Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

27.02.2008

Neoliberale „Reformen“ müssen beendet werden
    Rede von Sahra Wagenknecht über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2008-2010
Zum Bericht über die Integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung
Lizenz zum Sozialdumping
    Anhörung über die Urteile des EuGH zu Laval und Viking
Europäisches Parlament fordert rasche Ratifizierung des EU-Vertrags
    Linke lehnt Vertrag von Lissabon ab
Soziale Kluft wächst
    Debatte über Vierten Kohäsionsbericht im Europäischen Parlament

Neoliberale „Reformen“ müssen beendet werden

Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Europaparlaments am 19.02.08 über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2008-2010 (Bericht Starkevičiūtė)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die europäische Wirtschaft steht vor großen Problemen: Krisen auf den Finanzmärkten, steigende Preise für Energie und Lebensmittel, eine infolge von Lohndumping und Sozialraub schleppende Binnennachfrage, die Ausweitung prekärer Beschäftigung – all dies sind drängende Probleme, die angepackt werden müssten. Doch davon kann keine Rede sein. Zwar wird im Bericht daran erinnert, dass die „Anhebung der Einkommen mit dem mittelfristigen Produktivitätswachstum Schritt halten sollte". Gleichzeitig fordert der Bericht aber eine Fortsetzung der neoliberalen Strukturreformen – obwohl diese angeblichen "Reformen" erst die Probleme produziert haben, mit denen wir heute konfrontiert sind. Statt durch öffentliche Investitionen Arbeitsplätze zu schaffen, soll der Druck auf Beschäftigte und Arbeitslose weiter erhöht, sollen Arbeitszeiten verlängert und der Kündigungsschutz ausgehöhlt werden. Statt in die Finanzmärkte und den Kapitalverkehr regulierend einzugreifen, wird hilflos zugesehen, wie die aktuelle Finanzkrise sich immer weiter ausbreitet. Und statt die Liberalisierungspolitik zu beenden, die zur Preistreiberei auf den Energiemärkten wesentlich beigetragen hat, wird weiter stur auf Deregulierung und Privatisierung gesetzt.

Unsere Fraktion wird einem Bericht nicht zustimmen, der einer neoliberalen Agenda das Wort redet, die soziale Rechte mit Füßen tritt und immer neue Krisen produziert. Was wir brauchen ist eine radikal andere Wirtschaftspolitik, in der die Interessen der Beschäftigten und der Arbeitslosen Vorrang haben vor den Profitinteressen der Konzerne!

Zum Bericht über die Integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung

Am 11. Dezember 2007 hatte die Kommission in ihrer Mitteilung über die erneuerte Strategie von Lissabon vorgeschlagen, die bestehenden Grundzüge der Wirtschaftspolitik als Teil der Integrierten Leitlinien für den Zeitraum 2008-2010 zu bestätigen. Zur Erläuterung: Diese Grundzüge der Wirtschaftspolitik sind Instrument der EU-Wirtschaftspolitik im Zusammenhang mit der Lissabonstrategie. Die in den Leitlinien enthaltenen Aussagen sollen die Richtung der in den Mitgliedstaaten einzuleitenden wirtschaftspolitischen Reformen angeben und sie zugleich anspornen, dabei zügig voranzugehen. Da es jetzt, nach Meinung der Kommission, nur um eine Bestätigung der bis 2010 gültigen Leitlinien geht, liegt nach ihr das Schwergewicht allein auf der Umsetzung. Dies wird größeren Druck auf die Mitgliedsländer zur Folge haben, da - so die Kommission in ihrer Mitteilung - nicht alle Mitgliedstaaten mit der gleichen Entschlossenheit Reformen bisher durchgeführt haben.

