemen der multikulturellen Gesellschaft. Von 2003 bis 2004 recherchierte sie im Stadtteil Slotervaart in Amsterdam West, jenem Migrantenviertel, dem auch Mohammed Bouyeri, der Mörder des Filmemachers Theo van Gogh, entstammte.
Kleijwegt begab sich dort ins Calvijn met Junior College, einem sogenannten „schwarzen“ Oberstufenzentrum, an dem Schüler mit Migrationshintergrund – die meisten marokkanischer, türkischer oder surinamischer Herkunft - mit über 90% die Majorität bilden. Ein Jahr lang begleitete sie eine Schulklasse mit 13- bis 14jährigen Jugendlichen, in der sich gerade eine einzige niederländische Schülerin befand. Die Autorin führte nicht nur mit den Schülern intensive Gespräche, sie besuchte – sofern es sich ermöglichen ließ – auch deren Familien, sprach mit Eltern, Geschwistern, Großeltern und konnte in ihrem Buch so ein realistisches Bild abseits der gängigen Vorurteile, aber auch jenseits weltfremder Multikultiromantik zeichnen. Diese Realität ist ernüchternd und Kleijwegts Report führt die jahrelangen Versäumnisse einer verfehlten Integrationspolitik vor Augen. Die Jugendlichen, konfrontiert mit dem trostlosen Alltag an einer „schwarzen“ Schule und der damit einhergehenden Perspektivlosigkeit für ihr späteres Leben, empfinden sich als Bürger zweiter Klasse, als Bewohner einer abgeschotteten Parallelwelt; viele flüchten sich in Resignation, manche in Drogen, andere fallen durch Gewalttätigkeiten auf. Und je mehr der Weg aus dieser Parallelwelt hinaus verbaut wird, um so stärker identifizieren sich viele der Befragten mit diesem Zustand, was zwangsläufig zu einer fortschreitenden Ablehnung der „normalen“ niederländischen Gesellschaft führt. Die Eltern erscheinen meist hoffnungslos überfordert: Viele von ihnen beherrschen die niederländische Sprache nur unzureichend, befinden sich in prekären Arbeitsverhältnissen oder sind arbeitslos. Die Probleme ihrer Kinder wollen sie oftmals nicht wahrhaben, flüchten sich stattdessen in ein häusliches Scheinidyll und unrealistische materielle Träume. Auch sie empfinden sich als Heimatlose und natürlich hat fast jeder der Befragten schon Erfahrungen mit alltäglicher Diskriminierung gemacht - so auch einige Familien, die dieses Ghettodasein gern gegen ein Leben in einer anderen Wohngegend eintauschen würden und sich für ihre Kinder bessere Schulen wünschen. Die Rolle des Islams sieht Margalith Kleijwegt in diesem Kontext kritisch. Zwar stellt dieser für viele eingewanderte Muslime durchaus eine Stütze dar und das Beispiel eines Jugendlichen, der in einem islamischen Internat untergebracht wurde, zeigt, dass sich dessen schulische Leistungen in der Folge stark verbesserten. Doch zugleich werden die Heranwachsenden nicht selten unter dem Deckmantel der Religion mit fundamentalistischen Ideologien, antisemitischer Hetze und Verachtung für westliche Werte und Lebensart infiltriert. Dabei ist vor allem auch die Rolle arabischer Satellitensender wie z. B. Iqra TV nicht zu unterschätzen. Nach dem Mord an Theo van Gogh im November 2004 reagieren die meisten Schüler auf diese Tat mit Verständnis bis hin zu offener Zustimmung. Dies ist erschütternd und keinesfalls zu verharmlosen, anhand der vorab geschilderten Fakten jedoch nicht wirklich überraschend.
In einigen Rezensionen ist Margalith Kleijwegt dafür kritisiert worden, dass sie keine neuen  Lösungsvorschläge bietet und stattdessen einfach nur für mehr Aktivität und  Verantwortungsbereitschaft von allen Seiten plädiert – aber ist das so verkehrt? Über das Scheitern und Gelingen von Integration sind inzwischen Berge von Büchern geschrieben worden, von denen viele die Problematik nur von einer abgehobenen akademischen Warte betrachten. „Schaut endlich hin!“ zeigt die Wirklichkeit, unangenehm und oft auch schmerzhaft, dabei aber nie denunzierend oder einseitig wertend und dementsprechend fällt auch das Schlusswort der Autorin aus: „Kräfte bündeln und die Probleme praktisch angehen. Daran glaube ich mehr als an die x-te Problemstudie oder an das x-te Sozialprojekt für Immigrantinnen oder für entgleiste Jugendliche.“
Thomas Wagner

Köppel, Petra:
Konflikte und Synergien in multikulturellen Teams : virtuelle und face-to-face-Kooperation
/ Petra Köppel. Mit e. Geleitw. von Dieter Wagner. – 1. Aufl. – Wiesbaden : Universitäts-Verl., 2007. – 355 S. : 39 Abb.; 29 Tab. – (Gabler Edition Wissenschaft : Beiträge zum Diversity-Management)
ISBN 978-3-8350-0873-1

Längst ist bekannt, dass aufgrund der Globalisierung die Märkte immer enger zusammenwachsen und Unternehmen international agieren. Selbstverständlich erscheint es da, dass Führungskräfte und Mitarbeiter aus der ganzen Welt in virtuellen Teams zusammenarbeiten, gemeinsam Ideen entwickeln und Probleme lösen. Doch scheinen Konflikte in multikulturellen Arbeitsgruppen aufgrund von Kommunikationsproblemen, unterschiedlichen Arbeitsstilen und kulturspezifischen Verhaltensweisen vorhersehbar. Nun könnte man dazu übergehen, Kultur als ein ungewünschtes, bisweilen sogar störendes Element zu betrachten, welches es nach Möglichkeit zu vermeiden gelte.
Doch genau diesem Standpunkt versucht Petra Köppel mit ihrer Dissertation entgegenzuwirken. Anhand empirischer Forschung in sechs deutschen und schweizerischen Unternehmen entwickelt sie ein Modell, welches die einzelnen konfliktanfälligen Momente in multikulturellen Arbeitsgruppen aufdeckt. Mit Hilfe des so genannten Multikulturellen Input-Prozess-Output-Modells (MIPO-Modell) werden jene Prozesse untersucht, durch die Kultur und virtuelle Kooperation die Gruppeneffektivität erhöhen oder beeinträchtigen. Das Ergebnis zeigt deutlich, dass trotz interkulturellen Trainings sowohl Teammitglieder als auch Führungskräfte nicht ausreichend auf die neuen Anforderungen vorbereitet sind. Besonders in den Bereichen Kommunikation, Führungs- und Arbeitsstil und Konfliktbewältigung kommt es immer wieder zu Spannungen. Anhand von Beispielen aus den während ihrer Forschung geführten Interviews veranschaulicht Köppel das Problem: So verstehen Deutsche in der Regel indirekte Aussagen falsch, sie erwarten von ihrem Gegenüber klare Antworten. Gerade im asiatischen Raum werden viele Botschaften jedoch in Höflichkeitsformen verpackt oder durch Andeutungen übermittelt. Permanentes Nachhaken wird schnell als persönlicher Angriff gewertet.
Häufen sich solche Konflikte, mindert sich die Effizienz der Leistung: Informationen gehen verloren, Missverständnisse entstehen, und die Aufgaben werden nicht zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt. Für den Mitarbeiter bedeutet dies Stress, womöglich sogar persönliche Kränkung und Frustration.
Nach Köppel ist daher eine intensivere Förderung der interkulturellen Kompetenz und eine ständige Begleitung bei der Teamentwicklung notwendig. Nur so können Konflikte im Ansatz erkannt und adäquat gelöst werden.
Ganz im Sinne der Value-of-diversity-Hypothese soll so eine gemeinsame Basis geschaffen werden, auf der die kulturellen, fachlichen und persönlichen Unterschiede der Mitarbeiter konstruktiv genutzt werden können. Kultur stellt hier nicht ein Hindernis, sondern einen Vorteil dar. Die unterschiedlichen Herangehensweisen und kulturspezifischen Problemlösungsansätze lassen etwas Neues entstehen; Mittels erhöhter Kreativität und Motivation können sich die Mitglieder multikultureller Teams gegenseitig zu innovativen Ideen inspirieren. Kulturelle Unterschiede werden so zu einer Chance für Unternehmen, die von einer globalisierten Welt profitieren wollen.
Mit dieser Studie füllt Petra Köppel nicht nur eine Lücke in der wissenschaftlichen Forschungsliteratur, sondern sie dient auch Mitarbeitern in multikulturellen Teams als wichtige Informationsquelle. Neben der Vermittlung von wissenschaftlichen Theorien gelingt es ihr besonders mit Beispielen aus der empirischen Untersuchung, den Leser für die zugrunde liegenden Prozesse in virtuellen multikulturellen Teams zu sensibilisieren.
Dr. Petra Köppel ist Projektmanagerin im Kompetenzzentrum Unternehmenskultur / Führung der Bertelsmann Stiftung und Mitautorin der Studie "Cultural Diversity Management in Deutschland hinkt hinterher". Umfangreiches Literaturverzeichnis (40 S.).
Friederike Faust

Waldbauer, Peter:
Lexikon der antisemitischen Klischees : antijüdische Vorurteile und ihre historische Entstehung
/ Peter Waldbauer. – 1. Aufl. – Murnau a. Staffelsee : Mankau Verl., 2007. – 193 S.
ISBN 978-3-938396-07-0

Brumlik, Micha:
Judentum : die wichtigsten Antworten
/ Micha Brumlik. – Orig.-Ausg.. – Freiburg im Breisgau [u.a.] : Herder, 2007. – 127 S. – (Herder spektrum; 5796 : Was stimmt?)
ISBN 978-3-451-05796-0 Klischees und Vorurteile über Juden, „im schlimmsten Fall verursacht durch Fremdenfeindlichkeit, im günstigsten Fall resultierend aus der Bequemlichkeit des unreflektierten Nachplapperns“ (Waldbauer, S. 9), sind weit verbreitet. Mittels Wort, Bild und Schrift werden sie transportiert und reproduziert.
Bildbeispiele solcher Art konnten in der vor kurzem zu Ende gegangenen Sonderausstellung des Jüdischen Museums unter dem Titel „typisch! Klischees von Juden und Anderen“ in Augenschein genommen werden.
Zwei Autoren haben sich ebenfalls dieser nicht immer bequemen Thematik in aufklärender Absicht angenommen: der einige Jahre u.a. als freier Börsenspekulant in Amerika tätige Peter Waldbauer (geb. 1966), Schüler und Wegbegleiter des 1999 verstorbenen Börsen-Altmeisters André Kostolany sowie der bekannte Publizist und Wissenschaftler Micha Brumlik (geb. 1947), langjähriger Direktor des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main. Beide untersuchen und erklären in jeweils spezifischer Weise die historischen, politischen, religiösen und kulturellen Gründe und Umstände, die zu diskriminierenden Vorurteilen geführt haben.

In seinem „Lexikon der antisemitischen Klischees“ kleidet Peter Waldbauer gängige Vorurteile und Zuschreibungen vermeintlicher Eigenheiten von Juden in Fragen, dokumentiert und widerlegt sie zugleich. Jeder kennt Beispiele wie die folgenden: „Gehören den Juden alle Banken?“ – „Gibt es eine ,internationale jüdische Hochfinanz’?“ – „Sind Juden intelligenter als Nichtjuden?“ – „Haben die Juden Jesus gekreuzigt?“ – „Sind die Juden das auserwählte Volk?“ – „Ist Jiddisch eine Gaunersprache?“ – „Wird die Weltmacht USA von den Juden beherrscht?“ Nicht alle der hier lexikalisch aufbereiteten und zu Themenkomplexen zusammengefassten Fragen sind antisemitischen Ursprungs. Manche Antworten des Autors beziehen sich deshalb auf durchaus reale Sachverhalte, z.B.: „Warum tragen so viele Juden phantasievolle Namen?“ – „Ist der Talmud die ,jüdische Bibel’?“ – „Wie entstand das Hofjudentum?“ – „Sind Juden, die nicht in Israel geboren werden, israelische Staatsbürger?“ Wissensvermittlung steht im Vordergrund dieses insgesamt leicht zugänglichen Buches. Anhang: Verzeichnis aller Fragen; Literaturverzeichnis.

Behandelt Peter Waldbauer nur in einem Kapitel seines Buches landläufige Vorurteile christlicher Antisemiten (S. 35) wie die kolportierten Ritualmord-Lügen, geht es in Micha Brumliks kundiger Einführung in die geistigen Grundlagen des Judentums (s. oben) ausschließlich um die Auseinandersetzung mit Deutungen und Vorwürfen des christlichen Antijudaismus vor dem Hintergrund der „Unheilsgeschichte abendländischen Judenhasses.“
(S. 8)
Ausgangspunkt dieses zum einfachen Nachschlagen weniger geeigneten Buches: Das Judentum in seiner „Einheit von Religion, Volk, Kultur und auch Staatlichkeit“ (S. 40) sieht sich im theologischen und öffentlichen Diskurs nach wie vor mit Vorurteilen konfrontiert.
So gilt es u.a. als eine „Religion des Gesetzes“, „Religion der Rache“ und als „Religion der Anmaßung“.
Brumlik verdeutlicht an religionsgeschichtlichen Entwicklungslinien, wie es zu den folgeschweren Pauschalurteilen und Missverständnissen im Verhältnis von Christentum und Judentum kommen konnte.
Beispiele religiöser Vorurteile bündelt er zu drei übersichtlich gegliederten Themenkomplexen: Grenzlinien einer Religion; Der Mensch und Gott; Religion und Gesellschaft. Religiöse Begriffe, Namen und Zitate (Halacha, Jom Kippur, Zeloten, Mischna, Nidda, Moses Maimonides ...) werden zum besseren Verständnis an den Texträndern kurz erklärt und grafisch hervorgehoben.
Anhang: Chronologie, Glossar, Verzeichnis ausgewählter Literatur.
M. Jonzeck

Naef, Silvia:
Bilder und Bilderverbot im Islam : vom Koran bis zum Karikaturenstreit
/ Silvia Naef. Aus d. Franz. von Christiane Seiler. - München : Beck, 2007. - 160 S.: zahlr. Abb. - Einheitssacht.: Y a-t-il une "question de l'image" en Islam?
ISBN 978-3-406-44816-4

Die Islamwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Silva Naef weist auf folgendes Paradox hin: Im Islam herrscht ein Bilderverbot, während die muslimische Welt tatsächlich von Bildern überflutet ist. Sie beschreibt den Platz des Bildes im Islam im Lauf der Zeit, seine Verurteilung in der Religion und seine Rolle in der Kunst. Am Ende des Buches zieht sie ein überraschendes Fazit zu diesem angeblichen Bilderverbot.
Hinsichtlich der Religion verbieten Koran und Hadithe nicht Bilder im Allgemeinen, sondern weisen auf deren Grenzen hin. Obwohl die muslimischen Gelehrten schon in der Anfangszeit des Islam unterschiedliche Interpretationen der heiligen Schriften hatten, einigten sie sich darauf, erstens Darstellungen von Menschen und Tieren sowie dreidimensionale Bilder in Gebetsräumen zu verbieten, damit sie nicht als Kultgegenstand betrachtet würden. Damit wollten sie eine mögliche Rückkehr des Polytheismus verhindern. Zweitens wird der künstlerische Schöpfungsakt verurteilt, weil er darin bestehe, Gott - den einzigen Schöpfer - zu imitieren und sich so mit ihm zu messen. Drittens gilt das Bild als
Luxusgegenstand. Sein Besitz beweise also Eitelkeit.
Hinsichtlich der Kunstgeschichte ist die Frage sehr komplex, und es gibt - je nach Epoche und geographischem Gebiet - verschiedene Betrachtungsweisen. Aus der faktischen Bilderlosigkeit, die den Sitten und Gebräuchen der meisten Regionen entsprach, in denen sich der Islam entwickelte, hat sich später eine Theorie der Bilderfeindlichkeit ergeben. Das Bilderverbot ist also nicht die Ursache der Bilderlosigkeit, sondern ihre Rechtfertigung. Figürliche Darstellungen wurden oft als Dekoration in Palästen verwendet und haben auch dazu beigetragen, den Islam in christlichen Gebieten durchzusetzen. Solche Bilder befanden sich oft auch als Muster oder Ornament auf Alltagsgegenständen.
Außerdem entfaltete sich zwischen dem 13. und dem 19. Jahrhundert in Persien die Kunst der Miniaturen. War sie anfangs anonym und wurde lediglich zur Illustration sagenhafter Erzählungen oder wissenschaftlicher Arbeiten verwendet, rückte sie später durch Porträts oder durch die Darstellung historischer Ereignisse immer näher an die Wirklichkeit. Diese Künstler bekamen allmählich individuelle Anerkennung. Jedoch schmückte ihre Kunst nie religiöse Räume, in diesen blieb die Kunst der Kalligraphie vorherrschend.
Ab dem 19. Jahrhundert wurden dagegen islamische Künstler wesentlich von der westlichen Kunst  beeinflusst. Dies geschah vor allem durch das immer populärer werdende Genre der Porträtmalerei sowie der massenhaften Verbreitung neuer Bildformen wie Fotografie, Lithografie und später durch den Filmen. Auch das Entstehen von Denkmälern ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Diese Eroberung sowohl in der Quantität als auch in der Qualität hat zur Verbreitung zweier geistiger Strömungen im Islam geführt: einer der Wirklichkeit nahen Neuinterpretation der heiligen Texte einerseits sowie einer Rückkehr zu den strengen islamischen Traditionen andererseits. Im Allgemeinen waren die Bilder in privaten Räumen akzeptiert, während sie für heilige Orte abgelehnt wurden.
Die Autorin erklärt im abschließenden Kapitel ihre eigene Haltung zu diesem vorgeblich islamischen Bilderverbot. Die westliche Welt nehme fälschlicherweise das Bilderverbot als Rechtfertigung für die islamische Verurteilung figürlicher Bilder. Am Beispiel der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen sei zu erkennen, dass die Reaktionen das eigentliche Problem vereinfachen würden. Die von den Bildern ausgehende Botschaft sei wichtiger als das Bild an sich. Der Kampf des Islam gegen Bilder sei tatsächlich ein Kampf gegen Ideen. Die Autorin fragt sich zuletzt, ob das Bilderverbot nicht eine rein westliche Erfindung sei.
Mit Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Personenregister.
Géraldine Gay

