Bildungsstreik – Blick zurück und nach vorn
Der nachfolgende Text war Diskussionsgrundlage des BSPR zur Auswertung des Bildungsstreiks und wurde auf der Klausurtagung am 25. - 27.06.2010 in der vorliegenden Form beschlossen. Auswertung des Bildungsstreiksommers 2010 Seit einiger Zeit war absehbar, dass die Mobilisierung zum Bildungsstreiksommer 2010 bei weitem nicht so gut läuft wie ein Jahr zuvor, im Juni 2009. Bereits die Herbstproteste waren vor allem Proteste der Studierenden und zündeten nur dank der Besetzungswelle in Österreich derart erfolgreich. Die schlechte Mobilisierung 2010 hatte folgende Gründe: - zerstrittenes bundesweites Bündnis
- daher weder gemeinsame Strategie noch rechtzeitig Material zur bundesweiten Bewerbung
- kraftraubender Bolognagipfel
- zum Teil ausgelaugte lokale Bündnisse
- AktivistInnen müssen auch mal für Schule und Studium arbeiten
Angesichts dieser Ausgangssituation war die Beteiligung von über 80.000 jungen Menschen an den Demonstrationen am 09. Juni kein schlechtes Ergebnis, sondern durchaus zufriedenstellend, zumal aus vielen Ort zu hören war, dass die Stimmung bei den Demos sehr gut gewesen ist. In Freiburg wurde durch 500 TeilnehmerInnen sogar noch der Bahnhof stundenlang besetzt gehalten, teilweise gab es Bildungsstreikcamps und enrneute Besetzungen. Bereits im April gab es einige Aktionen in ganz NRW und eine landesweite Demo mit 3000 TeilnehmerInnen in Düsseldorf. In Hessen stand der Mai im Zeichen von Protesten, nachdem Koch mit den Hochschulrektoren eine Vereinbarung zum Sparen unterschrieben hatte. Auch nach dem 09. Juni sind weitere Proteste gefolgt: In Kiel kam es mit 14.000 DemonstrantInnen zur größten Demo seit 30 Jahren (da in Lübeck aufgrund von Einsparungen eine ganze Uni abgewickelt wird), in Sachsen beteiligten sich 10.000 Menschen an einer Demo gegen Einsparungen im Bildungsbereich. Insgesamt lässt sich feststellen, dass durch die Bildungsproteste eine Debatte erzwungen wurde, die vorher so nicht möglich war. Reformen im Bereich der Bildung scheinen unabdingbar, PolitikerInnen stehen unter Entscheidungsdruck. Die Spielräume, die sich dadurch für konkrete Veränderungen ergaben, konnten nicht immer genutzt werden. Zum Teil, weil die Verankerung in den entscheidenden Gremien fehlte, aber auch, weil die AktivistInnen mit den neu aufgemachten Spielräumen überrascht wurden oder überfordert waren. Für eine neue Protestwelle gilt es, sich inhaltlich besser vorzubereiten, um aus dem Druck von der Straße mehr konkrete Erfolge zu erzielen. Perspektive Herbst 2010 und langfristige Planung 2011 Im bundesweiten Bündnis gibt es bereits Vorschläge, wie eine Aktionswoche im Herbst aussehen kann. Es gibt aber auch Stimmen, die deutlich machen, dass man sich für eine nächste Aktionsphase mehr Zeit nehmen sollte, zumal vielen die Kraft fehlt, schon wieder in die nächste Planung und Vorbereitung einzusteigen. Als Linksjugend ['solid] wollen wir ebenfalls ein wenig Ruhe einkehren lassen und schlagen vor, erst für 2011 wieder bundesweite Bildungsstreik-Demonstrationen durchzuführen, sofern es nicht vorher aus derzeit nicht vorhersehbaren Gründen dazu kommt. Das heißt nicht, dass im Herbst nichts passieren soll. Es sollte allerdings vermieden werden, dass sich Rituale entwickeln, an denen sich immer weniger Menschen beteiligen. a) Bundesweites Bündnis neu aufstellen, lokale Bündnisse konsolidieren Im bundesweiten Bündnis gibt es seit längerem Konflikte, die überwunden werden müssen, wenn der Bildungsstreik zu alter Stärke zurückfinden will. Aus unserer Sicht ist ein Bündnis nur dann stark, wenn es breit aufgestellt ist und sich darin parteinahe Gruppen ebenso einbringen können, wie Gruppen und Personen ohne Parteibezug. Wir wollen, dass im Rahmen der Forderungen des Bildungsstreiks auch grundsätzliche Kritik an der Funktion von Bildung im Kapitalismus geäußert wird, jedoch ohne Menschen von vornherein auszuschließen, die sich (noch) nicht als AntikapitalistInnen verstehen. Für das Entwickeln einer gemeinsamen Strategie ist es notwendig, sich auf eine breite Palette von Aktionsformen zu einigen, solange sie friedlich sind. In diesem Sinne wollen wir explizit zu zivilem Ungehorsam als Aktionsform aufrufen. Die lokalen Bündnisse haben die Chance, sich an bereits bestehenden oder neu entstehenden Krisenbündnissen zu beteiligen und so auf die Verbindung von Kapitalismus und Bildung hinzuweisen. Dem oft formulierten Ziel der stärkeren Einbindung