Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

31.01.2008

Sozialdumping vorprogrammiert
    Parlament beschließt Postliberalisierung bis 2011
EU-Subventionen für Nokia?
    Schriftliche Anfrage von Sahra Wagenknecht an die EU-Kommission
Eigentum verpflichten! Profitsubventionierung stoppen!
    Presseerklärung von Sahra Wagenknecht zum Jahresergebnis von Nokia
"Das Hauptproblem ist die überschüssige Liquidität"
    Doch woher kommt sie und wie kann man das Problem lösen?
EuGH greift Streikrecht an
    Die Urteile zu Viking Line und Vaxholm
Alles wird zur Ware
    Der europäische Binnenmarkt - ein Instrument für weltweite Expansion
Steuerdumping von Konzernen verhindern - für eine gerechte Steuerpolitik!
    Rede von Sahra Wagenknecht im Europäischen Parlament am 14.01.08
Zur steuerlichen Behandlung von Verlusten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
    Breite Mehrheit im Parlament für den Kauppi-Bericht

Sozialdumping vorprogrammiert

In zweiter Lesung hat das Europäische Parlament am 31. Januar 2008 den Berichts des liberalen Abgeordneten Markus Ferber angenommen und damit den Gemeinsamen Standpunkt des Rates zur Öffnung der Postmärkte gebilligt. Der geplanten Öffnung der europäischen Postmärkte bis 2011 dürfte nun kaum noch etwas im Wege stehen.

Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission und des Rats von Oktober 2006 sah eine Liberalisierung der Postmärkte bis Januar 2009 vor. Nachdem Postangestellte in ganz Europa gegen diese Pläne Sturm gelaufen waren, wurde die Frist für die Öffnung des 88 Milliarden Euro schweren Postsektors nun um zwei Jahre verschoben. Ferner soll es Ausnahmen geben: Zypern, die Tschechische Republik, Griechenland, Ungarn, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Rumänien und die Slowakei können die Marktöffnung um zwei weitere Jahre aufschieben, d.h. für sie läuft die Frist am 31. Dezember 2012 ab.

Zwar sieht der Bericht von Ferber vor, dass die Universaldienstverpflichtung, die allen Bürgern mindestens eine Zustellung und Abholung von Briefsendungen an fünf Tagen pro Woche garantiert, erhalten bleiben soll. Die Abschaffung des reservierten Bereichs für Briefe von unter 50 Gramm wird es jedoch schwierig machen, einen einheitlichen Service für alle auf hohem Niveau zu sichern. Da neue private Betreiber versuchen werden, sich die rentablen städtischen Dienste und Aufträge von Großunternehmen unter den Nagel zu reißen, werden die Kosten für die weniger einträglichen Dienste zwangsläufig steigen - oder die Versorgung von Kunden, die in abgelegenen Gebieten wohnen, wird verschlechtert.

Im Interesse der einfachen Kunden wurde und wird die Liberalisierung also nicht vorangetrieben - schließlich hat eine Umfrage des Eurobarometer im Oktober 2005 ergeben, dass die Postdienste mit einer Zufriedenheitsrate von 77 Prozent diejenige Dienstleistung darstellen, die nach Angaben von Nutzern in der Europäischen Union am meisten geschätzt wird.

Dass die Öffnung der Postmärkte nicht im Interesse der Beschäftigten ist, dürfte ebenfalls klar sein. "Prognosen für nur gerade drei EU-Länder - Deutschland, Frankreich und die Niederlande - lassen auf 100 000 Stellenstreichungen bei den etablierten Betreibern schließen", so die internationale Dienstleistungsgewerkschaft UNI im September 2007. Man muss sich nur die Situation in den Ländern anschauen, die ihren Postsektor bereits liberalisiert haben: So sind in Schweden im Zuge der Liberalisierung etwa die Hälfte der Arbeitsplätze bei der Post verlorengegangen; auch bei der britischen Royal Mail fielen in nur drei Jahren 55.000 Arbeitsplätze weg.

Da die Betreiber versuchen werden, sich gegenseitig zu unterbieten, wird die Liberalisierung außerdem in ganz Europa Lohn- und Sozialdumping anheizen. Dass das Parlament sich für die Liberalisierung der Postdienste entschlossen hat, ohne gleichzeitig für einen Schutz der Arbeitsbedingungen in der Branche zu sorgen, ist daher mehr als fahrlässig.