Die Berichterstatterin für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung, die liberale, litauische Abgeordnete Margarita Starkeviciute, sowie die Mehrheit der Ausschussmitglieder waren aber im Unterschied zur Kommission der Meinung, dass es nicht alleine nur um eine bessere Anwendung der Leitlinien, sondern auch um ihre inhaltliche Anpassung an neue Erfordernisse gehe. Genannt wurden in diesem Zusammenhang neue Schwerpunktsetzungen im Bereich "Investitionen in die Menschen und Modernisierung der Arbeitsmärkte". Hier wollen Liberale, Konservative und Sozialdemokraten vor allem dem "Flexicurity" Konzept einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, dem "Lebenszyklus-Ansatz" aber auch der "Förderung einer Unternehmenskultur" und einer "aktiven Einwanderungspolitik" mehr Gewicht einräumen. Die Positionen in diesen Fragen wurden von den drei großen Fraktionen in Form gemeinsamer Kompromissanträge in die Ausschussberatung eingebracht. Um den Anspruch des Parlaments auf eine Überarbeitung der Leitlinien zu unterstreichen, beschränkte man sich nicht alleine auf die Abfassung einer Resolution, sondern formulierte, in einem zweiten Teil des Berichts, auch konkrete Änderungsvorschläge für die Leitlinien. Der tatsächliche Effekt dieser Übung wird allerdings gering sein, da das Europäische Parlament bei der Abfassung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik keine Mitsprachemöglichkeit besitzt.

Der Bericht enthält manch unterstützenswerte Forderung, er verbleibt aber generell im Ungefähren mit vielen Allgemeinplätzen. Er enthält eine Reihe von für die Linke nicht akzeptablen Positionen, wie etwa den generellen Ruf nach "offenen Märkten" oder die Forderung nach "beschleunigter Integration des Dienstleistungsmarktes durch die entschiedene Umsetzung und Inkraftsetzung der vereinbarten Regeln und die Beseitigung von Hindernissen für den Wettbewerb und dem Marktzugang", worunter nichts anderes als die schnelle Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie gemeint ist. In keiner Weise akzeptabel ist auch die Behauptung, dass "öffentliches Eigentum auf den Strom- und Gasmärkten einer der Hauptfaktoren für das Entstehen von Verzerrungen auf europäischer Ebene ist und dass die Anreize für mehr Wettbewerb auf diesen Märkten weiter verbessert werden müssen".

Die Fraktion der Linken hatte vier Änderungsanträge zu den Bereichen Makroökonomische Strategie, Krise des Finanzsystems, europäische Handelspolitik und Einwanderungspolitik vorgelegt. Mit diesen Anträgen wurden auch Positionen des Euromemorandums 2007 berücksichtigt. All diese Anträge wie auch die der Grünen wurden von der Mehrheit im Europäischen Parlament abgelehnt. Dem Bericht selbst konnte die Linksfraktion daher nicht ihre Zustimmung geben.

(aw)

Lizenz zum Sozialdumping

Anhörung über die Urteile des EuGH zu Laval und Viking

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen Laval und Viking (vgl. ECON-Newsletter von Januar 2008*) stoßen auf Protest. Die Urteile seien eine Gefahr für das Streikrecht und die Tarifautomie, warnte der Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes, John Monks, in seinem Statement zu einer Anhörung, die der Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments am 26. Februar organisiert hatte. Die Urteile seien daher von enormer Bedeutung für die Gewerkschaften in ganz Europa, da sie keinesfalls nur die Kollegen in Finnland und Schweden betreffen würden.

Im Fall Laval habe der EuGH entschieden, dass das Grundrecht der Gewerkschaften, für gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen, mit Verweis auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der Unternehmen eingeschränkt werden kann, so Monks. Besonders gefährlich an dem Urteil zu Vaxholm sei die Forderung des EuGH, dass Aktionen der Gewerkschaften "verhältnismässig" sein müssten - verbunden mit der Entscheidung, dass die Aktionen der International Transport Workers' Federation nicht verhältnismässig gewesen seien.

"So we are being told that the right to strike is a fundamental right but not so fundamental as the EU’s free movement provisions. This is a licence for social dumping and for unions being prevented from taking action to improve matters. Any company in a transnational dispute has the opportunity to use this judgement against union actions, alleging “disproportionality”, so Monks, der die EU zum sofortigen Handeln aufforderte, da andernfalls die Ratifizierung des EU-Reformvertrags gefährdet werden könnte. Unter anderem forderte Monks die Aufnahme einer "sozialen Fortschrittsklausel" in den Reformvertrag, eine Verbesserung der Entsenderichtlinie sowie eine rasche Verabschiedung der EU-Zeitarbeitsrichtlinie.