von Auszubildenden in die Bildungsstreiks kann man so über eine engere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften näherkommen. Doch auch an Schulen und Universitäten gilt es, nach den Erfolgen im Rahmen des Bildungsstreiks neue MitstreiterInnen für mehr als nur die Demoteilnahme zu gewinnen. b) Politische Bildungsangebote machen, Diskussionsräume schaffen Die voraussichtlich etwas ruhigere Phase, was den Bildungsstreik betrifft, nutzen wir, um die Forderungen des Bildungsstreiks neu zu diskutieren: Was hat sich seitdem verändert? Wo müssen wir Forderungen erweitern oder konkretisieren? Wir beteiligen uns an Diskussionen der lokalen und des bundesweiten Bündnisses und initiieren eigene Veranstaltungen, um diesen Fragen Raum zu geben und Antworten zu finden. Infoabende bieten auch die Gelegenheit, diejenigen, die bisher aus einem Bauchgefühl heraus die derzeitige Bildungspolitik abgelehnt haben, sich inhaltlich zu schulen und Argumente kennenzulernen, zum Beispiel gegen das mehrgliedrige Schulsystem und die Selektion in der Bildung, für kostenfreien Zugang und Lehrmittelfreiheit, für Ausbildungsplatzumlage, etc. c) Spontan und kreativ reagieren, ziviler Ungehorsam als Chance Wir werden auch weiterhin für Bildungsstreiks mobilisieren und an den Demonstrationen teilnehmen, warnen jedoch vor einer Ritualisierung der Proteste. Statt sich andauernd wiederholende Aktionswochen mit Besetzungen und Demonstrationen durchzuführen, werben wir dafür, lokal kreativ zu werden und z.B. zu Flashmobs und Aktionen des zivilen Ungehorsams aufzurufen. Der Banküberfall unter dem Motto „Geld für Bildung statt für Banken“ im Juni 2009 hat gezeigt, dass gut durchdachte Aktionen viel Ausstrahlungskraft haben können und zudem auf Sympathie in der Bevölkerung stoßen. Letzteres ist für den Erfolg einer Aktion sehr wichtig und sollte bei der Planung mitgedacht werden. Die beste Idee kann negative Auswirkungen haben, wenn man einen relevanten Teil der Bevölkerung nicht auf seiner Seite hat. d) Beteiligung an den Sozialprotesten gegen das Sparpaket Dass beim Sparpaket der Bundesregierung vorerst nicht im Bereich Bildung gespart werden soll, ist ein großer Erfolg des Bildungsstreiks. Die Angst in der Regierung vor einem erneuten Aufflammen der Proteste ist da. Sie versucht uns mit dem Verweis auf die angeblich nicht gekürzten Bildungsausgaben einzulullen. Doch das kann uns nicht zum Zurücklehnen bewegen, wenn dafür bei den Armen noch weiter gekürzt werden soll. Als Bildungsstreikende werden wir deutlich machen, dass wir uns nicht spalten lassen, dass wir Bildungs- und Sozialpolitik zusammendenken und uns an den Krisenprotesten gegen das Sparpaket beteiligen werden. Auch ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Kürzungen in der Bildung drohen weiterhin und auch das jetzt geplante Sparpaket sowie die Schuldenbremse haben in den Ländern und Kommunen direkte Auswirkungen auf die Bildungschancen junger Menschen. Es wird Aufgabe auch der Bildungsstreik-Bündnisse sein, auf die Umverteilung von unten nach oben aufmerksam zu machen und das Gegenteil zu fordern. e) Bundesweiter Bildungsstreik 2011 Geht der Bildungsstreik weiter? Die mittelfristige Konsolidierung der Strukturen kann zu einem Wiedererstarken führen, welches sich 2011 erneut in großen bundesweiten Demonstrationen entlädt. Sollte es dazu kommen, wird sich die Linksjugend ['solid] daran beteiligen und bundesweit mobilisieren. Der Bildungsstreik hat dabei viele bisher ungenutzte Potenziale, die es zu aktivieren gilt. Wir sind weit von einem gerechten Bildungssystem entfernt, in dem alle den gleichen freien Zugang haben und sich selbstbestimmt Bildung aneignen können. Dafür kämpfen wir an der Seite von anderen AktivistInnen, so lange es sinnvoll und nötig ist. Für den BSpR ergeben sich folgende Aufgaben: - Beteiligung an den Diskussionen im bundesweiten Bündnis zu dessen Zukunft
- Aufruf an die Gruppen, sich in den lokalen Bündnissen zu engagieren und dort die Zusammenarbeit mit Krisenbündnissen voranzutreiben
- Zusammenstellung eines ReferentInnenpools zu Bildungsthemen
- Erstattung von Fahrtkosten (auf Antrag) zu den bundesweiten Bündnistreffen und für ReferentInnen, die Veranstaltungen in Basisgruppen durchführen
- Erarbeitung von eigenen Forderungen und Diskussion alternativer (Finanzierungs-)Konzepte
- Vernetzung und Zusammenarbeit mit bildungspolitischen Akteuren
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