(lk)

EU-Subventionen für Nokia?

Schriftliche Anfrage (mit Vorrang) von Sahra Wagenknecht an die Europäische Kommission, eingereicht am 24.01.08:

1) Sind in den letzten sieben Jahren Fördermittel der Europäischen Union nach Bochum geflossen, die direkt oder indirekt der Firma Nokia am Standort Bochum zugute kamen? Falls ja, um welche und um wie viele Fördermittel handelt es sich?

2) Sind in den letzten fünf Jahren Fördermittel der Europäischen Union in den Landkreis Cluj (Rumänien) geflossen, die direkt oder indirekt der Firma Nokia zugute kommen könnten? Falls ja, um welche und um wie viele Fördermittel handelt es sich? Kann die Kommission ausschließen, dass europäische Fördermittel für den Aufbau des Industrieparks "Nokia Village" verwendet worden sind?

3) Wie stellt die Kommission sicher, dass die Mittel aus den Struktur- oder Kohäsionsfonds von den EU-Mitgliedstaaten nicht zur Subvention einzelner Firmen verwendet werden und damit den Wettbewerb in der EU verzerren?

4) Ist die Kommission der Ansicht, dass die Geschäftsleitung von Nokia ihren Verpflichtungen gemäß der EBR-Richtlinie 94/45 EG sowie der Richtlinie über Information und Konsultation der Arbeitnehmer 2002/14/EG im Hinblick auf die Entscheidung, den Standort in Bochum zu schließen, korrekt nachgekommen ist? Falls nein, was gedenkt die Kommission zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die Rechte von Beschäftigten und Betriebsräten bei Unternehmensentscheidungen zur Standortverlagerung künftig beachtet werden?

5) Kann die Kommission bestätigen, dass der Bundesrepublik Deutschland für die Beschäftigten von Nokia in Bochum Mittel aus dem Globalisierungsfonds zur Verfügung stehen? 

Eigentum verpflichten! Profitsubventionierung stoppen!

Anlässlich der Präsentation des Jahresergebnisses der Firma Nokia erklärt Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete und Mitglied des Vorstands der Partei Die LINKE:

"Wie heute bekannt wurde, war 2007 ein glänzendes Jahr für die Firma Nokia: Der Umsatz ist um 24 Prozent gestiegen, die Profite konnten gar um 67 Prozent auf 7,2 Mrd. Euro gesteigert werden. Die 2300 Beschäftigten von Nokia in Bochum werden sich über dieses Ergebnis jedoch kaum freuen können. Denn obwohl das Land NRW und die Stadt Bochum die Produktionsstätte von Nokia in Bochum seit 1999 mit über 80 Mio. Euro subventioniert haben, möchte die Geschäftsleitung die Handy-Produktion nach Rumänien verlagern. Dort steht Nokia nicht nur ein - ebenfalls mit Millionensummen geförderter - neuer Industriepark zur Verfügung, auch die Löhne und Steuersätze sind dort sehr viel geringer, was für die Zukunft noch höhere Konzerngewinne verspricht.

Was kann man tun, um dieser ruinösen Standortkonkurrenz zu begegnen, die jedes Jahr unzählige Arbeitsplätze kostet - vom Druck auf Löhne, Arbeitsbedingungen, Sozialstandards und Steuersätze einmal ganz zu schweigen? Zum einen müssen Gesetze her, die es Unternehmen verbieten, trotz guter Bilanzen Standorte zu schließen und Arbeitsplätze zu vernichten. Massenentlassungen dieser Art müssen und können gesetzlich untersagt werden! Zum anderen sollte die herrschende Wirtschafts- und Förderpolitik überdacht und geändert werden. Es macht keinen Sinn, die Profite privater Konzerne mit Millionensummen zu subventionieren. Statt die Standortkonkurrenz durch Geschenke an private Konzerne weiter anzuheizen, sollten öffentliche Gelder besser zur Schaffung von - dauerhaften - Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor verwendet werden!

Der Fall Nokia zeigt einmal mehr die Absurdität einer Wirtschaftsordnung, in der die einen den gesellschaftlichen Reichtum erarbeiten, während andere unkontrolliert und allein unter Maßgabe ihres Shareholder Value darüber entscheiden können, was mit diesen Arbeitsergebnissen geschieht. Der globalisierte Kapitalismus tritt die Interessen der großen Mehrheit der Menschen mit Füßen. Eine Debatte über prinzipielle Alternativen ist angesagt."