Unterdessen haben die dänischen Gewerkschaften eine Petition gestartet, in der sie die Regierung auffordern, den Vertrag von Lissabon nur dann zu unterzeichnen, wenn die EU die Rechte der dänischen Gewerkschaften respektiert. Es wäre zu wünschen, dass sich andere europäische Gewerkschaften dieser Forderung anschließen, damit die Angriffe des EuGH auf die Rechte von Gewerkschaften und Beschäftigten gemeinsam abgewehrt werden können.

Anbei der Text der dänischen Petition:

"Elected union representatives demand: The European Court of Justice has in the so-called Vaxholm case overruled the Swedish Trade Union in its conflict with a Latvian company. The ruling will have consequences in Denmark. Therefore we demand that the Danish prime minister guarantee that a Danish ratification of the Lisbon-treaty is conditional on the EU not interfering in the right to take collective actions in Denmark."

(lk)

*Die bisherigen ECON-Newsletter findet man auf der homepage von Sahra Wagenknecht:

http://www.sahra-wagenknecht.de/de/topic/20.wirtschaftsausschuss.html

Europäisches Parlament fordert rasche Ratifizierung des EU-Vertrags

Linke lehnt Vertrag von Lissabon ab 

Auf der Grundlage eines gemeinsam von dem PSE-Abgeordneten Richard Corbett und dem Konservativen Inigo Medez de Vigo eingebrachten Berichts hat das Parlament am 20. Februar 2008 einen Beschluss gefasst, in dem der Lissabonner Vertrag ausdrücklich "unterstützt" und die Notwendigkeit betont wird, dass "alle Mitgliedstaaten der Union ihn so rechtzeitig ratifizieren, so dass er zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann."

Die Tatsache, dass der Lissabonner Vertrag der fast unveränderte Verfassungsvertrag ist, dieser aber bei Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden durchfiel, war für die Mehrheit des Parlaments nicht einmal eine Erwähnung wert. Auch die Tatsache, dass der Lissabonner Vertrag, anders als der Verfassungsvertrag nicht mehr von einem Konvent, sondern wie in früheren Zeiten von einer hinter verschlossenen Türen tagenden Regierungskonferenz ausgearbeitet wurde, war für die Abgeordneten nicht der Kritik würdig. Dazu hieß es in dem Bericht lediglich lapidar, dass der Vertrag "das Ergebnis traditioneller Methoden der Regierungszusammenarbeit war". Geheimdiplomatie also als eine "traditionelle Methode der Regierungszusammenarbeit" - wir haben verstanden.

Unerwähnt im angenommenen Bericht blieb auch, dass eine der wesentlichen Gründe für die Ablehnung des Verfassungsvertrages die Sorge vieler Bürgerinnen und Bürger in Frankreich und in den Niederlanden war, dass der soziale Zusammenhalt in einem Europa des neoliberalen Binnenmarktes mehr und mehr zerstört wird. Direkt nach den Volksabstimmungen war diese Sorge den Eliten Europas noch sehr wohl bewusst. Damals forderte denn auch Angela Merkel, dem Verfassungsvertrag ein Sozialprotokoll anzufügen. Davon ist jetzt allerdings keine Rede mehr. In dem vom Parlament angenommenen Text wird dieses Sozialprotokoll nicht einmal mehr erwähnt.

Die Linke im Europäischen Parlament hat den Bericht über den Vertrag von Lissabon und damit auch den Vertrag selbst so gut wie geschlossen abgelehnt, "vor allem weil darin keine Fortschritte in Richtung auf ein soziales Europa und die Demokratie vorgeschlagen werden, die Liberalisierung zum Nachteil insbesondere der öffentlichen Dienste und der Beschäftigung beschleunigt wird und die Militarisierung der Europäischen Union vorangetrieben wird" (vgl. Änderungantrag Nr. 31). In ihrem Änderungsantrag Nr. 36 wies sie darauf hin, dass "die Bestimmungen der derzeitigen Verträge, auf die sich der Gerichtshof vor kurzem gestützt hat, um Sozialdumping zu rechtfertigen und Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitnehmer der Wahrung der Dienstleistungsfreiheit unterzuordnen (Urteile Vaxholm und Viking Line), vollständig in den Vertrag von Lissabon aufgenommen wurden." Und sie forderte, "dass das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verbleibt."