Migranten in Deutschland : Statistiken – Fakten – Diskurse / Hrsg. Helena Flam; Forschungsteam: Björn Carius; Beate Dietrich; Ulrike Froböse; Jochen Kleres u. Axel Philipps. – Konstanz : UVK Verl.-Ges., 2007. – 321 S. : Tab.
ISBN 978-3-89669-672-4

Leipziger Forscher unter Leitung von Helena Flam, Professorin für Soziologie, unterziehen Ergebnisse der bisherigen deutschen Migrationsforschung einer kritischen Analyse.
Der Perspektive der Mainstream-Soziologie zu Migranten und Schule sowie zu Migranten und Arbeitsmarkt stellen sie ihre eigenen Forschungsergebnisse im Rahmen des international vergleichenden EU-Projektes XENOPHOB gegenüber.
Die Autoren führen das bisher verstreut vorliegende empirische Material zusammen, ergänzen es durch Experteninterviews und bewerten es neu. Die Interviews wurden in Augsburg, Berlin und Leipzig mit Lehrkräften sowie Mitarbeitern aus Arbeitsämtern und Betrieben geführt.
Dabei wurde deutlich, dass man in den Bereichen Schule, Ämter und Betrieb „von der prinzipiellen Überlegenheit der Deutschen, ihrer Sprache und Kultur bzw. Qualifikationen und Arbeitserfahrung ausgeht, jedoch die Kategorie ,Ausländer’ je unterschiedlich“ (S. 205) auslegt.
Entgegen gängigen sozialwissenschaftlichen Theorien, die die Migrantenkinder und ihre Eltern als defizitär definieren (S. 8) und „die ,ethnische Ungleichheit’ auf dem Arbeitsmarkt durch die unterschiedliche Ausstattung mit Humankapital“ (S. 118) erklären, sehen die Leipziger Wissenschaftler die Ursachen für die Diskriminierung der Migranten bereits in den vorgegebenen gesetzlichen Regelungen und institutionellen Rahmenbedingen. Diese bestimmen letztendlich für die Migranten den Übergang in die weiterführenden Schulen und den Zugang zum Arbeitsmarkt.
Warum die Zugewanderten und ihre Nachkommen in Deutschland noch immer „in (alltags-) rassistisch diskriminierender … Weise“ (S.205) behandelt werden, versuchen die Autoren abschließend in ergänzenden Erklärungsansätzen zu begründen. Dabei richten sie ihren Blick auf die deutsche Geschichte und ihre Debatten um Nation, Staat und Staatsbürgerschaft sowie Einwanderung.
Einstellungen der deutschen Bevölkerung zu „Ausländern“ untersuchen die Wissenschaftler anhand von ALLBUS-Daten (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften).
Erstmals werden die migrationspolitischen Grundsätze in den Programmen der Volksparteien SPD und CDU/CSU sowie der rechtsextremen NPD für den Zeitraum zwischen 1965 und 2005 (S. 32) analysiert.
Diese wissenschaftlich detaillierte Untersuchung vermittelt neue Impulse für migrationspolitisches Handeln.
Mit Tabelle: Sieben Phasen der Einwanderung in die BRD, umfangreiches Literaturverzeichnis und Sachregister.
Gisela Jonas

Martin, Noël E.:
Nenn es: mein Leben : eine Autobiografie
/ Noël E. Martin ; aufgezeichnet von Robin Vandenberg Herrnfeld. – Orginalausg. - 1. Aufl. – Karlsruhe : Loeper Literaturverl., 2007. – 250 S.; Abb.
ISBN 978-3-86059-332-5 Am 16. Juni 1996 wurde Noël Martin, britischer Staatsbürger jamaikanischer Herkunft, im brandenburgischen Mahlow von jugendlichen Neonazis attackiert. Beim Versuch den Angreifern in seinem Auto zu entkommen, verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug und prallte gegen einen Baum. Seitdem ist Martin vom Hals abwärts querschnittsgelähmt, sein bisheriges Leben für immer zerstört.
In der von seiner deutschen Vertrauten Robin Vandenberg Herrnfeld aufgezeichneten Autobiografie „Nenn es: mein Leben“ erzählt Martin seine Geschichte: 1959 geboren erlebt er eine von Armut geprägte, aber dennoch glückliche Kindheit bei seiner Patentante in Jamaika. Im Sommer 1969 holt ihn seine Mutter nach England, das der Junge sich als das „gelobte Land“ vorstellt. Doch die Wirklichkeit ist ernüchternd. In Birmingham lebt die fünfköpfige Familie in einer schäbigen Zweizimmerwohnung; Monotonie, häusliche Gewalt und erste Erfahrungen mit weißem Rassismus prägen die ersten Jahre dort, die Martin später als die schlimmsten seines Lebens bezeichnen wird. Ein von Vorurteilen und Gleichgültigkeit geprägtes Erziehungssystem macht es dem Heranwachsenden unmöglich, eine seinen Fähigkeiten entsprechende Schulbildung zu erlangen. Immer wieder wird er mit ungerechter Behandlung, auch mit offenem Rassismus konfrontiert, er wehrt sich, begehrt auf, wird mehrmals vom Unterricht suspendiert und schließlich der Schule verwiesen. In der Rastasubkultur des Reggae findet der Jugendliche zunächst so etwas wie eine kulturelle Identität, zugleich wird er wiederholt das Opfer grundloser, unverhohlen rassistisch motivierter Polizeischikanen. Doch Noël Martin lässt sich nicht unterkriegen, er bewahrt sich einen erfrischenden Humor, gewinnt aus seinen Erfahrungen ein gesundes Selbstbewusstsein und eine souveräne Stärke, die es ihm mit viel Fleiß ermöglicht, sich eine eigene Existenz aufzubauen. In der weißen Britin Jacqueline Shields findet er die Liebe seines Lebens. Er erlernt das Gipserhandwerk und arbeitet sich allmählich vom einfachen Arbeiter zum selbständigen  Bauunternehmer hoch. Das Geschäft läuft gut, er erhält Großaufträge in seiner Heimat und in anderen europäischen Staaten. 1994 erhält er schließlich einen Bauauftrag in Mahlow im Bundesland Brandenburg, wo er nach zwei Jahren Opfer eines rechtsextremistischen Anschlags werden wird. Trotzdem will er nicht aufgeben, will alle Möglichkeiten nutzen, eines Tages wieder zu genesen, was angesichts seiner Verletzung jedoch ein unerreichbarer Traum bleibt. Martin ist zum dauerhaften Pflegefall geworden, sein einziger Haltepunkt bleibt Lebensgefährtin Jacqueline, die ihn vier Jahre lang aufopfernd pflegen wird, bis sie selbst schließlich an Krebs erkrankt. Im April 2000 heiraten die beiden, zwei Tage nach der Hochzeit stirbt Jacqueline. Noël Martin verliert seinen Lebenswillen, im Juni 2006 kündigt er an, an seinem 48. Geburtstag am 23. Juli 2007 freiwillig mit Hilfe einer Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben scheiden zu wollen. Doch inzwischen verschob er diesen Termin auf unbestimmte Dauer, denn er ist nicht reisefähig und braucht auch noch Zeit, um seinen Nachlass zu regeln. Sein Vermögen soll nicht an den Staat fallen, sondern einer von ihm ins Leben gerufenen Stiftung in England zugute kommen.
Noël Martin schaut in seiner Autobiografie mit viel Sinn für Details und  erstaunlicher Offenheit zurück auf sein Leben. Er beschönigt dabei nichts, auch nicht seine eigenen Schwächen. Doch niemals verfällt er in pures Selbstmitleid oder Trauertiraden, auch wenn Ghostwriterin Vandenberg Herrnfeld hin und wieder nicht so ganz die Distanz wahren kann und zwischen den Zeilen ihrer Betroffenheit Ausdruck verleihen muss. Der Verlag bezeichnet das Buch als „ein erschütterndes und bewegendes Zeit-Dokument“. Vor allem aber ist dies die Geschichte eines Menschen, der allen Widrigkeiten zum Trotz nie seine Würde verlor; eine Geschichte, die allem Unglück zum Trotz Hoffnung und Mut macht.
Ein Teil des Verkaufserlöses des Buches kommt übrigens dem von Martin mit initiierten Noel-und-Jacqueline-Martin-Fonds zugute, der Jugendbegegnungsprojekte zwischen Birmingham und Brandenburg finanziert, siehe auch im Internet unter http://www.noel-martin.de/ .
Thomas Wagner

Finkelstein, Kerstin E.:
„Wir haben Erfolg!“ : 30 muslimische Frauen in Deutschland / Kerstin E. Finkelstein. Vorwort Seyran Ateş. – Köln : Fackelträger Verl., 2008. – 223 S.
ISBN 978-3-7716-4367-6

Sie gelten als erfolgreich: die Fußballerin M. Ardahanli, die Polizeikommissarin B. Öner, die Rapperin und Germanistin R. Sahin (Lady Ray) ebenso wie die Bundestagsabgeordnete Dr. L. Akgün, die Zahnärztin Dr. E. Cezairli und die Unternehmerin N. Özel, eine bikulturelle Selfmadefrau. (S. 182)
Für diese Porträtsammlung befragte K. E. Finkelstein 29 muslimische Frauen in Deutschland nach ihrem Leben und den verschiedenen Wegen ihrer Karriere. Die Interviewten bestimmten selbst „über Fokus und Wertung ihrer Erfahrungen ...“. (S. 219)
Fast alle der hier porträtierten Elitefrauen einschließlich der bekannten Rechtsanwältin und Autorin S. Ateş (s. Archiv Buchtipp 0208), die für dieses Buch ein anregendes Vorwort schrieb, haben in Deutschland ihre Heimat gefunden, ohne dabei die Bindung an ihre Herkunftskulturen aufzugeben. Vor allem auch aus diesem Grund verwahren sie sich dagegen, in und von der Mehrheitsgesellschaft oft nur als Migrantinnen und Musliminnen und nicht einfach als Mitbürgerinnen wahrgenommen zu werden. Dr. E. Cezairli bringt diese Problemlage auf den Punkt: „Muslime werden zu einer Minderheit gemacht, indem man sie auf ihre Religionszugehörigkeit reduziert. Ich möchte als ein gleichberechtigtes Individuum mit unterschiedlichen Identitäten, als Bürgerin dieser Gesellschaft respektiert werden. Ich sehe mich ... in erster Linie als Demokratin und als Teil der Mehrheit.“ (S. 65)
Was diese Frauen, couragierte und liberale Musliminnen, trotz aller Verschiedenheiten miteinander verbindet, ist ihr ausgeprägtes bürgerschaftliches Engagement vor allem im Sozial- und Bildungsbereich. Ausgehend von ihrer eigenen Biografie engagieren sie sich mit Erfolg für Belange der deutschen Gesellschaft sowie für die Migranten. „Ich habe eine sehr gute Ausbildung bekommen“, so die Geschäftsfrau A. Özkan, „viele Jugendliche haben diese Chance nicht. Also möchte ich etwas von meinen Möglichkeiten weitergeben.“ (S. 189)
Bildung im weitesten Sinne nimmt in den Schilderungen der Porträtierten einen entscheidenden Platz ein. Stellvertretend für viele kluge und überzeugende Überlegungen zu diesem Thema die Auffassung der Ärztin N. Fahrali aus Berlin: „Erfolg messe ich an Bildung. Das bedeutet nicht, dass ein Kind gleich Professor werden muss, aber es sollte eben Rad fahren und schwimmen lernen, lesen und wissen, dass es auch ein Ostberlin gibt.“ (S. 70)
Mit ihrem Buch möchte die Autorin den immer noch sehr eingeengten Blickwinkel, aus dem Frauen aus islamisch geprägten Herkunftsländern in Deutschland gesehen werden, erweitern. Ihre Hoffnung dürfte sich erfüllen, denn diese kurzen, authentischen Lebensgeschichten sind, wie S. Ateş hervorhebt, „voller Leben, Kraft, Zuversicht und Hoffnung. Sie zeigen uns, dass es sich lohnt, aktiv zu sein. Sie zeigen uns auch ..., wie viel jede(r) Einzelne für ein besseres Zusammenleben der Kulturen und Religionen tun kann.“ (S. 9)
Nachwort von Dr. Kerstin E. Finkelstein; Bildnachweis.
M. Jonzeck

Rechte Gewalt in Berlin : 2003 bis 2006 / Hrsg. Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz. – Erstaufl.. - Berlin, 2007. - 86 S.
(Studienreihe „Im Fokus“)

2005 veröffentlichte der Berliner Verfassungsschutz erstmals eine empirische Studie zu rechten Gewalttaten. 336 Delikte aus den Jahren 1998 bis 2003 waren darin ausgewertet worden. Die vorliegende Broschüre präsentiert nun die Folgestudie,  basierend auf Straftaten, die zwischen 2003 und 2006 in Berlin (insgesamt 300 Delikte, als "Politisch motivierte Gewaltkriminalität - rechts" bewertet) begangen wurden.
Die Studie gliedert sich in sieben Hauptkapitel. Einleitend werden zunächst Aufbau der Studie, Definition des Untersuchungsgegenstandes und Methodik erläutert. Mit dem 2. Kapitel „Taten“ folgt der umfangreichste Abriss der Untersuchung: Die Deliktarten (insgesamt 37, vom gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bis hin zum Mord) werden beschrieben und ihre Verteilung statistisch ausgewertet. Ein weiterer Teil des Kapitels widmet sich dann der geografischen Verteilung der Tatorte: Die meisten Straftaten ereigneten sich im öffentlichen Raum, dabei dominieren als Schauplätze erwartungsgemäß öffentliches Straßenland und Bahnhofsgelände. Wie schon in der Vorgängerstudie lässt sich bei der bezirklichen Verteilung abermals eine starke Überrepräsentanz der östlichen Stadtteile verzeichnen. So machen allein die rechten Gewalttaten in Lichtenberg, Pankow und Treptow-Köpenick 54% der gesamten Vorfälle aus. Ein starker Rückgang (10%) ließ sich in Marzahn-Hellersdorf feststellen, während ein Anstieg der Taten vor allem in Treptow-Köpenick (4%) und Spandau (3,5%) zu verzeichnen war. Anhand kartographischer Darstellungen werden die verdichteten Räume rechter Gewalt in Berlin deutlich gemacht; diese decken sich weitgehend auch mit den Wohnorten aktionsorientierter Rechtsextremisten und Hochburgen der NPD. Im Anschluss werden die Zeiträume rechter Gewalt und der Tatvorlauf untersucht. Hierbei wird deutlich, dass sich die meisten Vorfälle an Wochenenden in den Abend- und Nachtstunden ereignet haben und der Großteil der Gewalttaten spontan ohne vorherige Planung begangen wurde. Die Alkoholisierung vieler Täter ist in diesem Kontext ein weiterer wichtiger Aspekt. Kapitel 3 widmet sich dann den Tatverdächtigen. Geschlecht, Alter, Schulbildung, Beruf und Familienverhältnisse werden dabei ebenso berücksichtigt wie die ideologische Festigung und Bindung an rechtsextremistische Organisationen.
Das daraus resultierende Profil des durchschnittlichen Tatverdächtigen bestätigt das Bild der Vorgängerstudie: Der durchschnittliche Täter ist männlichen Geschlechts, 15-24 Jahre alt und verfügt nur über einen niedrigen Bildungsstand. Arbeitslosigkeit und einschlägige Vorstrafen sind weitere häufige Merkmale. Ein bereits verfestigtes rechtsextremistisches Weltbild weisen jedoch nur wenige Tatverdächtige auf. Das 4. Kapitel befasst sich schließlich mit den Opfern rechter Gewalt und beschreibt u. a. die Opferauswahl und die Tatmotivationen. Hierbei wird deutlich, dass Fremdenfeindlichkeit und eine „gegen links“ gerichtete Motivation die am häufigsten auftretenden Tatmotive waren. War Fremdenfeindlichkeit als Motivation zwischen 2004 und 2005 deutlich zurückgegangen, hat sie sich im Jahre 2006 wieder nahezu verdoppelt. Besonders auffällig ist jedoch der gravierende Anstieg der Übergriffe „gegen links“, der seine Ursachen einerseits in Auseinandersetzungen mit ebenfalls gewaltbereiten Linksextremisten, andererseits aber auch in einem diffusen Hass auf alles vermeintlich „Linke“ findet. In den folgenden drei Kapiteln werden die Veränderungen zur Vorgängerstudie zusammengefasst, Programme und Projekte gegen Rechtsextremismus kurz vorgestellt und statistische Vergleiche präsentiert. Der Anhang enthält eine Auflistung von politisch motivierter Gewaltkriminalität, eine Karte der Berliner Bezirke und Ortsteile sowie ein Literaturverzeichnis. Die Publikation kann im Internet kostenlos unter http://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/ bestellt oder als pdf-Dokument heruntergeladen werden.
Thomas Wagner