Sahra Wagenknecht, MdEP

Brüssel, den 24. Januar 2008

"Das Hauptproblem ist die überschüssige Liquidität"

Am 23. Januar 2008 führte der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments unter Teilnahme von Vertretern nationaler Parlamente eine Anhörung unter dem Titel „Finanzaufsicht in Europa, Krisenmanagement auf den Finanzmärkten" durch. Der Zeitpunkt hätte - vor dem Hintergrund einer dramatischen Talfahrt an den Börsen, die die FED zur kräftigsten Zinssenkung in den USA seit 16 Jahren veranlasst hatte - kaum besser sein können.

Hauptredner des Hearings war - neben EZB-Chef Jean Claude Trichet - Baron Alexandre Lamfalussy, Vorsitzender der "Gruppe der Weisen zur Regulierung der Wertpapiermärkte". In seinem Exposé unter dem Titel "Looking Beyond the Current Credit Crises" kam er zu folgenden Schlussfolgerungen:

"We cannot avoid asking ourselves the question: what were the driving forces behind this financial euphoria? Some would say: the traditional ones, such as animal spirit, creativity, inventiveness or simply greed. That was very likely the case. But let me stick my neck out by submitting to you that a very powerful factor was also at work: excess liquidity. (...) The main point I want to make at this juncture (...) is that abundant liquidity created a favourable breeding ground for reckless risk taking. Looking ahead, if we want to avoid the repetition of such a situation, we would be well advised to look into the availability of policy instruments that would allow our authorities to control market liquidity. Restraining monetary policy – by trying to put a brake on the excessive growth of various monetary aggregates – would seem to be the main available instrument. But the link between market liquidity and such policy action is far from being simple. For one thing, the liquidity creating effect of the persistently large US current account deficit is pretty obvious. For another, the explosive growth of the financial "superstructure" has endowed financial markets with a powerful "endogenous" liquidity creation ability over which central banks do not have smooth control. My concluding recommendation is that these problems deserve close scrutiny."

Man kann also gespannt darauf sein, welche Schlussfolgerungen aus dieser Situation am Ende gezogen werden, insbesondere wie die überschüssige Liquidität begrenzt werden soll. Auf die Frage von Sahra Wagenknecht, ob dies nicht bedeute, dass man zur Regulierung der Kapitalmärkte zurückkehren müsse, kam allerdings keine Antwort von Alexandre Lamfalussy. Die These, dass überschüssige Liquidität eine Begleiterscheinung des Kapitalismus ist und dass die neoliberale Umverteilung von unten nach oben zu einer Situation geführt hat, in der eine kleine Schicht über immer mehr Kapital verfügt, für das es - angesichts stagnierender Massenkaufkraft - aber nicht genügend profitable Anlagemöglichkeiten gibt, dürfte dem Baron auch kaum gefallen.

(aw/lk)

EuGH greift Streikrecht an

Mit seinem Urteil zum finnischen Fährunternehmen Viking Line vom 11. Dezember 2007 sowie dem Urteil im "Fall Vaxholm" vom 18. Dezember 2007 hat der Europäische Gerichtshof Grundsatzentscheidungen getroffen, die das Arbeits- und Streikrecht in ganz Europa bedrohen.

Die Auseinandersetzung zwischen Viking Line und der finnischen Gewerkschaft FSU drehte sich um die Frage, ob das Streikrecht von Gewerkschaften mit Verweis auf die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen eingeschränkt werden kann. Viking Line plante das "Umflaggen" eines Fährschiffes von Finnland nach Estland, um in den Genuss der günstigeren estnischen Tarifverträge zu kommen. Um diese Art des Lohndumpings zu verhindern, drohte die finnische Seeleutegewerkschaft (FSU) mit Streik, woraufhin das Fährunternehmen mit Verweis auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG-Vertrag) auf Unterlassung klagte.

Das Urteil stellt nun klar, dass "Art. 43 EG ... geeignet (ist), einem privaten Unternehmen Rechte zu verleihen, auf die es sich gegenüber einer Gewerkschaft oder einem Gewerkschaftsdachverband berufen kann." Dies wurde bis dato nicht nur von Gewerkschaften sondern auch von zahlreichen Regierung bestritten, die der Ansicht sind, dass das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts ein Grundrecht sei, das als solches außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 43 EG liegt.