Die von Sozialdemokraten und Grünen verbreitete Hoffnung, dass sich durch die eine oder andere kosmetische Änderung im Vertragstext etwas an der wirtschafts- und sozialpolitischen Orientierung der Europäischen Union ändern wird, ist auf Sand gebaut. Wer wirklich ein anderes, demokratisches, soziales und friedliches Europa will, muss vielmehr diesen Lissabonner Vertrag zurückweisen.

(aw) 

Soziale Kluft wächst

Am 21. Februar hat das europäische Parlament eine Entschließung zum Vierten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der EU (Kohäsionsbericht) verabschiedet. Das wichtigste Ergebnis: Während der Abstand zwischen den Ländern der EU abzunehmen scheint, wird die wirtschaftliche und soziale Kluft innerhalb der einzelnen Länder tendenziell größer - wobei diese "Verschärfung regionaler und lokaler Disparitäten in mehrfacher Hinsicht festzustellen ist, sei es bei der Beschäftigung, der Produktivität, den Einkommen, dem Bildungsniveau oder der Innovationsfähigkeit" (vgl. Artikel 7 der Entschließung).

Aber auch die Kluft zwischen armen und reichen EU-Staaten verringert sich nur langsam. Obwohl z.B. die neuen EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsen sind, "dürfte es mehr als 15 Jahre dauern, bevor Polen, und vor allem Bulgarien und Rumänien, ein Pro-Kopf-BIP von 75 % des EU-27-Durchschnitts erreichen" (Vierter Kohäsionsbericht, S. 5).

Insgesamt ergeben sich laut Kohäsionsbericht "Anhaltspunkte für eine breitere geografische Streuung des wirtschaftlichen Wohlstands in der EU: Das traditionelle wirtschaftliche „Herz“ Europas (das Gebiet wischen London, Paris, Mailand, München und Hamburg) trug 2004 deutlich weniger um BIP der EU-27 bei als 1995, während sein Bevölkerungsanteil stabil blieb. Dieser Trend ist mit dem Entstehen neuer Wachstumszentren wie Dublin, Madrid, Helsinki und Stockholm, aber auch Warschau, Prag, Bratislava und Budapest zu erklären."

Dazu passt, dass sich die Wirtschaftstätigkeit innerhalb der EU-Staaten immer mehr auf die Hauptstadtregionen konzentriert (einzige Ausnahmen  von diesem Trend sind Berlin und Dublin). "Zwischen 1995 und 2004 erhöhte sich der durchschnittliche Anteil der Hauptstadtregionen am BIP um 9 %, während ihre Bevölkerung um 2 % wuchs" (Vierter Kohäsionsbericht, S. 8).

Die Herausbildung dynamischer Wirtschaftszentren geht einher mit der Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Im Jahr 2004 "lag der durchschnittliche Anteil der armutsgefährdeten Personen an der Gesamtbevölkerung in der EU bei 16 %, das entspricht rund 75 Millionen Menschen. Frauen, Kleinkinder, ältere Menschen und Arbeitslose haben ein überdurchschnittliches Armutsrisiko." (Vierter Kohäsionsbericht, S.7)

So kommt der Sozialbericht der EU-Kommission für 2008 zu dem Ergebnis, dass jedes fünfte Kind in der EU von Armut betroffen ist; in Ländern wie  Polen und Lettland sogar mehr als jedes vierte Kind (26 Prozent). Und eine Besserung ist nicht in Sicht - schließlich wäre dafür eine radikale Neuorientierung der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik vonnöten, die der Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit höchste Priorität einräumt.

(lk)

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

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