Zwangsverheiratung in Deutschland / Hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Konzeption u. Redaktion Deutsches Institut für Menschenrechte. – 1. Aufl. – Baden-Baden : Nomos Verl., 2007. – 384 S. – (Forschungsreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ; Bd. 1)
ISBN 978-3-8329-2907-7
Alle Autorinnen und Autoren dieses wissenschaftlichen Sammelbandes stimmen darin überein, dass Zwangsverheiratung eine massive Verletzung der Menschenrechte ist.
Phänomene und Ursachen für Zwangsverheiratungen werden in den Beiträgen des ersten Komplexes aufgedeckt. Rainer Strobel und Olaf Lobermeier werten in ihrer Untersuchung Daten von 331 Mädchen und jungen Frauen aus, die von Zwangsverheiratung betroffen waren. Davon wurden mit 100 Frauen Leitfadeninterviews geführt, die zu biographisch vertiefenden Analysen führten. (S. 30) Sie hatten alle bei der Kriseneinrichtung „Papatya e.V.“, Berlin Hilfe und Unterstützung gesucht. Die Autoren schätzen ein, dass bei einer Zwangsheirat weniger religiöse Motive als vielmehr ein sehr enges Ehrverständnis sowie patriarchalische Familienstrukturen, in denen Ausübung von Gewalt gegen Frauen zum Alltag gehört, eine Rolle spielen.
Necla Kelek und Gaby Straßburger nehmen in ihren Beiträgen Stellung zum Verhältnis zwischen Zwangsheirat und arrangierter Ehe. Für Necla Kelek sind arrangierte und erzwungene Heiraten Ausdruck autoritärer Familienstrukturen sowie Eingriffe in die freie Selbstbestimmung von Frauen und Männern. Gaby Straßburger plädiert hingegen dafür, arrangierte Ehen als legitime soziale Praxis anzuerkennen.
In dem Komplex Geschlechterrollen und Paarbeziehungen hebt Manuela Westphal in ihrem Beitrag „Geschlechterstereotype und Migration“ hervor, dass Themen wie Zwangsverheiratung, Ehrenmorde und Kopftuchstreit zunehmend die öffentliche Debatte um Migration und Integration bestimmen. Sie wendet sich gegen die ihrer Meinung nach stark vereinfachende Auffassung, traditionelle Geschlechterfragen in Migrantenfamilien „als bedrohliche Rückzugs- und Desintegrationstendenzen“ (S. 131) zu betrachten.
Ahmet Toprak beschreibt Geschlechterrollen und traditionelle Geschlechtererziehung in bildungsfernen türkischen Familien. Den Blick richtet er insbesondere auf familiäre Disziplinierungsmaßnahmen mit denen junge türkische Männer zu arrangierten Ehen mit Frauen aus der Türkei gezwungen werden. (s. auch Archiv Buchtipp: Toprak, Ahmet: Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer)
Ein weiterer Komplex des Sammelbandes setzt sich mit  rechtlichen Rahmenbedingungen und der Reformdiskussion auseinander. Internationale Rechtsinstrumente, die den Vertragsstaaten den Schutz der Menschenrechte von Frauen (und Männern) durch ein Verbot der Zwangsheirat auferlegen (S. 202), werden von Hanna Beate Schöpp-Schilling vorgestellt. Das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW) steht im Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Regina Kalthegener untersucht die Möglichkeiten zur strafrechtlichen Ahndung der Zwangsverheiratung, die den deutschen Gerichten mit dem 37. Strafrechtsänderungsgesetz vom Februar 2005 in den Nötigungsparagraphen gegeben sind. 
Reformbedarf mahnen Dagmar Freudenberg im Aufenthaltsrecht und Seyran Ateş in verschiedenen Bereichen des Zivilrechts an. Wie Swenja Gerhard in ihrem Beitrag über „sozialrechtliche  Hindernisse bei der Interventionsarbeit“ hervorhebt, ist für die von Zwangsheirat Bedrohten bzw. Betroffenen das Sozialrecht, insbesondere das Kinder- und Jugendhilferecht relevant.
Der vierte und letzte Komplex des Bandes enthält 6 Beiträge zu Prävention und Intervention. Generell sind sich die Autoren darin einig, dass es notwendig sei, sowohl früh einsetzende Präventionsmaßnahmen und Interventionsprojekte zu entwickeln als auch bundesweit angemessene Beratungs- und Schutzangebote in akuten Bedrohungssituationen bereitzustellen.
Über die Erfahrungen der Schutz- und Kriseneinrichtungen Papatya e.V. in Berlin und agisra e.V. in Köln berichten Corinna Ter-Nedden, Jae-Soon Joo-Schauen und Behshid Najati. Die beiden letzteren stellen das von agisra praktizierte Beratungskonzept zum Thema „Recht auf Selbstbestimmung – gegen Zwangsheirat“ vor.
Barbara Kavemannn plädiert in ihrem Beitrag „Erfahrungen mit Interventionsprojekten zum Schutz von Frauen vor Gewalt“ für eine koordinierte Zusammenarbeit staatlicher Institutionen (Polizei, Justiz, Jugendamt) und nichtstaatlicher Unterstützungseinrichtungen (Frauenhäuser, Beratungsstellen, Kinderschutzeinrichtungen (S. 275).
Über die inneren Prozesse in muslimischen Organisationen – hier die Schura in Hamburg, Rat der islamischen Gemeinschaft e.V. – schreibt Angelika Hassani. Sie hebt hervor: „Was weitgehend in der innermuslimischen Debatte fehlt, ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Lebensrealitäten vieler Jugendlicher. Diese bilden das Konfliktpotenzial, das in der Eskalation zu Zwangsverheiratungen oder anderen Formen von Gewalt führen kann.“ (S. 341)
Der vorliegende Band kann zu einem besseren Verständnis des Gesamtproblems der Zwangsverheiratung und ihrer Ursachen beitragen, warnt jedoch zugleich vor Stigmatisierungen gegenüber türkischen Migranten. Wie einzelne Autoren schon hervorhoben, sind die Ergebnisse der Untersuchungen selektiv, da alle Probanten bereits von  Zwangsheirat betroffen waren.
Mit Literaturangaben zu den einzelnen Beiträgen  und Autorenverzeichnis.
Gisela Jonas

Ateş, Seyran:
Der Multikulti-Irrtum : wie wir in Deutschland besser zusammenleben können / Seyran Ateş. – Berlin : Ullstein, 2007. – 281 S.
ISBN 978-3-550-08694-6

Öffentliche Aufmerksamkeit wurde der Berliner Juristin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş nicht erst zuteil, als sie im Sommer 2006 ihre Zulassung als Anwältin vorerst zurückgab, nachdem sie von einem Verfahrensgegner tätlich angegriffen wurde. Die 1963 in Istanbul geborene Seyran Ateş lebt seit 1969 in Berlin. Seit Jahren setzt sie sich sachkundig und engagiert mit relevanten Fragen der Integrationspolitik und –praxis auseinander und vertritt die Rechte von Migrantinnen insbesondere aus der türkisch-kurdischen Community.
Die Rechtsanwältin weiß, dass es unter Umständen lebensgefährlich sein kann, unbequeme Probleme wie Zwangsheirat, Ehrenmord, häusliche Gewalt in Migrantenfamilien und sexuelle Selbstbestimmung für Frauen öffentlich zu thematisieren. Für ihre Zivilcourage wurde sie mehrfach ausgezeichnet und zur „Frau des Jahres 2005“ gekürt.
2003 erschien ihre viel beachtete Autobiographie „Große Reise durchs Feuer“, vor kurzem ihr neues Buch „Der Multikulti-Irrtum“, ein problemorientierter Gegenentwurf zum „romantisiert-ethnisierten Blick … auf die türkische und kurdische Kultur.“ (S. 117)
Ausgehend von der Erkenntnis, dass Integration nur gelingen kann, wenn Frauen gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können, stellt die Autorin ein Thema in den Mittelpunkt ihres Buches: die Lage türkischer und kurdischer Musliminnen in Deutschland einschließlich der damit verbundenen Frage, was in der Gesellschaft konkret getan werden muss, um auch muslimischen Frauen mit oder ohne den Islam ein Leben in Würde und Freiheit zu ermöglichen. (S. 9)
Alle Sachverhalte dieses Buches – Zwangsheirat, Ehrenmord, Kopftuchstreit, Scharia, Sexualität im Islam, Religion, Bildung, europäische Leitkultur und transkulturelle Gesellschaft – sind auf das Hauptanliegen der Autorin ausgerichtet.
Sie verdeutlicht hier noch einmal ihre teils schon bekannten und veröffentlichten Positionen und Thesen, verbunden mit Lösungsangeboten, zur Integration von Deutschtürken und in Deutschland lebenden Migranten und Migrantinnen muslimischen Glaubens.
Deutlich hörbar der eindringliche Appell an die deutsche Gesellschaft und ihre Einrichtungen, Grund- und Menschenrechtsverletzungen, die unter dem Deckmantel islamischer Kulturtraditionen und des Rechts auf freie Religionsausübung begangen werden, nicht länger zu verharmlosen oder zu ignorieren. „Jeder einzelne Ehrenmord ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ (S. 75) Ein friedliches Zusammenleben sei nur möglich, so Ateş´ These, wenn kultureller Toleranz Grenzen gesetzt werden, wo es um Menschenrechtsverletzungen geht. (S.91) In diesem Zusammenhang plädiert sie erneut für einen eigenen Straftatbestand Zwangsheirat und für ein Verbot des Kopftuchs in Schulen, Universitäten und öffentlichen Einrichtungen.
Vehement setzt sich die Autorin mit dem „Traum von der multikulturellen Gesellschaft“ (S. 9) auseinander. Mit Blick auf die streckenweise verfehlte Integrations- und Jugendpolitik in Deutschland regt die kritische Beobachterin an, das ihrer Meinung nach überholte und in vielerlei Hinsicht misslungene Konzept einer multikulturellen Gesellschaft zugunsten einer transkulturellen Gesellschaft zu überdenken.
Dieses sehr authentische Buch „ist ein Plädoyer für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben, das auf Verbindlichkeit und Gegenseitigkeit basiert – und auf echter Toleranz. Wirkliche Toleranz bedeutet, dass man den anderen, sein Umfeld und seine Kultur kennt und akzeptiert. Sie ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit und Ignoranz.“ (S. 9)
Im Rahmen der zur Zeit heftig geführten Integrationsdebatte dürften die in dem Buch enthaltenen Fakten und Argumentationen die entsprechende Aufmerksamkeit finden.
Anhang: Muslimische Verbände in ausgewählten europäischen Ländern, Anmerkungen, Literaturangaben.
M. Jonzeck

Spindler, Susanne:
Corpus delicti : Männlichkeit, Rassismus und Kriminalisierung im Alltag jugendlicher Migranten
/ Susanne Spindler. Edition d. Duisburger Instituts für Sprach- u. Sozialforschung. – 1. Aufl. – Münster : Unrast-Verl., 2006. – 356 S. – (Edition Diss; Bd. 9)
ISBN 978-3-89771-738-1 Werden Jugendliche mit Migrationshintergrund straffällig, wird immer gern ihr kulturelles Umfeld bzw. ihre ethnische Herkunft als Erklärung herangezogen. Durch dieses simplifizierte Erklärungsmuster gerät jedoch oft die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und familiären Lebensumständen der Betroffenen ins Hintertreffen. Der Blick der Öffentlichkeit wird von sozialen Missständen abgelenkt und fokussiert sich auf kulturelle Kontraste, die als scheinbare Ursache für Gewalt und andere Straftaten fungieren müssen. Dass die wirklichen Ursachen jedoch weitaus komplexere Hintergründe haben, führt  die Studie der Pädagogin Susanne Spindler vor Augen, welche ursprünglich als Dissertation an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln angelegt war und für die vorliegende Buchveröffentlichung nochmals überarbeitet wurde. Insgesamt 23 Interviews führte die Autorin mit in Jugendstrafanstalten einsitzenden männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, und diese Gespräche verdeutlichen, dass die Betroffenen ihr ganzes Leben hindurch „extremen Ungleichheiten“ ausgesetzt waren.
Nach einleitenden ausführlichen Abrissen zu Geschlechterforschung und Rassismus, zur Diskussion um Kriminalität sowie zur Methodik der Biographieforschung werden in Kurzbiographien 11 jugendliche Straftäter vorgestellt, deren Interviews nachfolgend eine nähere Auswertung erfahren:
Zunächst werden die Jugendlichen zu ihren Erlebnissen im familiären Umfeld und zur Rolle der Elternteile befragt. Dabei wird deutlich, dass die Figur des Vaters bei den Betroffenen oftmals eine stark prägende Rolle gespielt hat; sei dies in der häufig auftretenden Form als gewalttätiger Aggressor oder auch als selbst an vielen Unzulänglichkeiten leidende Figur. Im Vergleich dazu ist das Verhältnis zur Mutter oftmals  von liebevollen Emotionen geprägt und sie fungiert als „emotionaler Rettungsanker“.
Im Anschluss beschäftigen sich die Fragen mit dem schulischen Kontext. Die Betroffenen konnten hier schon früh unliebsame Erfahrungen mit strukturellen Diskriminierungen sammeln, was nicht zuletzt auf mangelnde Deutschkenntnisse zurückzuführen war. Auch erste Rassismuserlebnisse fanden im schulischen Rahmen statt.
Im Folgenden werden die Rolle der Erwerbsarbeit sowie die Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche diskutiert. Dass nach einer von mannigfachen Problemen geprägten schulischen Ausbildung auch der Start ins Berufsleben erschwert wurde, versteht sich von selbst. Migrationshintergrund, Klassenzugehörigkeit und vor allem auch individuelle Gründe trugen letztendlich zum Scheitern bei.
Einige der Betroffenen weisen einen Flüchtlingsstatus auf. Diese spezielle Form der psychischen Belastung, individuelle Erfahrungen in Flüchtlingsheimen sowie die rechtliche Situation von Flüchtlingen sind Thema des folgenden Kapitels.
Anschließend werden sexualisierte Gewalt, ihr Zusammenhang mit Rassismus und ihre Rolle als Mitursache der Kriminalisierung, Homosexualität (und nicht zuletzt eine panische Angst der Betroffenen vor dieser) sowie die Beziehungen zu Mädchen und Frauen untersucht.
Die Clique als „Ort der Solidarität“, der für die Jugendlichen oft eine quasi-familiäre Bedeutung gewinnt, steht im Zentrum des nächsten Kapitels. Doch diese von territorialen Macht- und Rangkämpfen geprägte semikriminelle Grauzone dient oftmals nur als  Vorstufe zur endgültigen Kriminalisierung. Das Leben im Gefängnis als junger Migrant und die Konfrontation mit bevorstehender Abschiebung sind die weiteren Themen. Ein ausführliches Fazit der Autorin schließt den Band ab.
Umfangreiches Literaturverzeichnis.
Thomas Wagner

Zur Lage von Kindern aus Roma-Familien in Deutschland : Zusammenfassung der Ergebnisse einer Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin / im Auftrag von UNICEF Deutschland. – Berlin, 2007. – 48 S. Blattsammlung

Die Studie beginnt mit einer Einführung in die Lage der Sinti und Roma in Deutschland seit 1945. Die Autoren unterscheiden drei Gruppen: Die deutschen Sinti und Roma (heute etwa 70.000), die seit 600 Jahren bzw. seit Ende des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum leben, deutsche Staatsbürger sind und über den Status der nationalen Minderheit verfügen.
Zur zweiten Gruppe zählen die zugewanderten Roma aus Jugoslawien, die Ende der sechziger Jahre als Arbeitsmigranten in die Bundesrepublik kamen. Inzwischen leben durch Familiennachzug einige zehntausend Roma in zweiter und dritter  Generation in Deutschland, teils mit deutscher Staatsbürgerschaft, teils mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis.
Der dritten Gruppe gehören Roma-Flüchtlinge (etwa 40.000 bis 50.000) an, die ab 1990 nach Deutschland kamen. Aus unterschiedlichen Herkunftsländern stammend, gezeichnet durch ebenso unterschiedliche Fluchtbiographien stellen sie eine sehr heterogene Gruppe dar.
„Bei aller Binnendifferenzierung teilen die unterschiedlichen Gruppen allerdings die Erfahrung, immer wieder mit traditionellen Stereotypen vom „Zigeuner“ konfrontiert zu werden.“ (S. 3)
Gegenstand der Studie ist die Situation von Kindern aus Roma-Flüchtlingsfamilien, die seit 1990 in Deutschland leben. Die im Zeitraum von September 2006 bis Februar 2007 in den Großstädten Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und Münster durchgeführten Untersuchungen – Fallstudien, Leitfadeninterviews – geben Aufschluss darüber, welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Integration von Roma-Flüchtlingskindern unterliegt.
Die Studie hebt hervor: Der Zugang zum Bildungs-, Wohnungs- und Gesundheitsbereich hängt in hohem Maße vom Aufenthaltsstatus ab, der durch das neue Aufenthaltsgesetz von 2005 bestimmt wird. Etwa nur ein Drittel der Roma-Familien verfügt über eine Aufenthalts- bzw. Niederlassungserlaubnis. Erst dieser Status gibt ihnen die Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme, zur Ausbildung und zum Umzug in Mietwohnungen. Die Mehrheit der Roma-Familien hat jedoch einen unsicheren Aufenthaltstatus und besitzt zeitlich begrenzte Aufenthaltspapiere. Die Situation dieser Roma-Kinder findet in der Studie besondere Beachtung.
Die lokalen Befragungen ergaben, dass der Schulbesuch durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren erschwert wird: das Alter der Kinder bei der Einreise, die Fluchtbiographie, fehlende Schulpflicht, Unterbringungsfaktor, häufige Umzüge und Schulwechsel, mangelnde Elternhilfe bei schulischen Schwierigkeiten sowie kulturelle Besonderheiten.
Dass Integration gelingen kann, ist am Fallbeispiel Münster (NRW) zu erkennen. Obwohl es hier bis 2005 auch keine Schulpflicht für geduldete Flüchtlingskinder gab, waren fast alle Roma-Kinder in den Schulbereich einbezogen. (S. 28)
Etwa ab 2003 leiteten einige Städte einen Kurswechsel ein und gewährten unter bestimmten Auflagen auch geduldeten Flüchtlingen den Umzug in Mietwohnungen. (S. 35) Bibliographisch verzeichnete Primärquellen (relevante Dokumente aus Exekutive, Legislative, staatlicher Administration und einschlägigen Organisationen) aus den untersuchten Städten belegen diesen Kurswechsel. Im Anhang sind die Interview- und Gesprächspartner aus Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und Münster benannt. Statistische Daten beschließen die Studie. Mit Literaturverzeichnis.
Gisela Jonas

Hirsi Ali, Ayaan:
Mein Leben, meine Freiheit : die Autobiographie / Ayaan Hirsi Ali. – München : Piper, 2006. – 493 S. – Aus dem Engl. übers.
ISBN–13: 978-3-492-04932-0    ISBN-10: 3-492-04932-X