Was den konkreten Fall betrifft, so kam der EuGH zu dem Schluss, dass kollektive Maßnahmen wie sie von der finnischen Gewerkschaft angestrebt wurden, die Niederlassungsfreiheit tatsächlich beeinträchtigt hätten. Mit anderen Worten: Die Billigflaggenpolitik großer Fährunternehmen wird als "Grundfreiheit" interpretiert, die es zu schützen gilt!

Zwar räumt der EuGH in seinem Urteil ein, dass auch das Recht auf kollektive Maßnahmen einschließlich Streiks als Grundrecht anzuerkennen sei. Ein Streik, welcher an die "Grundfreiheiten" von Unternehmen rührt, soll aber künftig nur zulässig sein, wenn er "ein berechtigtes und mit dem Vertrag vereinbartes Ziel verfolgt", durch "zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist" und "nicht über das hinausgeh(t), was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist".

Damit wird einer Aushöhlung des Streikrechts Tür und Tor geöffnet! Arbeitskampfmaßnahmen, die sich beispielsweise gegen Massenentlassungen im Kontext von Standortverlagerungen richten (man denke an Nokia) oder Streiks von Lokführern, Fluglotsen oder LKW-Fahrern, welche womöglich den freien Warenverkehr beeinträchtigen, können fortan einer "Verhältnismäßigkeitskontrolle" unterworfen und mit Verweis auf die europäischen "Grundfreiheiten" gegebenenfalls verboten werden.

Eine ähnlich gewerkschaftsfeindliche Position wie im Fall Viking Line vertrat der EuGH auch im Fall Vaxholm. Nach öffentlicher Ausschreibung hatte das lettische Unternehmen Laval den Zuschlag zur Durchführung von Bauarbeiten in der schwedischen Stadt Vaxholm erhalten. Da die Arbeiten von lettischen Arbeitskräften zu geringeren Löhnen als in Schweden üblich durchgeführt werden sollten, entschieden sich die schwedischen Gewerkschaften zu einer Blockade der Baustelle. Laval rief daraufhin die schwedische Polizei im Hilfe, die das Unternehmen jedoch wissen ließ, dass derartige kollektive Maßnahmen nach nationalem Recht zulässig seien. Dem entgegengesetzt hat nun der EuGH entschieden, dass die Blockademaßnahmen der Gewerkschaft als Reaktion auf den Versuch Lohndumping zu betreiben, ungesetzlich waren.

Die Urteile des EuGH sind ein Angriff auf elementare Rechte der Beschäftigten und Gewerkschaften. Die Fälle zeigen aber auch, warum einem EU-Vertrag nicht zugestimmt werden kann, in dem skrupellose Lohndumpingstrategien als "Grundfreiheiten" verteidigt werden.

(lk)

Alles wird zur Ware

Artikel von Andreas Wehr in der Tageszeitung junge welt vom 01.02. 2008

Der Ausbau des Binnenmarkts steht weiter auf der europäischen Agenda ganz oben. Mit der Mitteilung »Ein Binnenmarkt für das 21.Jahrhundert«, vorgelegt zusammen mit einer Reihe von Begleitdokumenten, hat die Europäische Kommission im November 2007 ihren Kurs abgesteckt. Danach wird der Binnenmarkt »neu ausgerichtet, um neuen Herausforderungen – Globalisierung, hohes Innovationstempo, rascher Wandel, Änderungen der gesellschaftlichen und natürlichen Rahmenbedingungen – zu begegnen« (S. 3). Dabei hätte doch das Binnenmarktprojekt längst verwirklicht sein müssen. So war es jedenfalls geplant. Das 1985 unter Kommissionspräsident Jacques Delors verabschiedete Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes, in dem etwa 300 Maßnahmen enthalten waren, sah dies bereits für den 31. Dezember 1992 vor. Doch noch immer ist der Bau nicht fertig. Vor allem vom europäischen Markt für Finanzdienstleistungen existieren bislang nur Stützmauern.

