Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

26.09.2008

Chance verpasst!
    Presseerklärung von Sahra Wagenknecht vom 23.09.08
EP verabschiedet Empfehlungen zu Hedge-Fonds und Private Equity
Vorfahrt für Sozialdumping?
    Broschüre zu den jüngsten Angriffen des EuGH auf das Streikrecht, die Tarifautonomie und die Tariftreue
Auswirkungen des "Rüffert-Urteils" des EuGH
    Antwort der EU-Kommission vom 08.09.08 auf die Schriftliche Anfrage von Sahra Wagenknecht vom 07.07.08
Postbank-Verkauf muss verhindert werden!
    Presseerklärung von Sahra Wagenknecht vom 11.09.09
Richtlinienvorschlag für ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem...
    ...hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen
Mehrwertsteuerbetrug in der EU
Stellungnahmen der Linksfraktion im Europäischen Parlament...
    ...zum Arbeits- und Legislativprogramm der Kommission für 2009 und zum "Sozialpaket"

Chance verpasst!

Zur Abstimmung des Europäischen Parlaments am 23.09. über die Kontrolle von Hedgefonds und Private Equity erklärt Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete für die LINKE und Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europäischen Parlament:

Das Europäische Parlament hat die heutige Abstimmung über den Bericht Rasmussen nicht genutzt, um klare und eindeutige Regelungen zur Kontrolle von Hedgefonds und Private Equity einzufordern. Auch das gegenwärtige Debakel der internationalen Finanzwirtschaft hat offenbar nicht ausgereicht, um die Mehrheit des Parlaments zu einem deutlichen Statement zu bewegen.

Stattdessen folgte das Parlament der vom Wirtschaftsausschuss vorgegebenen Linie: Dort war es zu einem Schulterschluss von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen gekommen, der kurz vor der Abstimmung in der Vorlage eines neuen Textentwurfs gipfelte, in dem die ursprünglichen Forderungen rundherum geglättet und verwässert worden waren. Entsprechend dieser Linie wurden nun auch im Plenum alle Anträge abgelehnt, mit denen weitergehende Kritik verankert worden wäre. Der Beschluss des Parlaments bleibt deshalb schwach und wirkungslos.

Mit der heutigen Entscheidung hat das Europäische Parlament die Chance vertan, sich in einer immens wichtigen Frage klar und eindeutig zu positionieren und die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung nach einer wirksamen Kontrolle der Finanzmärkte zu vertreten. Stattdessen zeigt sich das Parlament erneut als eine Institution, die zu mehr als windelweicher Kritik nicht willens ist, um ja nicht den Interessen des Finanzkapitals und der großen Unternehmen zuwider zu agieren.

EP verabschiedet Empfehlungen zu Hedge-Fonds und Private Equity

Als Löwe gestartet....

Im Angesicht der verheerenden Wirkungen der weltweiten Finanzkrise werden gegenwärtig überall Forderungen laut, die Finanzmärkte schärfer zu kontrollieren. Selbst EU-Wettbewerbskommissar Mc Creevy hat inzwischen zugesagt, noch in diesem Jahr mit Änderungen der Eigenkapitalrichtlinie der Banken für mehr Transparenz zu sorgen. Das Europäische Parlament hätte in dieser Situation seine Chance nutzen können, mit konsequenten Forderungen zur Kontrolle der Finanzmärkte hervorzutreten. Möglichkeiten hatte es dazu reichlich. So verabschiedete das EP am 23.09.2008 die Berichte von Klaus-Heiner Lehne (Fraktion der EVP) mit "Empfehlungen an die Kommission zur Transparenz institutioneller Anleger" und den Bericht des dänischen Abgeordneten und Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Europas, Poul Nyrup Rasmussen, mit "Empfehlungen an die Kommission zu Hedge-Fonds und Private Equity".