Die Lebensgeschichte der weltweit prominenten, zugleich angefeindeten und bedrohten Politikerin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali geht unter die Haut.
„Es handelt sich um meine subjektiven Erinnerungen“, schreibt die Autorin in der Einleitung zu ihrer Autobiographie, „und ich berichte so genau, wie ich es nur kann … Mein Denken ist von dem geprägt, was ich erlebt und gesehen habe. Mir ist klar geworden, dass es nützlich, ja sogar wichtig ist, diese Geschichte zu erzählen. Manches möchte ich klarstellen, einiges geraderücken, und zudem möchte ich über eine völlig andere Welt berichten, darüber, wie diese Welt wirklich ist.“ (S. 10)
Die Welt ihrer Kindheit in Somalia (hier wurde sie 1969 geboren), Saudi-Arabien, Äthiopien und Kenia wird im ersten Teil des Buches lebendig. In dieser spannenden wie informativen Rückschau auf ihre Kinder- und frühen Jugendjahre nimmt die Auseinandersetzung mit religiösen Fragen bereits einen breiten Raum ein. Obwohl streng muslimisch erzogen, rebelliert das junge Mädchen, vor allem auch unter dem Einfluss freigeistiger Literatur, „gegen die traditionelle Unterwerfung der Frau.“ (S. 136)
Der zweite Teil der Erinnerungen gilt den Lebensstationen Ayaan Hirsi Alis nach ihrer Flucht vor der unausweichlichen Zwangsheirat. Als sie 1992 über Deutschland in die Niederlande emigrierte, war sie 23 Jahre alt. „Ich floh nicht vor dem Islam oder in die Demokratie. Es ging nicht um große Ideen – die hatte ich damals nicht. Ich war nur eine junge Frau, die unbedingt sie selbst sein wollte.“ (S. 266–267)
Die dort schon sehr bald als Dolmetscherin und Sozialarbeiterin tätige Immigrantin erlebt hautnah das Elend und die Rechtlosigkeit muslimischer Frauen und Kinder. Folgerichtig stellt sie schon während ihres Studiums der Politikwissenschaft an der Universität von Leiden sowie als Parlamentsabgeordnete der rechtsliberalen Partei VVD ihr politisches Engagement ganz in den Dienst der Befreiung muslimischer Frauen von Unterwerfung und physischer Gewalt.
„Ich beschloß“, so die Autorin, „eine monothematische Politikerin zu werden, und das bin ich noch heute. Ich bin überzeugt, dass dieses Thema das größte und wichtigste ist, mit dem sich unsere Gesellschaft und die ganze Erde in diesem Jahrhundert wird befassen müssen.“ (S. 416–417) Eng verknüpft mit der politischen Arbeit Ayaan Hirsi Alis ist ihre fast quälende Selbstauseinandersetzung mit dem islamischen Glaubenssystem, die zum endgültigen Bruch mit ihrer Religion führt.
Was dann im Leben der Politikerin geschah, erschütterte die Öffentlichkeit weit über die Niederlande hinaus. Ihr Kurzfilm „Submission: Part One“ (Autorenkommentar zum Film: S. 438-441) kostete den Regisseur Theo van Gogh das Leben. Der islamkritische Filmemacher wurde im November 2004 in Amsterdam auf offener Straße von Muhammad Bouyeri ermordet. Der Drohbrief, den der Mörder auf der Leiche hinterließ, galt Ayaan Hirsi Ali. Danach lebte sie drei Monate lang, bewacht und dirigiert von Sicherheitsdiensten, im Untergrund.
Nach politischen Querelen um die Aberkennung ihrer Staatsbürgerschaft verkündet sie am 16. Mai 2006 ihren Rückzug aus dem Parlament in Den Haag sowie ihren Entschluss, die Niederlande verlassen zu wollen. Heute lebt und arbeitet sie in den USA.
Kritikern wie Gegnern, die ihre Auffassungen als groteskes Geschwätz einer Frau abtun möchten, die aufgrund persönlicher Erfahrungen mit Beschneidung und Zwangsverheiratung traumatisiert sei (S. 487), hält Ayaan Hirsi Ali entgegen: „Meine Beschneidung hat sich … durchaus nicht auf meine Verstandeskräfte ausgewirkt, und ich würde es vorziehen, wenn meine Argumentation aufgrund ihrer Schlüssigkeit beurteilt würde und nicht aufgrund meiner Eigenschaft als Opfer.“ (S.488)
Dieses umfangreiche autobiographische Werk, nachsichtig und differenziert in der Betrachtung privater Lebenswelten, unerbittlich und polemisch zugespitzt in der Auseinandersetzung mit Glaubensfragen und der selbstgefälligen „Haltung der moralischen Relativisten, die behaupteten, dass alle Kulturen gleich sind …“ (S. 416), wirkt ebenso polarisierend wie ihr Essayband „Ich klage an“ Piper, 2005.
Mit Fotos
M. Jonzeck

Toprak, Ahmet:
Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer :
Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre / Ahmet Toprak. – 1. Aufl. – Freiburg : Lambertus Verl., 2005. - 187 Seiten.
ISBN 3-7841-1609-4

Durch die Kampagne „STOPPT Zwangsheirat“ der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes sind seit 2003 die Themen Zwangsheirat, Gewalt in Migrantenfamilien und Ehrenmorde verstärkt ins öffentliche Interesse gerückt worden.
Ahmet Toprak, promovierter Diplom-Pädagoge türkischer Herkunft, beleuchtete mit der vorliegenden Studie erstmals die Perspektive der betroffenen Männer. Fünfzehn zwischen 1964 und 1982 in Deutschland geborene türkische Männer wurden in Interviews zu ihrer eigenen Biographie sowie  ihren Gedanken über die Bedeutung der Ehe, Rollenverständnis, Sexualität, Familie und die Motive für Gewalt im „Namen der Ehre“ befragt. Der Buchtitel „Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer" mag in diesem Kontext zwar zunächst irritieren, bekommt im Lauf der Lektüre jedoch eine tiefere Bedeutung, denn ungeachtet ihrer betont „männlichen“ Weltbilder und Ehrbegriffe und ihrer bejahenden Einstellung zu Zwangsehen und Ehearrangements, sind auch die hier vorgestellten Männer letztendlich nur Opfer ihrer eigenen Traditionen, die oftmals schon in früher Kindheit mit häuslicher Gewalt konfrontiert wurden.
Alle Interviewten stammen aus traditionellen bildungsarmen Familienverhältnissen und ließen – obwohl in Deutschland geboren und aufgewachsen - ihre Ehefrau durch die eigenen Eltern in deren Heimatdorf auswählen. Die Studie ist somit laut Toprak keinesfalls repräsentativ für alle türkischstämmigen Männer in Deutschland, verdeutlicht jedoch die immense Bedeutung von Geschlecht, Ehre, Religion und Kultur innerhalb der hier vorgestellten Bevölkerungsgruppe.
Nach einer thematischen Einführung, in der der Autor Aktualität, Motivation und die Vorgehensweise bei seinen Forschungen beschreibt, gliedert sich das Buch in drei Hauptkapitel:
Kapitel I widmet sich zunächst den individuellen Biographien der Befragten. Dabei werden u. a. die Herkunft der Familie und deren Gründe für die Migration nach Deutschland, die Geschlechterrollen in der Familie sowie das eigene Verhältnis zu Gewalt und Ehrbegriffen geschildert.
Das zweite Kapitel „Generierende Diskussion der wichtigsten Ergebnisse“ setzt sich auf 100 Seiten ausführlich mit den Forschungsergebnissen auseinander. Toprak geht darin sehr fundiert auf ein breitgefächertes Themenspektrum ein und lässt dabei seine umfangreiche Kenntnis der türkischen Kultur einfließen: Heirat, Motive für die Eheschließung, Eheschließung als Disziplinarmaßnahme, die Unterschiede zwischen Zwangsehe und arrangierter Ehe, die Geschlechterrollen, Gewalt in der Familie (sowohl körperlich wie verbal), Vergewaltigung in der Ehe, Ehre als Doppelmoral bzw. Mord im Namen der Ehre sowie abschließend zusammenfassende Gründe für die Gewaltanwendung.
Kapitel III fasst das Resümee aus diese Untersuchungen zusammen und stellt kurz-, mittelfristige und  langfristige Maßnahmen zur Prävention von Zwangsehe und Gewalt dar: Ziel muss gerade auch innerhalb der türkischen Community ein offener Diskurs über das Thema Zwangsehe sein. Nicht zuletzt durch Verbesserung der Schul- und Berufsausbildung sowie der sozialen Bedingungen muss letztendlich eine erfolgreiche Integration auch dieser türkischen Frauen und Männer erreicht werden.
Im Anhang finden sich Literaturhinweise zum Thema.
Thomas Wagner

Vom Fliehen und Ankommen : Flüchtlinge erzählen / aufgezeichn. von Christian Horn …; hrsg. von PRO ASYL. -  Orig.-Ausg., 1. Aufl. – Karlsruhe : Loeper Literaturverl., 2006. – 142 S. : zahlr. Fotogr.
ISBN-10: 3-86059-331-5    ISBN-13: 978-3-86059-331-8

„Ganz gleich, ob man von Ausländern, Gastarbeitern, Migranten, ausländischen Mitbürgern, Deutschen mit Migrationshintergrund, Bildungsinländern und so weiter spricht – es wird immer ein Unterschied gemacht. Es wird immer eine Abgrenzung vorgenommen gegenüber den Deutschen, die schon  ,immer’ hier gelebt haben. Deshalb halte ich von diesen Begriffen gar nichts, das ist nur Schönrednerei. Man fühlt sich vielleicht besser, weil man sich an die political correctness gehalten hat. … Ich habe heute die deutsche Staatsbürgerschaft, fühle mich aber immer noch als Flüchtling“ (S. 54). Diese Einschätzung trifft Mehrschad Zaeri Esfahani, der als zwölfjähriger mit seinen Eltern 1985 aus dem Iran nach Deutschland floh, hier Informatik studierte und heute als Software-Architekt arbeitet.
Paimana Heydar wurde 1983 in Kabul geboren. Ihre Familie floh 1989 aus Afghanistan und stellte 1995 einen Asylantrag in Deutschland. 2005 machte sie in Neuruppin das Abitur, konnte aufgrund der Residenzpflicht nicht in eine Universitätsstadt umziehen und hatte auch kein Recht auf eine Arbeitsstelle. Zu ihrer Situation heute stellt sie fest: „Ich  werde in meinen Entfaltungsmöglichkeiten massiv eingeschränkt. Das ist in meinen Augen rassistisch. … Als Flüchtling mit Kettenduldung werde ich gezwungen, vom Staat zu leben. Dies allein ist schon menschenunwürdig. Ebenso schlimm sind das langwierige Asylverfahren und das Leben mit der Angst, auch nach zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland immer noch mit Abschiebung rechnen zu müssen“ (S. 80).
Zwei ausgewählte Stimmen von 17 Flüchtlingen u. a. aus Chile, Sri Lanka, Bosnien-Herzegowina / Kosovo, Irak, Tschetschenien, Liberia, die in diesem Band zu Worte kommen. Sie erzählen von Heimatlosigkeit und Neuanfang, von erfolgreicher und scheiternder Eingliederung in ein zunächst völlig unbekanntes Land, von teils widrigen Umständen, denen sie häufig in den Asylheimen ausgesetzt sind. Sie machen dem Leser deutlich, wie ihre Lebensbedingungen in hohem Maße durch restriktive Gesetze – Asylverfahren, Residenzpflicht, Arbeitsverbot und Asylbewerberleistungsgesetz – eingeschränkt sind.
Die Berichte von bzw. über Paimana Heydar (Afghanistan), Ibrahim Delen (Türkei) und Joao Nafilo (Angola) zeigen insbesondere, was es für Jugendliche ohne Bleiberecht bedeutet, im Kampf mit der deutschen Bürokratie einen Studienplatz zu erhalten (S. 10).
Die historisch-chronologisch geordneten Texte dieses Bandes – Reportagen, Ich-Erzählungen, Interviews – sind nach Gesprächen entstanden, die PRO ASYL mit Flüchtlingen im Frühjahr 2006 geführt hat. Historische Ereignisse in den Herkunftsländern, die die Ursache und der Anlass für die Flucht der betreffenden Asylsuchenden waren, werden kurz kommentiert und dem einzelnen Beitrag vorangestellt.
Ein wichtiges Buch für Vereine, Organisationen und engagierte Bürger, die in der praktischen Flüchtlingsarbeit tätig sind. Mit Glossar.
Gisela Jonas

Rommelspacher, Birgit:

Der Hass hat uns geeint : Junge Rechtsextreme und ihr Ausstieg aus der Szene / Birgit Rommelsbacher. – 1. Aufl. – Frankfurt/Main : Campus Verl., 2006. - 246 Seiten.
ISBN 3-593-38030-7

In den vergangenen Jahren sind rechtsextreme Jugendliche zunehmend ins Interesse der Medienberichterstattung gerückt und zugleich auch verstärkt zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden. Im vorliegenden Band analysiert die Psychologin Birgit Rommelspacher  anhand von Interviews und biographischen Berichten, wie und warum Jugendliche zur rechten Szene stoßen und wie es manchen von ihnen gelingt, in einem langwierigen Prozeß schließlich wieder den Ausstieg zu schaffen.
Das Buch gliedert sich in 8 Kapitel: In „Der Einstieg“ werden zunächst Anlässe und Motive Jugendlicher untersucht, sich überhaupt zur rechten Szene hingezogen zu fühlen. Das Miteinander in einer Gemeinschaft und das daraus resultierende Gefühl sozialer Anerkennung sind dafür ebenso Gründe, wie ein provozierendes Protestverhalten gegen das etablierte politische System oder der „Thrill“ durch gewalttätige Aktionen. Ein wesentlicher Faktor für oder gegen einen Einstieg sind jedoch fast immer die Erfahrungen im familiären Umfeld. Im Anschluß zeigt das Kapitel „Überzeugungen festigen sich“, daß sich meist erst während der Zugehörigkeit zur rechten Szene und der damit verbundenen ideologischen Indoktrination eine klare politische Identifizierung mit dieser entwickelt. „Rechte Ideologien – Rechte Fraktionen“ widmet sich den organisierten Gruppierungen der Szene. Dabei werden die politischen Parteien (NPD, DVU, REPs) und autonome Skinheadgruppen und Kameradschaften vorgestellt und die teils recht gravierenden Unterschiede in ihren Ideologien und Strategien aufgezeigt. Zwei Unterkapitel befassen sich außerdem mit dem Rechtsextremismus in Ostdeutschland und dem Geschlechterverhältnis bzw. der Rolle von Frauen in der rechten Szene. Es folgt „Der Rechtsextremismus und die ‚Mitte’ der Gesellschaft“. In diesem Kapitel wird deutlich, dass rechtsextreme Ideologien keine „exotischen“ Phänomene, sondern ein Spiegel der Gesellschaft sind. Zwar lehnt der deutsche Durchschnittsbürger gewalttätige Aktionen kategorisch ab, nichtsdestotrotz finden sich in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor Ansichten, die sich mit rechtsextremen Positionen decken. Die Autorin warnt davor, die Problematik Rechtsextremismus auf Gewalttäter zu beschränken und diese Gefahr somit auf ein Randgruppenproblem zu reduzieren.
Es folgt „Der Rechtsextremismus – ein dominanztheoretischer Ansatz“: Hier wird zunächst auf die soziokulturellen Hintergründe von Rassismus und Rechtsextremismus eingegangen. Im Anschluss werden die dominanztheoretischen Gedanken in der modernen (und eigentlich egalitären) Gesellschaft hinterfragt, welche sich gerade auch in der so genannten ‚Mitte’ finden. „Erfahrungen in der rechtsextremen Szene“ schildert anhand von Fallbeispielen die Enttäuschungen und Widersprüche mit den eigenen Vorstellungen und „Idealen“, denen Jugendliche im rechten Szenealltag begegnen – Vorgänge, die irgendwann zu einem Hinterfragen der Ideologie und schließlich auch zum Bruch mit der Szene führen können.
„Der Ausstieg“ aus der Szene mit seinen Hindernissen wird im gleichnamigen 7. Kapitel anhand von Fallbeispielen dokumentiert. Abschließend werden in „Strategien gegen Rechtsextremismus“ Möglichkeiten vorgestellt, den Ausstieg jugendlicher Rechtsextremisten zu unterstützen. Dabei werden auch die Erfolgsdefizite staatlicher Sanktionen (= Haftstrafen) im Vergleich zu der Arbeit professioneller Organisationen wie EXIT deutlich. Ein Quellenverzeichnis und Literaturhinweise schließen den Band ab.
Thomas Wagner

Brinkbäumer, Klaus:
Der Traum vom Leben : eine afrikanische Odyssee
/ Klaus Brinkbäumer. Fotos: Markus Matzel. – Frankfurt am Main : S. Fischer, 2006. -  286 S.
ISBN 3-10-005103-3

Agadez, alte Handelsstadt in Niger, früher Ziel der Salzkarawanen, heute Zwischenziel der Migranten aus allen Staaten Westafrikas. Tausende Flüchtlinge kommen nach Agadez, um von hier aus Richtung Norden, zusammengepfercht auf Lastwagen, durch die Sahara nach Tamanrasset (Algerien), Metropole der Schleuser, zu fahren. Alle wollen Sie nach Europa.
Auch der Ghanaer John Ampans nahm diesen Fluchtweg. Für seine Flucht nach Europa brauchte er fünf Jahre. Erstmals nach 14 Jahren kehrt er als Begleiter mit dem Journalisten Klaus Brinkbäumer und den Fotografen Markus Matzel nach Afrika zurück. Gemeinsam mit ihm bereisen die Journalisten noch einmal die Stationen seiner ursprünglichen Fluchtroute, auf der auch heute noch die meisten Flüchtlinge unterwegs sind. Der Autor rekonstruiert John Ampans afrikanische Odyssee und ergründet die Motive afrikanischer Flüchtlinge. Brinkbäumer berichtet von den unvorstellbaren Strapazen, denen sie ausgesetzt sind. Obwohl sie oft zu hunderten in ihre Heimatländer abgeschoben werden, versuchen es die Flüchtlinge dennoch immer wieder, nach Europa, „Paradies der Freiheit, der Sicherheit, der Gesundheit und des Reichtums“, (S. 93) zu gelangen.
Zugleich ist diese Reisereportage ein politischer Exkurs über afrikanische Zustände. Brinkbäumer analysiert die unterschiedlichen Entwicklungen und politischen Systeme verschiedener afrikanischer Staaten. In vielen Gesprächen mit Betroffenen und Verantwortlichen hinterfragt er den Nutzen von Entwicklungshilfe. John Ampans dazu in Afrikanisch für Anfänger S. 164: „ Afrikanische Projekte werden immer mit viel Elan und viel Geld begonnen und niemals vollendet. Weil die Menschen verschwinden, die das Projekt gestartet haben. Weil das Geld ausgeht. Weil sich niemand um Wartung oder Reinigung kümmern will. Weil alles, was nach Geld aussieht, sofort geplündert wird. Unser Kontinent ist voll von Ruinen, die vor gar nicht langer Zeit ein Zeichen des Aufbruchs waren.“
Abschließend setzt sich der Autor mit dem Ausländer- und Asylrecht der EU-Staaten auseinander und benennt die Folgen des Vertrages von Schengen für die Flüchtlinge aus Afrika: „Kann Europa einen zerfallenden Kontinent in unmittelbarer Nähe wirklich weiter zerfallen lassen?  … Kann man die vielen Afrikaner, die auf dem Weg nach Norden sind, wirklich aussperren? Ertrinken lassen? Kriminalisieren? Ignorieren?“ (S. 257)
Literaturverzeichnis, Register.
Gisela Jonas