Heute redet niemand mehr von Vollendung des Binnenmarkts. Längst wird er als Methode zur permanenten Durchforstung aller Lebensbereiche nach Marktchancen und damit Anlagemöglichkeiten für das Kapital angesehen. In den Worten der Kommissionsvorlage: »Trotz dieser Erfolge verfügt der Binnenmarkt noch über ungenutztes Potential und muß den Gegebenheiten angepaßt werden« (S. 3). Wie diese Anpassung funktioniert, wird im Kapitel »Marktbeobachtung und Überwachung von Wirtschaftszweigen« erklärt. Dort heißt es: »Im Rahmen dieser Untersuchung haben die Kommissionsdienststellen eine Methode für eine systematischere Beobachtung der Schlüsselmärkte für Waren und Dienstleistungen entwickelt. Die erste Phase bestand in einem Screening (Durchleuchten, A. W.) der Wirtschaftszweige, die das größte Potential in bezug auf Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und Verbraucherwohl aufweisen. In der zweiten Phase werden die ausgewählten Wirtschaftszweige eingehender untersucht, um festzustellen, warum Märkte mangelhaft funktionieren (fehlende Öffnung/Integration, fehlende Auswahl und Transparenz für die Verbraucher, wenig Wettbewerb, dürftiger Rechtsrahmen und Mangel an Innovation). Auf diese Weise können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, mit deren Hilfe die spezifischen Herausforderungen in den betreffenden Wirtschaftszweigen angegangen werden können« (S. 13). Und sollte die Kommis­sion bei diesem permanenten Screening irgendwann doch einmal eine Marktchance übersehen haben, so helfen ihr die in die Tausende gehenden Wirtschaftslobbyisten unter Führung von Businesseurope in Brüssel schon auf die Sprünge. Von der behaupteten Gleichrangigkeit von »Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und Verbraucherwohl« (S. 4) darf man sich nicht allzusehr irritieren lassen. Dies ist typisches, europäisches Wortgeklingel zur Erhöhung der Akzeptanz. In der Sache geht es um Öffnung und Beschleunigung des Marktgeschehens. Kommt dies auch Verbrauchern und Lohnabhängigen zu gute, so ist es ein willkommener Nebeneffekt, mehr nicht. (...)

Den gesamten Artikel lesen sie hier.

Steuerdumping von Konzernen verhindern - für eine gerechte Steuerpolitik!

Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Europäischen Parlaments am 14.01.08 über die steuerliche Behandlung von Verlusten bei grenzübergreifenden Sachverhalten (Bericht Kauppi)

Werte Kolleginnen und Kollegen,

die derzeitige Situation in der EU, in der 27 verschiedene Steuersysteme auf einem einheitlichen Binnenmarkt bei voller Kapitalverkehrsfreiheit nebeneinander stehen, hat fatale Konsequenzen.

Steuerwettbewerb ist Steuerdumping für die Großen und Reichen und wachsender Steuerdruck auf den Schultern von Konsumenten und Normalverdienern. Es ist nicht erstaunlich, dass diese Situation den Konzernen und Vermögensbesitzern gefällt.

Erstaunlich und erschreckend ist aber, dass diese Realität auch in diesem Haus, das eigentlich nicht nur die Interessen der oberen Zehntausend artikulieren sollte, wieder und wieder schöngeredet wird.

Der Bericht Kauppi ist ein erneutes Beispiel solcher Schönrednerei. Das betrifft die Position zu den angeblich positiven Wirklungen des Steuerwettbewerbs im Allgemeinen ebenso wie den Umgang mit dem eigentlichen Gegenstand, dem grenzüberschreitenden Verlustausgleich.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass gerade die grenzüberschreitende Verlustverrechnung ein gern genutztes Mittel der Konzerne ist, Steuern zu minimieren und Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verschieben. Mit erheblichem Erfolg, wie die Steuerstatistiken zeigen. Denn nicht zuletzt solcherart virtuose Verlustverschiebung hat dazu beigetragen, dass der Anteil der Steuern an den Profiten der Multis in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich gesunken ist.

Die Urteile des EuGH haben diese Steuergestaltung zusätzlich erleichtert und damit massiv in die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten eingegriffen. Der Dumpingwettlauf bei den Unternehmenssteuern wurde so immer weiter angeheizt.

Wer diese Entwicklung stützt, der will offenbar ein Europa, in dem sich oben unermesslicher Reichtum häuft, während die Armut auf der Gegenseite immer größer wird und auch die Mittelschichten mit sinkenden Realeinkommen zu kämpfen haben.

Wir wollen ein anderes Europa und eine sozial gerechte Steuerpolitik. Deshalb wird unsere Fraktion den vorliegenden Bericht ablehnen. 