Vor allem der Bericht zu Hedge-Fonds und Private Equity sollte deutlich machen, dass sich die europäischen Sozialdemokraten nicht nur wortgewaltig nach außen gegen gefräßige Heuschrecken wenden, wie etwa Franz Müntefering im vergangenen Jahr, sondern auch konkret etwas gegen sie tun. Und zunächst sah es auch ganz danach aus, dass es die Sozialdemokraten dieses eine Mal wirklich ernst meinten. Der Berichtsentwurf von Rasmussen ging davon aus, "dass die EU-Reglementierung von Hedge-Fonds und Private Equity zurzeit nicht ausreicht". Angefügt waren "ausführliche Empfehlungen zum Inhalt des verlangten Vorschlags". Im Mittelpunkt des Entwurfs stand die Forderung nach einer "künftigen neuen EU-Aufsichtsbehörde" (Erwägung K), mit der eine "europäische Aufsicht für alle Finanzdienstleistungen - Kapitalmärkte, Wertpapiersektor, Versicherungs- und Bankwesen" geschaffen werden sollte (Punkt 1g der Anlage zum Bericht).

....und als Bettvorleger gelandet

In dem schließlich vom Parlament verabschiedeten Bericht finden sich solche einschneidenden Forderungen aber nicht mehr wieder. All jene Bestimmungen, die für die Betreiber von Hedge-Fonds und Private Equity hätten unangenehm werden können, wurden gestrichen bzw. so abgemildert, dass sie deren Geschäfte in Zukunft nicht gefährden werden. Sogar ein Lob für diese Fonds findet sich nun im Bericht. Sie "steigern" angeblich "die Effizienz von Finanzmärkten durch die Schaffung neuer Anlagemöglichkeiten". In dem verabschiedeten Text wird von der Industrie zwar mehr Transparenz gefordert als sie selbst in einer Selbstverpflichtung zugestehen will, doch was heißt das schon angesichts der Tatsache, dass dieser freiwillige code of conduct unter dem Vorsitz des Ex-Morgan Stanley Vorstands David Walker ausgearbeitet worden war.

Der nun mit großer Mehrheit angenommene Bericht des Parlaments war in Kompromissverhandlugen der Sozialdemokraten mit Liberalen und Konservativen entstanden. Gemeinsam legten die drei Fraktionen erst kurz vor der Abstimmung im Ausschuss für Wirtschaft und Währung einen völlig neuen Text vor, der dann ohne Aussprache en bloc angenommen wurde. Über die zahlreichen von Ausschussmitgliedern vorgelegten Änderungsanträge, u. a. von Sahra Wagenknecht, musste auf diese Weise erst gar nicht abgestimmt werden. Dieses Verfahren stellt denn auch einmal mehr ein beredtes Beispiel für die undemokratische Art und Weise dar, in der die großen Parteien das Parlament behandeln. Aber um grundlegende Eingriffe geht es ja auch Rasmussen gar nicht. So konnte der Guardian am 22.09.08 über seine Absichten zur Regulierung von Hedgefonds und Private Equity folgendes berichten: "He asserted that they would not undermine the City of London's role as a financial hub."

(aw)

Vorfahrt für Sozialdumping?

Broschüre zu den jüngsten Angriffen des EuGH auf das Streikrecht, die Tarifautonomie und die Tariftreue

Müssen Gewerkschaften künftig mit Schadensersatzklagen rechnen, wenn sie sich gegen Lohndumping zur Wehr setzen? Dürfen Staaten oder Bundesländer keine Gesetze mehr erlassen, die für entsandte und einheimische Beschäftigte gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen vorschreiben? Die Antwort, die der Europäische Gerichtshof mit seinen Urteilen in den Fällen Viking, Laval, Rüffert und Kommission/Luxemburg auf diese Fragen gegeben hat, fällt eindeutig aus: Zentrale Grundrechte der deutschen Verfassung wie die Tarifautonomie, aber auch Tariftreuegesetze und das nationale Streik- und Arbeitsrecht - ja selbst die Meinungsfreiheit und der Schutz der Menschenwürde - können mit Verweis auf die sogenannten Grundfreiheiten im Binnenmarkt einschränkt und ausgehebelt werden.

Dies wirft die Frage auf, mit welchen Mitteln Lohndumping künftig verhindert werden kann und führt zu der noch grundlegenderen Frage, wie es um die Perspektive eines sozialen Europa bestellt ist und wie die einseitige Orientierung der EU an den Interessen bzw. „Freiheiten“ von Unternehmen überwunden werden kann.