Milborn, Corinna:
Gestürmte Festung Europa : Einwanderung zwischen Stacheldraht und Ghetto / Corinna Milborn. Mit Fotos von Reiner Riedler. – Wien [u.a.] : Styria Verl., 2006. – 248 S.
ISBN-10: 3-222-13205-4      ISBN-13: 3-222-13205-6

Die Wiener Journalistin C. Milborn, kritische Begleiterin europäischer wie globaler Einwanderungsmechanismen, bringt es auf den Punkt: „Europa ist dabei, eine Festung gegen Einwanderung zu bauen.“ (S. 6) Während an den europäischen Außengrenzen mit meterhohen Stacheldrahtzäunen und elektronischen Systemen gegen illegale Einwanderung aufgerüstet wird, werden im Inneren einzelner EU-Staaten Festungsmauern subtilerer Art gegen Migrantinnen und Migranten einschließlich ihrer in Europa geborenen Nachkommen errichtet.
Der Massenansturm einiger Tausend Flüchtlinge auf die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla oder die schweren Unruhen in den von Einwanderern bewohnten Pariser Vororten in den Jahren 2005/2006 machen deutlich, dass der massive Festungsbau Widerstand hervorruft. Bis die Wurzeln von Armut und Krieg vor allem in afrikanischen Ländern nicht beseitigt sind, werden die Menschen immer wieder versuchen, so die Annahme der Autorin, die Festung Europa zu unterwandern oder zu stürmen. Am Beispiel von Burkina Faso, einer Gegend in der Sahelzone, veranschaulicht sie den Teufelskreis von Elend und Flucht (Kapitel 9). „Europa ist ein Pulverfass geworden, dessen Zündschnur brennt.“ (S. 11)
Die gegenwärtigen Brennpunkte europäischer Einwanderungspolitik bilden die Schauplätze der eindringlichen und gründlich recherchierten Text- und Fotoreportagen. Diese Bilder bleiben haften. C. Milborn und der ebenfalls aus Wien stammende Fotoreporter R. Riedler besuchten Orte entlang der äußeren und inneren Festungsmauern Europas. Sie sprachen mit Betroffenen in geheimen Lagern an der marokkanisch-spanischen Grenze, in den Slums der „Illegalen“ im spanischen Gemüseanbaugebiet von Almería, im Pariser Vorort Seine-Saint- Dénis, in einem der islamisch geprägten Viertel Londons sowie im österreichischen Asylbetreuungszentrum Traiskirchen.
Eindrücklich macht die Autorin (Kapitel 6) auf die besondere Lage eingewanderter Frauen aufmerksam. Sie seien in vielen Fällen doppelt unterdrückt: innerhalb ihrer Familien und Gemeinschaften sowie als Diskriminierte in den Mehrheitsgesellschaften. „Ihre Schicksale sind zur Projektionsfläche der Diskussion um Integration geworden …“ (S. 131)
Die Gespräche, die sie mit der niederländischen Parlamentsabgeordneten Ayaan Hirsi Ali und Waris Dirie, UN-Sonderbotschafterin gegen weibliche Genitalverstümmelung, an einem geheimen Ort in Paris führte, decken die Brisanz gerade dieses Themas auf.
Der vorliegende Bericht über die katastrophale Lage von Einwanderern an den Grenzen und inmitten Europas setzt sich zugleich mit Positionen und Reaktionen der gegenwärtigen europäischen Einwanderungs- und Integrationspolitik vor dem Hintergrund weltweiter Migrationsbewegungen auseinander. Kernthese: „Es ist nicht die Einwanderung, die Probleme schafft – es ist der politische Umgang damit. Es ist auch nicht Europa, das gestürmt wird - es sind die Mauern einer Festung, die derzeit gebaut wird.“ (S. 7)
Speziell deutsche Erfahrungen z.B. im Hinblick auf Struktur und Anwendung des Zuwanderungsgesetzes vermittelt der 2006 im Campus Verlag erschienene „Migrationsreport 2006“, eine thematisch-chronologische Ergänzung des Bandes „Gestürmte Festung Europa“. Beide Bücher stehen in der Mediathek der RAA zur Verfügung.
Anhang und umfangreiche Anmerkungen.
M. Jonzeck

Lobermeier, Olaf:
Rechtsextremismus und Sozialisation
: eine empirische Studie zur Beziehungsqualität zwischen Eltern/Angehörigen und ihren rechtsorientierten Kindern / Olaf Lobermeier. Unter Mitarb. von Petra Pawelskus; Katarzyna Plachta. - 1. Aufl. - Braunschweig : Bildungsvereinigung Arbeit u. Leben, 2006. - 183 S. - (Empirische Studien; Bd. 2)
ISBN: 10 3-932082-20-6, ISBN: 13 978-3-932082-20-7

Die Studie "Rechtsextremismus und Sozialisation" wurde im Rahmen des entimon-Projekts "Wege aus der rechten Szene" bei der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG) in Braunschweig durchgeführt. 20 Eltern oder Angehörige von Kindern, die in die rechtsextreme Szene involviert waren bzw. sind,  wurden in problemzentrierten Interviews zur wechselseitigen Beziehungsqualität befragt. Der Ausgangspunkt war dabei die Frage, ob Eltern bei einem potentiellen Ausstieg aus der Szene eine wichtige Rolle einnehmen und ihre Kinder unterstützen können.
Nach früheren Autoritarismusstudien führt eine lieblose und straforientierte Erziehung in der Familie leicht zu fehlgeleiteten sozialen und politischen Orientierungen. Jedoch sollten diese Theorien nicht allzu dogmatisch verwendet werden, denn viele der hier vertretenen Eltern entsprechen keineswegs diesem Bild und standen ihren Kindern bei einem Ausstieg aus der rechten Szene mit viel Engagement zur Seite. In die Studie wurden vorwiegend Personen einbezogen, die - trotz der rechtsextremen Orientierung ihrer Kinder - den Kontakt zu ihnen aufrechterhielten und bereit waren, sie bei einem Ausstieg zu unterstützen.
Das Buch gliedert sich in 6 Hauptkapitel: Eingangs werden die theoretischen Aspekte familiärer Sozialisation erörtert, es folgen eine kurze Definition des Rechtsextremismus und Erläuterungen zum Design der Studie. Das 4. Kapitel beschäftigt sich mit Familienstrukturen der Interviewpartner. Dabei werden Kindheit, Familienalltag, die wechselseitigen Beziehungsformen und die subjektive Wahrnehmung der Kindheit berücksichtigt. Eltern-Kind-Beziehungen und die rechtsextreme Szene stehen im Mittelpunkt des 5.  und umfangreichsten Kapitels. Hier geht es um die Situation vor und während des Einstiegs in die rechtsextreme Szene und die dadurch bedingten Veränderungen und Gefährdungen der Eltern-Kind-Beziehungen. Ferner werden Handlungsstrategien und die Suche nach professionellen Hilfen sowie die wechselseitigen Beziehungen während der Ausstiegsphase geschildert. Die im nächsten Kapitel folgende Zusammenfassung bestätigt, dass die eingangs erwähnten Autoritarismusstudien nicht als allgemein gültiger Maßstab angewendet werden können. Nicht nur autoritär geprägte oder in schwierigen sozialen Verhältnissen lebende Familien, sondern auch solche mit intakten Strukturen können mit Rechtsextremismus konfrontiert werden. Der Einstieg in die Szene gestaltete sich fast immer als "schleichender Prozess"; drastische Störungen des Familienalltags waren die Folge, und die Zeit der Szenezugehörigkeit wurde zu einer Zerreißprobe für die Eltern-Kind-Beziehung. Die Frage, ob Eltern bzw. enge Angehörige für ihre Kinder bei einem Szeneausstieg eine Ressource darstellen können, lässt sich abschließend jedoch eindeutig positiv beantworten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Eltern bereit sind, viel Beharrlichkeit und Mühe zu investieren, sich auch durch Rückschläge nicht entmutigen lassen und gegebenenfalls bereit sind, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Ein umfangreicher, mehr als 100 Seiten umfassender Anhang enthält gut lesbare Interpretationstexte zu allen 20 Interviews. Literaturhinweise.
Thomas Wagner

Gottschlich, Jürgen:
Das Kreuz mit den Werten : über deutsche und türkische Leitkulturen / Jürgen Gottschlich; Dilek Zaptçioğlu. – 2. Aufl. – Hamburg : edition Körber-Stiftung, 2006. – 263 S. : 8 Fotos
ISBN 3-89684-059-2
In der Debatte um den möglichen Beitritt der Türkei in die EU ging es zunächst um ökonomische Fragen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 veränderte sich die Diskussion radikal. Jetzt ging es vorrangig um eine Wertediskussion: “Worin besteht der Kernbestand westlicher Werte, was ist die Wertebasis der Europäischen Union und inwieweit unterscheidet sich diese von den Werten anderer speziell der islamischen Gesellschaften?” (S. 15) Die Autoren, privat und beruflich ein türkisch-deutsches Paar, haben von Istanbul aus diesen Diskurs hautnah miterlebt und mitgeführt. (S. 15)
Sie untersuchen in ihrem Buch, einer Mischung aus Analyse, Interview, Porträt und Reportage, inwieweit sich deutsche und türkische Werte voneinander unterscheiden. Sie greifen Aussagen zu gefühlten und Meinungswerten von Türken und Deutschen über den jeweils anderen auf, die die bekannten Vorurteile und Stereotype bedienen.
Ferner analysieren Gottschlich und Zaptçioğlu verschiedene soziologische Studien, die belegen, dass die Entwicklung von Werten und Normen eng mit der ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft zusammenhängt. (S. 51) “Bei allen Fragen gibt es entsprechend dem Wohlstandsgefälle der einzelnen Länder ein Gefälle von postmodernen hin zu traditionellen Werten.” (ebenda)
Des weiteren vergleichen die beiden Journalisten die Grundrechte der deutschen Verfassung mit denen der türkischen Verfassung. Sie gelangen dabei zu dem Ergebnis, “dass die kodierte gesellschaftliche Werthaltung durchaus ähnlich ist.” (S. 58)
Zwei weitere Beiträge über den Wertewandel in der Türkei und in Deutschland schließen sich an. D. Zaptçioğlu schreibt über die Werteentwicklung in der Türkei vom Ende des Osmanischen Reiches bis in die Gegenwart. Der radikalste Wertewandel vollzog sich ihrer Auffassung nach in den 1920er und 1930er Jahren unter Mustafa Kemal Atatürk, dem Begründer der Türkischen Republik. Religion wurde u.a. zur Privatsache erklärt und das Tragen religiöser Kleidung in der Öffentlichkeit verboten. (S. 79) Diesem Aufbruch folgte aber nur ein kleiner Kreis der städtischen wohlhabenden Bevölkerung. Arme und ländliche Bevölkerungsschichten lebten weiterhin nach alten traditionellen Werten.
J. Gottschlich analysiert den Wertewandel der letzten 40 Jahre in der Bundesrepublik, in der sich ein rasanter gesellschaftlicher Wandel erstmals 1969 unter der ersten sozialliberalen Regierung vollzog. Im selben Jahr wurde die Strafbarkeit von Ehebruch und Homosexualität abgeschafft. Alternative Lebensformen und neue Wertvorstellungen wurden zum Programm antiautoritärer, feministischer und ökologischer Gruppierungen.
Nach 1989 prallten die unterschiedlichen Wertvorstellungen in Ost- und Westdeutschland aufeinander. Die damit verbundene Wiederentdeckung der Nation führte bei Teilen der deutschen Bevölkerung zu Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit. “Unter dem ökonomischen Druck der Globalisierung ist eine Minderheit indessen dabei, Nation und Deutschtum wieder als identitätsstiftendes Element und vermeintlich selbstverständlichen Wert zu entdecken.” (S. 130) Im Verlauf des Wertewandels, so der Autor, habe die Selbstbestimmung des Individuums unangefochten Vorrang vor den Rechten des Kollektivs, sei es der Staat oder die Familie. (S. 133)
In Reportagen und Porträts schildern die Autoren dann, wie sich unterschiedliche Werte im Alltag der deutschen und türkischen Gesellschaft auswirken.
Im abschließenden Kapitel reflektieren sie ihre Eindrücke vom 11. deutsch-türkischen Symposium der Körber-Stiftung unter dem Motto “Europas Werte: Der christliche, muslimische, säkulare Beitrag”. D. Zaptçioğlu merkt dazu kritisch an, dass die deutschen Teilnehmer ihre “Werte” gar nicht zur Debatte gestellt hätten, sondern sich ausschließlich auf negative Aspekte türkischer Werte wie “Ehrenmorde”, Zwangsehen und jugendliche Machos fokussierten. Für die große Mehrheit der Türken gehörten jedoch Gemeinsinn, Solidarität, kollektives Leben und Vaterlandsliebe zu den wichtigsten Werten. (S. 22)
Für diejenigen, die den deutsch-türkischen Dialog auf gleicher Augenhöhe führen wollen, ein wichtiges informatives Buch.
Gisela Jonas

Decker, Oliver:
Vom Rand zur Mitte : rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in Deutschland / Oliver Decker; Elmar Brähler. Unter Mitarb. von Norman Geißler; hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. – Berlin, 2006. – 184 S. – (Forum Berlin)
ISBN 10: 3-89892-566-8

Fundierte Umfragewerte, die dieser Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland zu Grunde liegen, bekräftigen einmal mehr die Erkenntnis, dass die Ausprägung des Rechtsextremismus kein Randphänomen, sondern ein politisches Problem in der traditionellen Mitte der Gesellschaft ist. „Rechtsextreme Einstellungen sind durch alle gesellschaftlichen Gruppen und in allen Bundesländern gleichermaßen hoch vertreten.“ (S. 157)
Zu diesem beunruhigenden Resultat gelangen die Leipziger Wissenschaftler  E. Brähler und O. Decker in Auswertung einer bundesweiten Datenerhebung, die zuletzt 2006 durchgeführt wurde. Fünftausend repräsentativ ausgewählte Personen wurden aufgefordert, auf  einem Fragebogen zum Rechtsextremismus ihre Ansichten zu 18 entsprechenden Aussagen in Abstufungen zwischen Ablehnung und Zustimmung zu äußern (Tab. 2.1.1,  S. 32-34).
Aus den Antworten der Befragten wurde ein mehrdimensionales rechtsextremes Einstellungsmuster abgeleitet. (S. 20). Die sich daraus ergebenden Daten, ergänzt durch Ergebnisse analoger Befragungen zu politischen Aspekten wie Einstellung zur Demokratie, Gewaltbereitschaft und Autoritarismus wurden für die Studie anhand detailliert aufgeschlüsselten Zahlenmaterials (Tabellen, Diagramme) und ausführlicher Texterklärungen aufbereitet und transparent gemacht.
Es zeigt sich, dass trotz punktuell unterschiedlicher Werte im Ost/West-Vergleich bundesweit ausländerfeindliche, chauvinistische und antisemitische Aussagen die höchsten Zustimmungswerte erhalten (Tab. 2.2.1, S. 43). Die Datenanalyse bestätigt: Ausländerfeindliche Einstellungen verhärten sich. Fast 40 % der Deutschen vertritt die Auffassung, dass die Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet sei (Diagramm 2.1.3, S. 37). Deutlich wird, dass der Osten Deutschlands für ausländerfeindliche Vorurteile besonders empfänglich ist. Ausländerfeindlichkeit, so resümieren die Autoren, „scheint für weite Teile der Bevölkerung, unabhängig von Geschlecht, Bildungsgrad oder Parteienpräferenz konsensfähig zu sein.“ (S. 159)
Der Benutzer der Studie wird mit weiteren Ergebnissen zu diesem brisanten Thema konfrontiert: Ein hoher  Anteil rechtsextrem eingestellter Deutscher gehört demnach zur Wählerschaft der großen demokratischen Parteien (Tab. 2.2.8, S. 53). Das Gleiche gilt für Gewerkschaften (Tab. 2.2.9, S. 54) und Kirchen (Tab. 2.2.10, S. 55).
Widerlegt wird die landläufige Meinung, rechtsextreme Ideologie würde vorwiegend durch junge Neonazis vertreten. Fakt  ist: Mit 41,8 % bilden Vorruheständler und Rentner die größte Gruppe innerhalb der rechtsextrem Eingestellten. (S. 113)
Auf der Suche nach Ursachen für Rechtsextremismus zeigt sich nach Auffassung der Forscher, „dass die Stärke der rechtsextremen Einstellung sowohl mit psychischen als auch mit sozialen Einflussfaktoren erklärt werden kann.“ (S. 125). In Relation dazu stehen  Demokratiedefizite dieser Gesellschaft wie Armut und Arbeitslosigkeit, Werteverfall, Bildungsverluste und mangelnde Transparenz demokratischer Entscheidungsprozesse  zur Debatte.
Die vorliegende Daten- und Problemanalyse beinhaltet zwar Überlegungen zu politischen Konsequenzen, kann aber nicht den Königsweg zur Lösung dieses gesamtgesellschaftlichen Problems weisen. „Hier ist“, heißt es abschließend, „jede gesellschaftliche Institution gefragt, über Strategien gegen Rechtsextremismus nachzudenken und diese umzusetzen.“ (S. 158).
An dieser Stelle weisen wir auf eine weitere, ebenfalls 2006 von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Publikation hin: „Die Ursachen von Rechtsextremismus und mögliche Gegenstrategien der Politik“ – Dokumentation einer Bürgerkonferenz.
Glossar; Literaturverzeichnis.
M. Jonzeck

Der Islam in der Gegenwart / Hrsg. Werner Ende; Udo Steinbach. – 5., aktualisierte und erw. Aufl. – Bonn : Bundeszentrale für politische Bildung, 2005. - 1064 S.  (Schriftenreihe; Bd. 501)
ISBN 3-89331-625-6