Zur steuerlichen Behandlung von Verlusten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

Mit großer Mehrheit, gebildet vor allem aus Abgeordneten der Fraktionen der Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen, nahm das Parlament am 15. Januar eine Entschließung zur steuerlichen Behandlung von Verlusten bei grenzübergreifenden Sachverhalten an. Berichterstatterin war die finnische konservative Abgeordnete Piia-Noora Kauppi. Mit dieser Initiative reagierte das Parlament auf die Mitteilung der Kommission zu der steuerlichen Behandlung von Verlusten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Diese Kommissionsmitteilung stellte wiederum eine Reaktion auf verschiedene in jüngster Zeit ergangene Urteile des Europäischen Gerichtshofs dar, in denen er sich mit Fragen des grenzüberschreitenden Verlustausgleichs auseinandersetzte, etwa im Urteil Marks & Spencer plc gegen David Halsey (HM Inspector of Taxes) und im Urteil Oy AA.

Im Hintergrund steht jeweils das Problem, dass die verschiedenen bilateralen Steuerabkommen, die die Mitgliedstaaten untereinander geschlossen haben, Fragen des grenzüberschreitenden Verlustausgleichs nicht regeln. Zudem verfügen die EU-Staaten nicht nur über unterschiedliche Körperschaftssteuersätze, auch ihre Bemessungsgrundlagen für die Erhebung weichen stark voneinander ab. Mit anderen Worten: Verluste eines Unternehmens in einem Land würden nicht automatisch auch Verluste in einem anderen bedeuten. Nun gibt es seit längerem Bestrebungen, eine konsolidierte Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage für die EU-weite Tätigkeit eines Unternehmens (GKKB) einzuführen. Im Bericht wird dies (etwa in Paragraf 25) noch einmal ausdrücklich gefordert. Doch die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten darüber treten auf der Stelle. Großbritannien, Irland, Tschechien, die baltischen Staaten und jetzt auch Schweden sprechen sich gegen sie aus, befürchtet man dort doch, dass eine solche gemeinsame Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage der Einstieg auch für eine Harmonisierung der Körperschaftssteuersätze sein könnte.

Besondere Schwierigkeit bereitet der Verlustausgleich bei einem Konzern, handelt es sich doch dabei gesellschaftsrechtlich nicht um eine eigene Rechtspersönlichkeit und gilt er daher nicht als eigenständiges Steuersubjekt. Wirtschaftlich betrachtet kann ein Konzern jedoch als eine wirtschaftliche Einheit betrachtet werden. Viele Mitgliedstaaten haben daher in ihren nationalen Steuersystemen eine Form der Gruppenbesteuerung eingeführt, um Konzerne als wirtschaftliche Einheit behandeln zu können. Doch nur vier Mitgliedstaaten (Dänemark, Frankreich, Italien und Österreich) kennen ein Gruppenbesteuerungsverfahren, das auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar ist. Dennoch hat die Kommission in ihrer o. a. Mitteilung KOM (2006) 824 in der Schlussfolgerung die Mitgliedstaaten "ermutigt, inländische Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die Verluste innerhalb eines Konzerns genauso behandeln wie Verluste innerhalb eines Unternehmens." Dies würde zu erheblich geringeren Einnahmen bei der Besteuerung grenzüberschreitend tätiger Konzerne führen. Das Parlament unterstützt nun ausdrücklich diese Forderung mit der Formulierung "vertritt die Auffassung, dass Konzerne, die in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sind, weitestgehend genauso behandelt werden sollten wie Konzerne, die nur in einem Mitgliedstaat tätig sind" (Paragraf 16). Der Änderungsantrag Nr. 6 von Sahra Wagenknecht, vorgelegt im Namen der Fraktion GUE/NGL, in dem gefordert wurde, "grenzüberschreitende Verlustausgleiche lediglich in jenen Fällen für gerechtfertigt anzusehen, in denen er auf einer tatsächlichen Verbindung von Unternehmensteilen, d.h. auf einer wirtschaftlichen und organisatorischen Integration (Organschaft) beruht", wurde hingegen mit großer Mehrheit abgelehnt.

Sozialdemokraten und Grüne, die sonst so gerne vor einer Unterminierung der Steuerbasis der Mitgliedsländer warnen, haben mit der Zustimmung zu diesem Bericht einmal mehr gezeigt, das dies lediglich ein Lippenbekenntnis ist.

(aw)

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

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