Dieses erstmals 1984 erschienene Standardwerk wurde 2005 in der nunmehr 5. Auflage in aktualisierter und erweiterter Form neu veröffentlicht. Inhaltlich gliedert sich der Band in drei Hauptteile, die nachfolgend kurz vorgestellt werden sollen:
Der erste Teil bietet einen historischen Überblick über die Entstehung und Ausbreitung des Islam. Beginnend mit dem Wirken Mohammeds werden darin die  Wurzeln dieser Religion, die Expansionsbestrebungen und ersten Eroberungskriege (durch die der Islam rasch zu einer Weltreligion aufstieg), konfessionelle Spaltungen und die Bildung erster islamischer Nationalstaaten geschildert. Darüber hinaus widmen die Autoren sich auch Fragen von Theologie und Recht im sunnitischen und schiitischen Islam sowie den islamischen Erneuerungsbewegungen und fundamentalistischen Strömungen. Das abschließende Kapitel liefert Zahlen und Informationen zum gegenwärtigen globalen Anteil der Muslime und ihrer konfessionellen Zugehörigkeit (aufgrund der schwierigen Quellenlage bzw. widersprüchlicher Aussagen in den verwendeten Quellen konnte hier ein Anspruch auf absolute Zahlengenauigkeit nicht erfüllt werden).
Der zweite und umfangreichste Teil befasst sich mit der politischen Rolle des Islam in der Gegenwart. Hier liegt der eigentliche Schwerpunkt des Buches und so findet sich,  über runde 600 Seiten verteilt, eine Vielzahl von Unterthemen: Die islamische Ökonomie und Rechtsentwicklung werden ebenso erläutert wie die innerislamische Diskussion um Säkularismus, Demokratie und Menschenrechte und die Situation der Frauen. Weitere Kapitel behandeln: Islamismus, Bruderschaften, Volksislam, Sekten und Sondergruppen, internationale islamische Organisationen, Islam in der Diaspora  sowie Umgang mit nichtislamischen Minderheiten. Anhand von 24 ausgewählten Ländern wird die stark variierende Stellung des Islam in modernen Staatsformen vorgeführt.
Der dritte Teil widmet sich der islamischen Kunst und Kultur der Gegenwart. Darin werden die Geschichte des Orientalismus, aber auch Themen wie lokale Traditionen des Islam, islamische Idiome und der Islam im Spiegel zeitgenössischer Literatur muslimischer Völker (von koraninspirierten Stoffen bis zu Sozialkritik und moderner fundamentalistischer Belletristik) behandelt. Auch zeitgenössische Malerei, Graphik und Architektur (Entwicklung der modernen Kunst, Kunst als Spiegel der ideologischen Entwicklung, Tradition und „Verwestlichung“, stilistischer Übernationalismus als Reaktion auf kulturelle Entwurzelung, islamische Industriebauarchitektur) werden dem Leser nahe gebracht.
Der Anhang enthält: umfangreiche Anmerkungen sowie ein Literaturverzeichnis zu jedem einzelnen Kapitel, Erläuterungen zu Umschrift und Aussprache, Personen-, Sach- und  geographisches Register, Kurzinfos zu den Autorinnen und Autoren.
Die Herausgeber beabsichtigten, mit diesem Band ein umfassendes Handbuch vorzulegen, das sich sowohl an interessierte Laien wie auch an Studierende wendet. Die Beiträge präsentieren den aktuellen Forschungs- und Wissensstand in sachlicher Form, die Darstellung wird möglichst verständlich gehalten und die fachspezifische Terminologie auf ein Minimum beschränkt. Für die 5. Auflage wurde das Themenspektrum der Aktualität und den veränderten Interessenschwerpunkten der Leser angepasst. So wurde u. a. das Kapitel „Der Islam in der Diaspora“ erweitert und auch die spätestens seit dem 11. September 2001 gestiegene Bedeutung des militanten Islamismus und Terrorismus in verstärktem Maße berücksichtigt.
Thomas Wagner

Interkulturell denken und handeln : theoretische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis / Hrsg. Hans Nicklas; Burkhard Müller; Hagen Kordes. – Frankfurt/Main [u.a.] : Campus-Verl., 2006. – 419 S. –  (Europäische Bibliothek interkultureller Studien; Bd. 12)
ISBN-10: 3-593-38020-X

Ebenso eindeutig wie einleuchtend ist der von den Herausgebern dieses theoretisch fordernden Handbuches vertretene Kerngedanke, dass die Bewältigung interkultureller Probleme  zu Beginn des 21. Jahrhunderts „nicht mehr nur eine Frage des gesellschaftlichen Umgangs mit Minderheiten ist. Sie ist vielmehr zur allgemeinen Lebensbedingung geworden ... Wer dies verstehen will, braucht mehr als eine Pädagogik der kulturellen Integration.“ (S. 12)
Davon ausgehend fasst der thematisch breit gefächerte und differenziert gegliederte Band den derzeitigen Stand der interkulturellen Diskussion in Deutschland und Frankreich zusammen. Er bezieht sich dabei auf einen schon 1999 in Frankreich erschienenen Vorläuferband. Schlüsseltexte daraus, u.a. Abhandlungen des französischen Philosophen und Sozialpsychologen Jaques Demorgon, wurden in die vorliegende Edition übernommen.
In und mit ihren mehr als 40 fundierten Einzelbeiträgen zum Thema Interkulturalität tragen die Autoren – Forscher und Praktiker – dazu bei, eine oft noch anzutreffende „Begrenzung und Segmentierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über den interkulturellen Wandel Schritt für Schritt zu überwinden.“ (S. 14)
Der thematische Bogen des Buches spannt sich von der Erläuterung oft gebrauchter Schlüsselbegriffe (Multikultur, Transkultur, Leitkultur, Interkultur; Ethnien, Nationen, Zivilisationen) und historischer Entwicklungslinien über interkulturelle Probleme und  Handlungsfelder wie Schule, Sozialarbeit und Gesundheit, Management und Pädagogik internationaler Begegnungen bis hin zu praktischen Methoden und Interventionsformen in der interkulturellen Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen.
Mit aktuellen Fragen der Diskriminierung von Migranten setzt sich Axel Schulte in seinem Beitrag „Diskriminierung als soziales Problem und politische Herausforderung“ (S.369-380) auseinander. In Bezug auf wirksame Antidiskriminierungsmaßnahmen warnt der Autor vor allzu einfachen wie eingleisigen Lösungswegen. Er plädiert für eine „kombinierte Strategie“ (S. 373) als aussichtsreichste Gegenmaßnahme.
Ohne Zweifel ist das Handbuch sowohl für die Forschung als auch für die interkulturelle Praxis von besonderer Bedeutung. Seine von den Herausgebern ausdrücklich betonte  Eignung als Nachschlagewerk und Lehrbuch für die Aus- und Weiterbildung von Lehrern, Erwachsenenbildnern, Managern und Sozialarbeitern wird es jedoch erst in der Praxis selbst unter Beweis stellen müssen.
Literaturangaben am Ende jedes Beitrags, Register der Schlüsselbegriffe.
Marianne Jonzeck

Binationale Gesprächsreihe – Aspekte der Fremdenfeindlichkeit in Europa : die Dokumentation / ein Projekt von Gesicht Zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland. – Berlin, 2005. – 182 S.

„Die Vielfalt ist eine Herausforderung für eine Gesellschaft, nicht die Einfalt. Gesicht Zeigen! will mit der Binationalen Gesprächsreihe deutlich machen, dass Antisemitismus und Rassismus kein allein deutsches Problem sind, sondern auch ein europäisches.“ (Michel Friedman, S. 44) Von Dezember 2003 bis Oktober 2004 fanden dazu fünf Podiumsdiskussionen in den Botschaften von Großbritannien, Frankreich, Österreich, Belgien und der Türkei in Deutschland statt. Sie befassten sich mit folgenden Themen: Umgang mit Rassismus, Präventionsmodelle, Rolle der Medien, gesellschaftliche Rolle der Migranten, Umgang mit Religionsgruppen. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Vergleich zwischen Deutschland und dem jeweiligen anderen EU-Land.
Bei der Veranstaltung in der Britischen Botschaft ging es z.B. um „die Teilhabe von MigrantInnen in den Bereichen Politik, Kultur und Gesellschaft. … EinwanderInnen leben ganz selbstverständlich ihre eigene Kultur und Religion, … Gleichwohl sind sie Teil der Gesellschaft, dies zeigt sich vor allem in der Vergabe der britischen Staatsbürgerschaft.“ (S. 167) Hierin und auch bei der Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie der EU in nationales Recht liegt ein grundlegender Unterschied zu Deutschland vor.
Im Erfahrungsaustausch zwischen Deutschland und Frankreich standen die Fremdenfeindlichkeit als gesamtgesellschaftliches Phänomen sowie die Verantwortung von Politik und Medien im Mittelpunkt. Dabei zeigten sich Parallelen wie auch Unterschiede zwischen beiden Ländern. So wurde das so genannte „Kopftuchproblem“ anders als in Deutschland gelöst.
Hoch aktuell für die gegenwärtige Diskussion in Deutschland (s. erste Islamkonferenz) dürfte die Gesprächsrunde zum Umgang mit dem Islam in der Österreichischen Botschaft sein. Als einziges Land in Europa hat Österreich bereits seit 1912 den Islam als Religionsgemeinschaft anerkannt. Alleinige Vertretung aller Gruppierungen des Islam in Österreich ist die „Islamische Glaubensgemeinschaft“. Der muslimische Religionsunterricht ist seit 1982 an österreichischen Schulen selbstverständlich.
Bildung als Garant für gesellschaftliche und politische Partizipation der Migranten war das auch für Deutschland relevante Thema der Podiumsdiskussion in der Belgischen Botschaft.
Die Abschlussveranstaltung in der Türkischen Botschaft griff noch einmal alle Themen auf, die bereits in anderen Gesprächsrunden behandelt wurden: Einwanderung, Kultur und Religion der Migranten, Rechte und Pflichten sowohl der Migranten als auch der aufnehmenden Gesellschaft, gesellschaftliche Partizipation sowie der EU-Beitritt der Türkei.
Im Vorfeld dieser binationalen Gesprächsreihe recherchierte Gesicht Zeigen! aktuelle landesspezifische Informationen, die in der vorliegenden Dokumentation der jeweiligen Gesprächsrunde aufgenommen wurden. Interviews mit den Fachexperten der Podiumsdiskussionen vertiefen zusätzlich den jeweiligen Themenbereich. Sehr informativ auch der anschließende Ländervergleich im Hinblick auf: Migrationsgeschichte / Migration in Zahlen sowie Integration / Zuwanderung, Staatsbürgerschaftsrecht, Antisemitismus / Islamophobie und Kopftuchdebatte. Biographische Daten der Podiumsteilnehmer (wie zu Seyran Ates, Marieluise Beck, Tahar Ben Jelloun, Emine Demirbüken-Wegner, Renan Demirkan, Michel Friedman, Peter Heine, Bob Purkiss, Anas Schakfeh und Jozef de Witte) schließen den Band ab. Mit Bibliographie.
Gisela Jonas

Radikale Rechte und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland und Polen : nationale und europäische Perspektiven / hrsg. von Michael Minkenberg ; Dagmar Sucker ; Agnieszka Wenninger. – Bonn : Informationszentrum Sozialwissenschaften, 2006. - 306 S.
ISBN 3-8206-0152-X
(Ausgabe in poln. Sprache ISBN 3-8206-0153-8)

Sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus sehen sich die europäischen Demokratien mit einer Renaissance des Rechtsextremismus konfrontiert. Rechtsradikale Parteien und Bewegungen gehören inzwischen längst zur politischen Normalität und konnten z. T. besorgniserregende Erfolge verbuchen.  In West- und Osteuropa häufen sich rechtsextremistisch/rassistisch motivierte Überfälle und Ausschreitungen, so dass z. B. in Deutschland bereits öffentliche Warnungen vor so genannten „No Go Areas“ ausgesprochen und diskutiert wurden.
Der vorliegende (als deutsch- und polnischsprachige Ausgabe veröffentlichte) Band widmet sich diesem bedrohlichen Phänomen in 16 Beiträgen west- und osteuropäischer Autoren. Sie gliedern sich in drei Hauptabschnitte. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt dabei auf der Situation in Deutschland und Polen.
Der Großteil der hier gesammelten Beiträge entstand im internationalen Workshop „The Radical Right and Xenophobia in Germany and Poland: National and European Perspectives“, der im Rahmen des Deutsch-Polnischen Jahres 2005 von der Professur für Politikwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina gemeinsam mit der GESIS Servicestelle Osteuropa im November 2005 veranstaltet wurde.
Im ersten Abschnitt zu dem Thema “Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit im Blick der Sozialwissenschaften: Europa-Deutschland-Polen“ erörtern die Autoren  Ursachen, Ausprägungen und mögliche Zusammenhänge fremdenfeindlicher/rechtsradikaler Tendenzen sowie den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand zur Thematik. Dabei werden die Entwicklungen in Deutschland und Polen verglichen, zugleich aber auch die Erfolge von Rechtspopulisten im gesamteuropäischen Kontext betrachtet (so z. B. der Aufstieg Pim Fortuyns in den Niederlanden, die Geschichte des Front National in Frankreich und die aufstrebenden faschistischen und nationalkommunistischen Parteien in ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten).
Im Abschnitt “Politik gegen Rechts“ widmen sich vier Einzelbeiträge den (partei-)politischen Strategien und Initiativen gegen Rechtsradikalismus. Ferner werden hier auch die Rolle des Verfassungsschutzes, die Gesetzeslage und Maßnahmen gegen Intoleranz erörtert. Dabei wird deutlich, dass von den demokratischen Parteien und Justizorganen vorwiegend auf eine Strategie staatlicher Verbote und Repressionen gesetzt, präventive Maßnahmen wie z. B. aufklärende Jugendarbeit jedoch jahrelang sträflich vernachlässigt wurden.
Unter dem Thema “Zivilgesellschaft gegen Rechts“ befassen sich Autoren wie Thomas Grumke, Harald Klier und Simone Wiegratz in ihren Texten mit zivilgesellschaftlichem Engagement und der Rolle von Nichtregierungsorganisationen im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Darin werden u. a. die Tätigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Landes Brandenburg und verschiedene NGOs und ihre europaweite Vernetzung beschrieben.
Der Anhang enthält Beschreibungen deutscher und polnischer institutioneller Forschungsprojekte zum Thema Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Mit einer Autorenliste.
Thomas Wagner

Zuwanderungsland Deutschland : Migrationen 1500 - 2005 / für das Deutsche Historische Museum hrsg. von Rosmarie Beier-de Haan. - Berlin : Deutsches Historisches Museum ; Wolfratshausen : Ed. Minerva, 2005.  - 383 S. : Ill.
ISBN 3-86102-136-6 (Museumsausg.)   ISBN 3-938832-02-9 (Buchhandelsausg.)

Mit Blick auf das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)" präsentierte das Deutsche Historische Museum vom 22. Oktober 2005 bis 12. Februar 2006 unter dem thematisch verbindenden Titel "Zuwanderungsland Deutschland" die beiden Ausstellungen "Migrationen 1500 - 2005" und "Die Hugenotten". Dazu erschienen gleichnamige Begleitbände.
Rosmarie Beier-de Haan, Kuratorin der erstgenannten Ausstellung und Herausgeberin des vorliegenden Katalogs, reflektiert in ihrem erklärenden Einführungsbeitrag die von einem weiten Migrationsbegriff ausgehende  Zielsetzung des Ausstellungsprojekts. Es sollte historisch nachgewiesen und anschaulich gemacht werden, dass Zuwanderung nach Deutschland kein Phänomen etwa nur des 19. bzw. des 20. Jahrhunderts darstellt, sondern auf eine annähernd 500-jährige Geschichte zurückblicken kann. "Die Darstellung beleuchtet schlaglichtartig ... temporäre Arbeitsmigration und Wanderhandel ebenso wie dauerhafte Einwanderung, Flucht aus religiösen und politischen Motiven wie auch die Zwangsmigrationen des 20. Jahrhunderts." (S. 10)
Dass Migration demzufolge "eine zentrale Dimension deutscher Geschichte ist" (S. 12), vermittelt der rundum überzeugende Katalog sowohl mit seinen profunden Fachaufsätzen als auch mit seinem umfangreichen Bildteil. Im Rahmen der sich thematisch aufeinander beziehenden Aufsätze, wissenschaftliche Ergänzung  der Ausstellung "Migrationen 1500 - 2005", nimmt die allumfassende Analyse von Klaus J. Bade und Jochen Oltmer unter dem Titel "Migration und Integration in Deutschland seit der Frühen Neuzeit" (S. 20-49) eine Schlüsselstellung ein. Dieser geschichtliche Exkurs berührt dabei auch Fragen der empirischen und historischen Migrationsforschung in Deutschland. Großes Interesse aller an der Migrations- und Integrationsarbeit Beteiligten dürften ebenfalls Dieter Gosewinkels Beitrag "Wer ist Deutscher? Deutsche Staatsangehörigkeit im 19. und 20. Jahrhundert" (S. 90 - 105)  sowie der aktuelle Bericht von Steffen Angenendt über "Migrations- und integrationspolitische Entwicklungen, Herausforderungen und Strategien in ausgewählten EU-Staaten" (S. 134 - 147) auslösen.
Ein Fest für's Auge ist der neben den Fachaufsätzen zweifellos dominierende Katalogteil mit der bildlichen Wiedergabe von 60 bedeutenden Ausstellungsexponaten. Jedes dieser Ausstellungsstücke wird im historischen Kontext kommentiert.
Es folgen Selbstzeugnisse - 30 autobiographische Texte in Auszügen - von dauerhaft oder zeitweilig Zugewanderten; ferner ein Gesamtverzeichnis aller Ausstellungsobjekte, Literaturhinweise sowie weitere Informationen zu Ausstellung und Katalog.
In diesem opulent ausgestatteten Foto-Text-Band kann der Leser und Betrachter ungestört Migrationsprozesse in ihren politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, religiösen und kulturellen Zusammenhängen (S. 10) nachvollziehen.
Marianne Jonzeck

Smith, David James:

Wenn die Welt ein Dorf wäre … : ein Buch über die Völker der Erde / David J. Smith. Aus d. Engl. von Hildegard Gärtner. Ill. von Shelagh Armstrong. – Wien ; München : Jungbrunnen, 2002. – 32 S.:  farb. Abb.
Einheitssacht.: If the world were a village
ISBN 3-7026-5743-6

Dieses Buch richtetet sich an ein Lesepublikum ab 8 Jahren.
Dem Autor nach soll es Kindern helfen, sich die Welt besser vorstellen zu können. Einhundert Bewohner eines Dorfes vertreten die etwa 6,2 Milliarden Menschen der Erde.
Auf farbig illustrierten großen Seiten werden ihre Herkunft, Sprachen, Altersstufen, Religionen, ihre Anteile am Reichtum, an Energie, am Wasser, ihre Vergangenheit und ihre Zukunftsaussichten dargestellt.
„Es ist das Bewusstsein, dass unsere Erde eigentlich ein Dorf ist, ein kleines, wertvolles Dorf, das wir mit unseren Nachbarn teilen. Das Wissen, wer unsere Nachbarn sind, wo und wie sie leben, hilft uns, in Frieden mit ihnen zu existieren.“ (S. 30)
Die für alle Aussagen verwendeten Quellen und Statistiken stammen aus den Jahren 1991 bis 2001.
Bisher dienten auf statistischen Daten basierende Verkleinerungen der Weltbevölkerung oftmals zur politisch-korrekten Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in der Welt.
Dass die Methode der Vereinfachung durch maßstabsgerechtes Minimieren ihre Schwächen hat, zeigt das Kapitel „Sprachen“. Wie soll sich ein Kind 100 Dorfbewohner vorstellen, die 6000 Sprachen sprechen?  Wenn es den Umstand bedenkt, mit 8 Sprachen mehr als die Hälfte der Dörfler verstehen zu können, bieten sich mathematisch anspruchsvolle Überlegungen für mögliche Sprachenaufteilungen innerhalb der übrigen Dorfbevölkerung.
Da ein Modell grundsätzlich Aspekte der Wirklichkeit vernachlässigt, sollte der aus dem Buch zu ziehende Erkenntnisgewinn nicht gefährdet sein.
Thomas Kunzke

Erfolg in der Nische? : die Vietnamesen in der DDR und in Ostdeutschland / Hrsg. Karin Weiss ; Mike Dennis. – Münster [u.a.] : LIT Verl., 2005.  – 170 S. – (Studien zu Migration und Minderheiten : Studies in Migration and Minorities; Bd. 13)
ISBN 3-8258-8779-0

„Die DDR war ein Paradies. Damals war sie für uns ein wunderbares Land“ (S. 97), Zitat aus einem von 30 biografischen Interviews mit ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeitern, geführt zwischen 2002 und 2004. Diese Interviews werden von Eva Kolinsky in ihrem Beitrag „,Paradies Ostdeutschland’ – Migrationserwartungen und Migrationserfahrungen  ehemaliger Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen aus Vietnam“ ausgewertet.
Auf der Grundlage des Regierungsabkommens zwischen der DDR und der SR Vietnam vom 11. April 1980 beziehungsweise der Neufassung vom 1. Juli 1987 kamen bis 1989 etwa 60 000 Vertragsarbeiter in die DDR.
Die Publikation stützt sich auf Ergebnisse eines von der University of Wolverhampton initiierten und durchgeführten Forschungsprojektes, an dem auch die Fachhochschule Potsdam beteiligt war. Auf der Datenbasis von Dokumenten aus der Zeit der DDR untersucht Mike Dennis (Projektleiter) in seinem Beitrag insbesondere die Lebens- und Arbeitsbedingungen  der vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR im Zeitraum von 1980 bis 1989. Er stellt fest: „Eine Integration der Vertragsarbeiter in die DDR-Gesellschaft war dabei weder erwünscht noch erlaubt, die Vertragsarbeiter lebten in einer geschlossenen separaten Kultur, die nur punktuell Kontakte zur umgebenden deutschen Gesellschaft entwickeln konnte, sich aber dennoch auf ihre Weise in dieser Gesellschaft behauptete.“ (S. 10)  Andere Kapitel zeigen auf, wie sich seit der Zeit der Wende die Lebenssituation der ehemaligen Vertragsarbeiter veränderte. So beschreibt Almuth Berger, damalige Staatssekretärin für den Bereich Ausländerangelegenheiten, wie aufgrund des Zusammenbruchs der DDR-Wirtschaft die Arbeitsverträge der Vertragsarbeiter gekündigt und ihre Wohnheime aufgelöst wurden. Viele mussten das Land verlassen bzw. waren plötzlich auf sich allein gestellt. An diesem Punkt setzte die Arbeit der Ausländerbeauftragten in den neuen Bundesländern ein. Eva Kolinsky schildert in ihrem Beitrag „Das Ende der Unberatenheit – Ausländerbeauftragte in Ostdeutschland“, wie es gelang, das Amt eines Ausländerbeauftragten organisatorisch in den Stadtverwaltungen zu verankern. Gemeinsam setzten sich die Ausländerbeauftragten für ein Bleiberecht der in Ostdeutschland verbliebenen Vertragsarbeiter ein. 1993 wurde eine erste Bleiberechtsregelung erkämpft und 1997 ein endgültiges Bleiberecht verabschiedet. Karin Weiss beschreibt in zwei Beiträgen die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aufenthalt sowie die berufliche, soziale und ökonomische Situation der ehemaligen Arbeitskräfte aus Vietnam unter den gegenwärtigen Bedingungen. Sie untersucht insbesondere den massiven Anstieg von Fremdenfeindlichkeit nach der Wende und hebt hervor, wie diese zu Solidarisierung, Selbsthilfe und ethnischen Netzwerken der Vietnamesen führten. Drei persönliche Berichte unterstreichen diese Entwicklung. Dao Minh Quang befasst sich mit den Strukturen der selbstständigen vietnamesischen Kleinunternehmer; Phuong Kollath schreibt über den ersten vietnamesischen Selbsthilfeverein „Diên Hông“ sowie über die Integrationsarbeit in Rostock; Hai Bluhm berichtet über den Frauenverein „Song Hong“ in Potsdam.
Hinzuweisen wäre noch auf einen ergänzenden Beitrag von Damian Mac Con Uladh, der sich mit den Alltagserfahrungen anderer ausländischer Vertragsarbeiter  in der DDR (aus Ungarn, Polen, Algerien, Kuba, Mosambik, Angola) auseinander setzt.
Quellen- und Literaturangaben.
Gisela Jonas

Stöss, Richard:

Rechtsextremismus im Wandel / Richard Stöss; Hrsg. Friedrich-Ebert-Stiftung. -  Berlin, 2005. - 224 S.

ISBN 3-89892-392-4

 

Richard Stöss, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, liefert einen umfassenden Überblick über den deutschen Rechtsextremismus. Ursachen, historische Hintergründe, Entwicklung, Programmatik und Organisationsformen in der Bundesrepublik werden fundiert erläutert. Daneben finden sich auch Informationen zu rechten Subkulturen, dem rechtsextremistischen Einstellungspotential in der Bevölkerung und zur Entwicklung des Rechtsextremismus im westeuropäischen Ausland.
Die Wurzeln des deutschen Rechtsextremismus reichen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. Nationalkonservative Repräsentanten aus Politik, Landwirtschaft, Mittelstand und Industrie schlossen sich in Verbänden zum Kampf gegen die "Bedrohung" durch die erstarkende SPD zusammen und forderten eine "Revolution von oben". Im Verlauf des 1. Weltkriegs entstand die in ihren Grundzügen noch heute gültige rechtsextremistische Ideologie. Radikale Nationalisten, die einen Verständigungsfrieden und innenpolitische Reformen um jeden Preis ablehnten, stellten sich damals gegen die Monarchie und die eigene konservative Klasse. Rechtfertigung für dieses fundamentaloppositionelle Verhalten war die Überzeugung, dass das Deutsche Reich in seinem Bestand durch äußere und vor allem auch innere Feinde (verkörpert durch Linke und Liberale) bedroht und der herrschende Konservatismus nicht in der Lage war, dieser Bedrohung Einhalt zu gebieten. In diesem Zusammenhang gewannen auch krude Rassentheorien zusehends an Bedeutung, in denen die weltweite Bedrohung durch das Judentum beschworen und die Höherwertigkeit der germanischen Rasse propagiert wurde.

Die einseitige Interpretation und Dramatisierung vermeintlicher Bedrohungen von innen und außen, das Schüren von Paranoia und Existenzängsten sowie Propagieren nationalistischen Größenwahns sind bis heute Kernelemente rechtsextremistischer Strategien. Der deutsche Rechtsextremismus befindet sich im Wandel und passt sich aktuellen Gegebenheiten an. So findet sich inzwischen die lange Zeit in der Mittelschicht präsente Anhängerschaft vorwiegend in den Unterschichten, was nicht zuletzt auf anhaltenden Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit zurückzuführen ist. Rechtsextreme Parteien wie NPD, DVU, Republikaner etc. und deren Jugendorganisationen legen ihre programmatischen Schwerpunkte heute weniger auf die "klassischen" Themen wie Nationalstolz und Geschichtsrevision, als vielmehr auf Arbeitsmarkt- und Sozialprobleme (Hartz IV etc.). So erreichen sie auch Wählerschichten, die bislang eher von den etablierten Parteien gebunden wurden. Die Reduzierung rechtsextremen Wahlverhaltens auf reine Protestmotive ist jedoch eine Verharmlosung. Statistischen Untersuchungen zufolge betrug das rechtsextremistische Einstellungspotential in Deutschland 2003 16% (in den neuen Bundesländern 23%, in den alten Bundesländern 14%). Besonders häufig finden sich diese Einstellungen bei Arbeitslosen, Arbeitern und Rentnern. Seit Mitte der 90er Jahre erhalten rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen vor allem in den neuen Bundesländern verstärkten Zulauf.

Das Buch enthält 20 Tabellen zu Wahlergebnissen und statistischen Untersuchungen sowie im Anhang Literatur- und Internetangebote und ein Abkürzungsverzeichnis.

Thomas Wagner

Bar-On, Dan:
Erzähl dein Leben! : meine Wege zu Dialogarbeit und politischer Verständigung  /
Dan Bar-On. - Hamburg : Ed. Koerber-Stiftung, 2005. - 267 S. - Aus dem Engl. übers.
ISBN 3-89684-044-4

Dan Bar-On, Experte der Dialogarbeit (S. 132) mit verschiedenen sozialisierten Gruppen aus unterschiedlichen Ländern, lehrt und forscht als Professor für Psychologie an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva. "Ein erfolgreicher Dialog zwischen erbitterten Gegnern", resümiert der international  anerkannte israelische Psychologe und Konfliktforscher, "ist der kostbarste Teil meiner Arbeit - ebenso die Enthüllung der vielen Schichten eines Interviews, besonders derer, die ganz alltägliche Dinge beschreiben" (S. 216). Deutsche und Juden, Israelis und Palästinenser ermutigte Bar-On, sich gegenseitig ihre persönlichen Lebensgeschichten zu erzählen - storytelling - , um den Abgrund zu überwinden, "den die paradigmatischen Erzählungen' ... ihrer jeweiligen Gesellschaften während des hartnäckigen Konflikts zwischen ihnen aufgerissen haben" (S.35). Bereits zu Beginn der 70er Jahre interviewte der Wissenschaftler Familien von Holocaustüberlebenden. In Deutschland wurde der 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz Ausgezeichnete zunächst durch seine Gespräche mit Kindern von NS-Tätern bekannt. In einer nächsten Phase versuchte Bar-On, "die Stimmen beider Seiten des Abgrunds in einen Dialog zu bringen" (S. 216). Er führte Nachkommen von NS-Tätern und Holocaustüberlebenden in der später durch Konfliktpartner aus Südafrika, Nordirland, Israel und Palästina erweiterten TRT-Gruppe (To Reflect and Trust) zusammen. Dieser internationalen Langzeitstudie folgten gemeinsam mit palästinensischen Kollegen und Vermittlern initiierte Dialogprojekte im israelisch-palästinensischen Kontext.
In seinem Buch "Erzähl dein Leben!" zieht Dan Bar-On das Fazit  seines Lebenswerkes und analysiert im Detail eigene Dialogerfahrungen im Spannungsfeld von top down- und bottom up-Prozessen. Dieser sehr persönliche Bericht schlägt den Bogen von der Familiengeschichte des 1938 in Haifa als Sohn deutscher Juden geborenen Autors über die Beschreibung beruflicher Wege bis zur eigentlichen Dialogarbeit. Die Synthese umfassender Forschungsprojekte und -prozesse erweist sich beim Lesen als ein durchaus aktueller Stoff. Einen breiten Platz darin nehmen Dialog- und Bildungsprojekte vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts ein.
Für Multiplikatoren aus Organisationen und Netzwerken dürfte in diesem Zusammenhang besonders das Kapitel "Dialogarbeit in anhaltenden Konflikten" (S. 132-171) von Interesse sein. Aufgeworfen wird hier u. a. die Fragestellung, warum Minderheiten mehr Schwierigkeiten als andere damit haben, "in Konfliktsituationen den Geschichten der dominanten Mehrheit zuzuhören und sie nachzuempfinden" (S. 151). Das wiederum impliziert die Frage, wann eine Geschichte 'gut genug' ist, um Aufmerksamkeit und Anteilnahme zu erreichen.
Seine auch für Gespräche an Dialogtischen sowie Workshops relevanten Aussagen schließt Bar-On mit der Nennung von Kriterien, "mit denen die generelle Idee der Versöhnung empirisch getestet werden kann" (S. 242): Vertrauen, Reflektionsvermögen, Identitätskonstruktion, zeitliche Dimension, Sprache, Zielgruppen, Hoffnung (ebenda). Umfangreiches Literaturverzeichnis.
Weitere Werke und Fachartikel des Autors können in der Mediathek der RAA entliehen werden.
Marianne Jonzeck

Gauß, Karl-Markus:
Die Hundeesser von Svinia
/ Karl-Markus Gauß. - Wien : Zsolnay, 2004. - 114 S.
ISBN 3-552-05292-5

Der mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnete österreichische Schriftsteller Karl-Markus Gauß  (geb. 1954) bereiste zwischen 2001 und 2003 mehrfach die Slowakei. Er machte sich auf die Suche nach Geschichte und Gegenwart der dort lebenden Roma. In der Slowakischen Republik leben Schätzungen zufolge etwa 400.000 bis 500.000 Roma. Dies entspreche etwa 9% der Gesamtbevölkerung.*
In seiner literarischen Reportage berichtet Gauß mit Empathie über die im Elend lebenden Roma in der Ostslowakei. Auf dem Weg zu den "Hundeessern von Svinia", einem der fürchterlichsten Roma-Slums, traf er auf  abgelegene ländliche Siedlungen, die auf vergifteten Böden ehemaliger Chemiefabriken errichtet worden waren. In dem früheren Neubaugebiet Lunik IX an den Rändern der Großstadt Kosice, das "zum größten Zigeunerghetto Europas verkommen war" (S.18), machte ihn die französische Architektin Marie Poirot mit den besonderen Lebensumständen und -bedingungen der etwa 4000 bis 6000 dorthin zwangsumgesiedelten Roma bekannt.
In Svinia, einem Ort, der jahrzehntelang fast ohne jede Verbindung zur Außenwelt existierte, lebten die Ausgestoßenen unter den Ärmsten der Roma; Menschen, die akzeptiert hatten, "dass sie auf ewige Zeiten Degesi sind, Hundeesser, die von den Roma, die kein Gadsche von ihnen zu unterscheiden vermag, als unrein verachtet und gemieden werden". (S. 107).
Nachdem internationale und nationale Hilfsorganisationen dieses Roma-Dorf entdeckt hatten, wurde das "Svinia Projekt" gestartet, mit dessen Initiativen versucht werden sollte, die Roma  unter Respektierung ihrer Eigenheiten aus dem Elend herauszuführen. In diesem Zusammenhang stellt Gauß fest: "Vielerorts weigerten sich die Roma jedenfalls, diese Lebensweise, sei sie ihnen gemäß oder erst durch die Zerstörung ihrer Kultur entstanden, aufzugeben. Was uns wichtig ist, scheint sie nicht zu stören, was uns stört, ist ihnen selbstverständlich. Man muss sich hüten, die Unterschiede kleinzulügen und zu glauben, sie würden sich mittels großzügiger Förderung kurzfristig wie von selbst aufheben. Solche Toleranz, die die Roma für fähig hält, gerade so zu leben wie wir und unsere ungeschriebenen Gesetze, die Ruhe, Sauberkeit, das Verhalten in der Öffentlichkeit zu respektieren, solche Toleranz ist nämlich gar keine. Toleranz wird erst draus, wenn man hinzunehmen gelernt hat, dass andere anders leben als wir und auch das Recht dazu haben". (S. 69)
Als "Chronist des randständigen Europas" führt Gauß den Leser in seinem 2002 erschienenen dtv Taschenbuch "Die sterbenden Europäer" zu den Sepharden von Sarajevo, Gottscheer Deutschen, Arbereshe, Sorben und Aromunen. In seinem neuesten Reisebuch "Die versprengten Deutschen" ist er unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer. Es erschien 2005 im Wiener Paul Zsolnay Verlag.
Gisela Jonas
* Slowakei : Massenproteste der Roma : Angehörige der Roma-Minderheit und Polizeikräfte lieferten sich Ende Februar heftige Auseinandersetzungen in der östlichen Slowakei. Auslöser der Proteste war die Ankündigung drastischer Kürzungen der Sozialhilfe.
in: Migration und Bevölkerung. - Nr. 2/2004. - S. 1-2

Ich denke oft an den Krieg : mit anderen Augen ; Kinder fotografieren den Krieg in Kosovo = I often think about the war = une mendoj shpesh per luften / [ein Kulturprojekt von Maikäferflieg e.V., KinderKulturBrücke ins Kosovo]. Hrsg. von Anna Berkenbusch ; Maren Niemeyer. - 1. Tsd. - Berlin, 2003. - 175 S. : farb. Abb. ; 20 cm
ISBN 3-0001-1083-6

Während des Kosovokrieges begannen Studenten, Lehrer und Künstler aus Berlin eine Foto- und Malaktion mit Kindern.
Sechs- bis Vierzehnjährige malten, was sie mit ihren Familien erlebten, als sie im Frühjahr des Jahres 1999 von serbischen Milizen aus ihren Heimatdörfern und Heimatstädten vertrieben wurden.
Schulkinder aus Pristina, Prizren und Djakova (Dakovica) fotografierten Monate später mit Einwegkameras und ohne Vorgaben der Initiatoren die vom Krieg veränderte Umgebung.
So entstanden etwa 400 Zeichnungen und 1700 Fotos.
Die Wanderausstellung "Mit anderen Augen" präsentiert seit April 2000 eine Auswahl der "Kinderbilder". Sie wurde bereits in vielen europäischen Städten gezeigt. Im September 2005 war sie anlässlich einer Veranstaltung des Goethe-Instituts in Beirut zu sehen.
Der vorliegende Ausstellungskatalog enthält neben Bildern dreisprachige Texte (Deutsch, Englisch, Albanisch), die von Kindern geschrieben wurden: ein Vorwort und Interviews.
Ausstellung und Katalog zeigen, dass Krieg - wenn man ihn überlebt hat - Leben und Alltag nachhaltig verändert. Beim Betrachten wirken Bildmotive der Hoffnung im Kontrast zu denen der Zerstörung. Kinder stehen vor Hausruinen, neben kaputten Autos, in verbrannten Wohnungen.
Viele Menschen werden Krieg, Vertreibung, Flucht und Rückkehr in die Heimat nicht vergessen. Das Buch wurde für den Deutschen Designpreis 2005 nominiert.
Wer die Ausstellung mieten möchte oder an einzelnen Bildern interessiert ist, der kann sich an Helga Koeppe von MaikaeferFlieg e. V. in Berlin info@maikaeferflieg.de  wenden.
Thomas Kunzke

Fredrickson, George M.:
Rassismus : ein historischer Abriß /
von George M. Fredrickson. Aus d. Amerikanischen übers. von Horst Brühmann ; Ilse Utz. - Hamburg : Hamburger Edition, 2004. - 194 S.
ISBN 3-930908-98-0

Der amerikanische Historiker bietet einen Abriss der Entwicklung des Rassismus vom Mittelalter  bis zur Gegenwart. "Von der Existenz einer rassistischen Einstellung oder Ideologie kann man" so die Definition des  Autors, "sprechen, wenn Differenzen, die sonst als ethnokulturell betrachtet werden, für angeboren, unauslöschlich und unveränderbar erklärt werden". (S. 13) Nach dieser Definition behandelt Fredrickson zunächst vornehmlich am Beispiel Spaniens als erster europäischer Kolonialmacht, in der der Keim für westliche Einstellungen gegenüber  der indigenen Bevölkerung Südamerikas gelegt wurde, den Übergang von der religiösen Intoleranz des Mittelalters zum sich herausbildenden Rassismus im Zeitalter der Entdeckungen und der Renaissance. Im Folgenden geht es um den Aufstieg moderner rassistischer Ideologien, insbesondere um die Ideologie von der Überlegenheit der weißen Rasse und um den Antisemitismus im 18. und 19. Jahrhundert. Die rassistisch-ideologischen Grundlagen von Sklaverei und Segregation in den USA vergleicht der Autor mit dem späteren im Völkermord gipfelnden Antisemitismus des nationalsozialistischen Deutschlands. Die Frage, ob der millionenfache, systematisch und industriemäßig organisierte und  betriebene Mord an europäischen Juden  überhaupt mit anderen rassistischen Auswüchsen, darunter selbst die brutalsten Formen der Rassendiskriminierung in den amerikanischen Südstaaten oder der Apartheid in Südafrika, vergleichbar ist, stellt sich dem Autor so nicht. Im Epilog widmet sich Fredrickson den spezifischen Ausdrucksformen von Rassismus im 21. Jahrhundert. Zwar seien nach der  Niederlage des Nationalsozialismus, den Erfolgen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und dem Ende des Apartheidregimes "offen rassistische Regimes" in Misskredit geraten, doch bezeugten Kastensysteme und andere Ausbeutungsformen von der Zählebigkeit des Konstrukts unzerstörbarer und unüberbrückbarer Unterschiede zwischen den Menschen. Im abschließenden Anhang (20 S.) "Der Begriff Rassismus im historischen Diskurs" untersucht der Autor wie sich die Forschung mit dem Phänomen des Rassismus als Thema der Geschichtswissenschaft beschäftigt hat. Ein Namen- und Sachregister beschließt den auf umfangreicher Literatur basierenden Band.
Wolfgang Voigt

Neuer Antisemitismus? : eine globale Debatte /  hrsg. von Doron Rabinovici; Ulrich Speck; Natan Sznaider. - Orig.-Ausg. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2004. - 331 S. - (edition suhrkamp; 2386)
ISBN 3-518-12386-6

Vor dem Hintergrund jüngster antisemitischer und antiisraelischer Vorfälle in Europa sowie in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens beschäftigt viele Menschen zunehmend die Frage, worin die Natur des heutigen Antisemitismus in Deutschland und anderswo bestehe (S. 95) und welche Gefahren von ihm ausgehen. Die Sichtweisen auch der Autoren dieses Sammelbandes, darunter international bekannte Historiker, Politikwissenschaftler und Publizisten von Rang wie O. Bartov, M. Walzer, D. J. Goldhagen, A. Finkielkraut, T. Haury, A. S. Markovits, M. Küntzel, M. Zimmermann und D. Diner, richten sich infolgedessen auf den seit langem zu beobachtenden "Wandel der Kontexte und Bezugspunkte" (S. 7) in der Entwicklung des global agierenden Antisemitismus.
Im Mittelpunkt der weltweit geführten Debatte über den "neuen" Antisemitismus steht der Nahostkonflikt, genauer der israelisch-palästinensische Konflikt und die damit verbundene höchst umstrittene Frage, "wo die Kritik an Israels Politik aufhört und Antisemitismus beginnt" (S. 303). Um die von D. Diner angemahnte "Trennschärfe" (S. 312) besonders in der Wahrnehmung und Deutung des israelisch-palästinensischen Konflikts bemüht, betrachten die hier mehrheitlich vertretenen Autoren die Israelkritik in gefährlicher Nähe zum Antisemitismus; andere, wie zum Beispiel T. Judt und J. Butler, relativieren mehr den Vorwurf des Antisemitismus. "Die Auseinandersetzung hat", wie die Herausgeber betonen, "ihren Kern in der Frage, ob gewisse Strömungen des kritischen Diskurses über den Nahostkonflikt durch den Konflikt selbst geprägt werden und durch ihn sachlich gerechtfertigt sind, oder ob der Konflikt nur einen Vorwand darstellt, antisemitische Haltungen und Weltbilder in der Tradition des 'alten' Antisemitismus zu vertreten, maskiert als 'Kritik an Israel'." (S. 10)
Behandelt werden weitere Aspekte und Bezugspunkte des "neuen" Antisemitismus wie der von M. Walzer so bezeichnete muslimische Antisemitismus (S.59) und der Antizionismus in der Geschichte besonders der deutschen Linken.
Ausführlich und analytisch stringent referiert O. Bartov in seinem Aufsatz "Der alte und der neue Antisemitismus", der die Sammlung der insgesamt 17 originalen Beiträge eröffnet, über die erschreckenden Parallelen zwischen den tradierten und neuen Erscheinungsformen des Antisemitismus. Sein Fazit: "... es gibt eine dem Antisemitismus Hitlers ähnliche Qualität im neuen Antisemitismus" (S. 42).
Diesem vielstimmigen Sammelband kommt als vertiefende Lektüre zum Thema und zugleich als theoretische und politische Arbeitsgrundlage auch für Organisationen und Netzwerke große Bedeutung zu. Ungeachtet unterschiedlicher Herangehensweisen und Schlussfolgerungen gehen die Autoren den Quellen, Motiven und Denkmustern des "neuen" Antisemitismus in ihrer historischen Dynamik nach. Die Aufsätze widerspiegeln die Komplexität der auf den verschiedensten Ebenen geführten Diskussionen über den "neuen" Antisemitismus. Verlag und Herausgeber heben deshalb mit Recht hervor, dass der Band den internationalen Stand der Debatte erstmals für das deutsche Publikum erschließe. Einzige Bedingung: Man muss sich auf einen Diskurs einlassen wollen.
Weitere Publikationen zum Thema, darunter das 2004 im Verlag C.H.Beck erschienene Werk von W. Benz "Was ist Antisemitismus?" sowie der Titel "Israel, Europa und der neue Antisemitismus" von H. Rauscher, erschienen 2004 im Molden Verlag Wien, sind ebenfalls in der Mediathek der RAA vorhanden.
Marianne Jonzeck

Urban, Thomas:
Der Verlust : die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert
/ von Thomas Urban. - Bonn : Bundeszentrale für politische Bildung, 2005. - 224 S. : Fotogr.,  Kt.
(Schriftenreihe ; 480)
ISBN  3-89331-59-4

Dem Autor geht es nicht darum, Schuld und Verbrechen in der Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und seinem östlichen Nachbarn gegenseitig aufzurechnen, sondern er nimmt die Bestrebungen bestimmter Kreise in der Bundesrepublik ein "Zentrum gegen Vertreibung" zu gründen, zum Anlass, einen Beitrag zur Aufhellung der Vertreibungen von Deutschen und Polen seit Ende des 19. vor allem aber im 20. Jahrhundert zu leisten. Vom "Verlust der Heimat" waren seit der Dritten Teilung Polens 1795 vor allem Polen betroffen: jene, die aus den nun preußisch gewordenen Landesteilen verdrängt wurden und jene, die aus den unter zaristische Herrschaft gelangten Gebieten nach Sibirien deportiert wurden, "um den Polen die Idee von der Unabhängigkeit auszutreiben" (S. 17). Die ambivalente Stellung Polens zwischen Deutschland und Russland zeigte sich auch nach dem Ersten Weltkrieg mit dem wieder erstandenen unabhängigen polnischen Staat, gefolgt von Ausweisungen und Umsiedlungen. Einen Hauptteil des Bandes nimmt die Darstellung der nationalsozialistischen Okkupations- und Vernichtungspolitik in Polen seit 1939 ein - beginnend mit den rassistischen Judenverfolgungen in Deutschland und der Ausweisung jüdischer Bürger nach Polen 1938. Andererseits verließen viele Deutsche ihre Heimat in Polen in Folge von Repressionen seitens der polnischen Behörden (dass diese von den Nationalsozialisten weidlich propagandistisch ausgenutzt wurde, um eine antipolnische Stimmung zu schüren, erwähnt Urban nicht). Ähnliche Vorkommnisse (Repressionen, Verschleppung vieler Polen nach Sibirien oder Kasachstan) gab es auch in den von der Sowjetarmee im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes besetzten polnischen Gebieten.
Im überfallenen Polen setzten die deutschen Okkupanten ihren Vernichtungsfeldzug gegen polnische Bürger, vor allem jüdische, fort. Vertreibung von Haus und Hof, Ermordung und Einlieferung in Konzentrationslager kennzeichneten das Wesen der deutschen Vertreibungspolitik. "Rassische Flurbereinigung" erfolgte vor allem bei den Bestrebungen, sogenannte "Mustergaue" wie im Wartheland zu installieren.
Den umfangreichsten Teil der Untersuchung nehmen die im Ergebnis der Konferenzen von Jalta und Potsdam erfolgten Umsiedlungen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße zwischen 1945 und 1948 sowie die "Repatriierung" von Polen aus Ostpolen ein. Beides sollte nach dem Willen der Siegermächte in "geordneten Verhältnissen" stattfinden. Die Realität war, wie auch der Verfasser im einzelnen schildert, von Willkür, Härte und Verbrechen begleitet. Angesichts der von Urban materialreich dargelegten Entwicklungen, einschließlich der Zwangsumsiedlungen von Ukrainern aus Südostpolen in die Sowjetunion oder in die Oder-Neiße-Gebiete 1946/47 und den Spätaussiedlern ab 1956, geht er der Frage nach, ob dieses überhaupt mit den nationalsozialistischen Verbrechen und dem Völkermord zwischen 1939 und 1945 vergleichbar ist. Daran anknüpfend analysiert er die Politik der verschiedenen Regierungen der Bundesrepublik, der DDR und Polens in der Vertriebenenfrage und der neuen Grenzziehungen an Oder und Neiße und am Bug. Während die DDR bereits 1950 im Abkommen von Görlitz die Oder-Neiße-Grenze als "endgültige Friedens- und Freundschaftsgrenze" anerkannt hatte, war die Haltung der Bundesregierungen lange Zeit vom Kalten Krieg und den Aktivitäten diverser Landsmannschaften geprägt. Erst 1990, mit den veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen durch den Bankrott der sozialistischen Länder, erkannte die Bundesregierung mit dem deutsch-polnischen Grenzvertrag die Westgrenze Polens an und strich aus dem Grundgesetz die Passage über die Grenzen von 1937.  
Wolfgang Voigt

Schwelien, Michael:
Das Boot ist voll : Europa zwischen Nächstenliebe und Selbstschutz
/ von Michael Schwelien. - 1. Aufl. - Hamburg : marebuchverl., 2004. - 209 S.
ISBN 3-936384-47-9

Die Boote sind voll - in beeindruckender Weise schreibt Michael Schwelien über Aspekte der Einwanderung von Menschen nach Europa.
Statistische Aussagen und die zusammengetragenen Informationen über den Beitritt europäischer Staaten zum Schengen-Verbund, asylrechtliche Hintergründe, Menschenhandel und Schlepperbanden, wirtschaftliche Interessen, Ausbeutung, Prostitution, in Deutschland verhandelte Gerichtsfälle, Hilfsorganisationen und nicht zuletzt berührende Einzelschicksale beleuchten phänomenologisch eine weltweit oft grausame Wirklichkeit.
Das über die gut lesbare Zustandsbeschreibung hinausgehende Versprechen des Autors, "einen Weg aus dem Dilemma, einen dritten Weg zwischen Ausbeutung und Abweisung" (S. 16) zu zeigen, gelangt - wen wundert es? - zum Ende des Buches nicht zur Einlösung.
"Die Ausländer kommen. Sie werden gebraucht. Aber sie kommen illegal. Und so kommen auch viele, die wir nicht wollen. Wir vergeben uns die Möglichkeit, die Einwanderung nach unseren Bedürfnissen zu steuern. Und die Illegalen zahlen weder Steuern (außer der Mehrwertssteuer) noch Sozialabgaben." (S. 208). Also letztlich doch wieder Splitten in nützliche, integrationswillige usw. und in nicht nützliche Ausländer, denen wir nach unseren Bedürfnissen die vom Autor empfohlene Einbürgerung (in Quoten; dem Rückgang der Bevölkerung und dem Arbeitsmarkt angeglichen) gewähren oder deren Einreise wir verbieten und verhindern! Wer in diesem Zusammenhang sind "wir", deren Interessen zur Regulierung einer globalen Entwicklung als Maßstab genommen werden? Haben nicht "unsere Interessen" (z. B. durch Rüstungsexporte) anteilig Verelendung und Kriege in der Welt ausgelöst?
Der Zusatztitel zum Buch "Europa zwischen Nächstenliebe und Selbstschutz" wirkt irreführend, wenn Flüchtlinge aus Jugoslawien als Bedrohung für Europa angesehen werden, wenn Fristenregelungen im Zuwanderungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für Menschen aus den neuen EU-Ländern beschränken.
Sollte tatsächlich die angestrebte Erhaltung der "Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik" die von Michael Schwelien so präzise beschriebene Tendenz des globalen Armutsgefälles umkehren können?
Wer an weiteren gut recherchierten Arbeiten und Themen des Journalisten und Autors interessiert ist, der kann die derzeit 32 archivierten Artikel von Michael Schwelien in unserer Mediathek nachlesen.
Thomas Kunzke

Winter, Bernd:
Gefährlich fremd : Deutschland und seine Einwanderung
/ von Bernd Winter. - Freiburg i. Br. : Lambertus, 2004. - 162 S.

ISBN 3-7841-1543-8

 

Ausgehend von der Tatsache, dass die unterschiedlich auftretenden Rassismen immer mit den jeweiligen Gesellschaften auf spezifische Weise verknüpft waren und sind, arbeitet der Autor heraus, wie in der Bundesrepublik Deutschland "Rassismus und Migration aufeinander bezogen sind und in welchem historisch-gesellschaftlichen Kontext sich rassistische Diskriminierung und Gewalt entfalten  und (re)produzieren" (S. 16).

Einführend werden die Begriffe Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und Xenophobie auf Gehalt und Unterscheidung befragt. Die wissenschaftliche Debatte nach 1945 um den Rassismusbegriff wird ausführlich analysiert. Im Mittelpunkt jedoch  steht die Migrationsgeschichte in Deutschland seit den 50er Jahren. Es wird untersucht, "unter welchen Prämissen die deutsche "Ausländerpolitik" stand  bzw. (heute) steht und wie sich die innenpolitische Debatte seit Ende der 70er Jahre gegen MigrantInnen verschärft" (S. 18).
Als Höhepunkt des deutschen "Anti-Immigrationsrassismus" bezeichnet der Autor die Übergriffe auf Flüchtlinge und MigrantInnen 1992 in Rostock-Lichtenhagen: "Der Name Rostock wurde in diesem Zusammenhang zu einem erschreckenden und warnenden Synonym für Rassismus in Deutschland, dem ein mörderischer Mix aus politischem Kalkül, weit verbreiteten rassistischen Einstellungen in der Bevölkerung, hetzerischer Medienberichterstattung sowie struktureller Diskriminierung von Minderheiten zugrunde liegt" (S. 71). Des weiteren thematisiert der Autor die soziale, politische und kulturelle Diskriminierung und Segregation der MigrantInnen, insbesondere ihre Stellung auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem. Das Meinungsklima der Deutschen ihnen gegenüber spielt eine hervorgehobene Rolle. In diesem Zusammenhang wird das Verhältnis von Ethnizität und Nation betrachtet: "Die Selbstethnisierung vieler Deutscher als kulturell homogene Nation" (S. 93) etablierte die Grenzziehung zwischen "Fremden" und "Zugehörigen" und wird von Winter anhand der Debatte um die "deutsche Leitkultur" und um den "Multikulturalismus" eingehend diskutiert. Anschließend zeigt er auf, wie die Ausgrenzung der MigrantInnen mittels ethnischer Stigmatisierung durch die Mehrheitskultur häufig deren Selbstethnisierung und räumliche Segregation zur Folge hat. Resümee: "Um Rassismus zu bekämpfen, müsste vor allem die ethnische Schichtung und Segregation der deutschen Sozialstruktur durchbrochen werden" (S. 8). Umfangreiche Anmerkungen und Literaturverzeichnis.
Gisela Jonas

eine Zusammenstellung ausgewählter Buchtipps 2005 - 2008   pdf-file

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