Mit diesen Fragen setzt sich eine aktuelle Broschüre auseinander, die auf einer juristischen Expertise basiert, die die Rechtsanwältin Ghazaleh Nassibi im Auftrag von Sahra Wagenknecht erstellt hat. Während der erste Teil der Broschüre eine juristische Analyse der EuGH-Urteile vornimmt, werden im zweiten Teil verschiedene Handlungsoptionen und Gegenstrategien diskutiert. Dabei kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass man letztlich die europäischen Verträge ändern muss, um das in den Urteilen zum Ausdruck kommende Missverhältnis zwischen Grundrechten und wirtschaftlichen "Freiheiten" zu korrigieren. Nötig wäre die Einfügung einer sozialen Fortschrittsklausel in den Vertrag von Lissabon, welche sicherstellt, dass soziale Grundrechte künftig Vorrang haben vor Binnenmarktfreiheiten oder Wettbewerbsregeln.

(lk)

PS: Die kostenlose Broschüre kann per email an: sahra.wagenknecht-assistant2@europarl.europa.eu vorbestellt werden. Sie wird in gedruckter Form vorliegen, sobald sämtliche Antworten der Kommission und des Rats auf die schriftlichen Anfragen von Sahra Wagenknecht eingegangen sind. 

Auswirkungen des "Rüffert-Urteils" des EuGH

Antwort der EU-Kommission vom 08.09.08 auf die Schriftliche Anfrage von Sahra Wagenknecht vom 07.07.08

Schriftliche Anfrage von Sahra Wagenknecht an die EU-Kommission vom 07.07.08

1. Teilt die Kommission die Befürchtung, dass das „Rüffert"-Urteil die Verlagerung von Unternehmen in Länder mit niedrigeren Löhnen und Sozialstandards begünstigen kann, und falls ja, was gedenkt sie, dagegen zu unternehmen?

2. Welche Auswirkungen hat das „Rüffert"-Urteil nach Einschätzung der Kommission auf die Gleichbehandlung von einheimischen und ausländischen Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge? Handelt es sich nicht um eine Diskriminierung einheimischer Unternehmen, wenn sich die Unternehmen anderer EU-Mitgliedstaaten lediglich an die Mindestbedingungen der Entsenderichtlinie halten müssen?

3. Sieht die Kommission Handlungsbedarf zur Schaffung eines europarechtlichen Rahmens, der nationalstaatliche Tariftreuegesetze als europarechtskonform ermöglicht?

4. Wie beurteilt die Kommission das Verhältnis der Entsenderichtlinie zu den Vergaberichtlinien im Hinblick auf die Geltung von Tariftreueklauseln? Hat die Entsenderichtlinie Vorrang vor den Vergaberichtlinien oder ist es nicht vielmehr so, dass bei der Frage der Geltung von Tariftreueklauseln die Vergaberichtlinien als lex specialis die Entsenderichtlinie verdrängen?

5. Teilt die Kommission die Ansicht, dass das „Rüffert"-Urteil in Widerspruch zum Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zu Tariftreuevorschriften im Rahmen von öffentlichen Aufträgen (ILO-Konvention 94) steht? Hat die deutsche Regierung nach dem „Rüffert"-Urteil immer noch die Möglichkeit, die ILO-Konvention 94 zu ratifizieren?

Antwort von Binnnenmarktkommissar Charlie McCreevy im Namen der EU-Kommission vom 08.09.2008

1. Der Kommission liegen keine Hinweise darauf vor, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Fall Rüffert (Fall C-346/06) zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in Länder mit niedrigeren Löhnen und Sozialstandards führen könnte. Das Urteil betrifft einen sehr spezifischen Fall, in dem ausländische Dienstleister durch regionale Rechtsvorschriften im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe dazu verpflichtet werden, bei der Durchführung öffentlicher Werkverträge Arbeitsbedingungen einzuhalten, die in nicht für allgemeinverbindlich erklärten örtlichen Tarifverträgen festgelegt wurden, obwohl in Deutschland die Möglichkeit besteht, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären.

2. Die Kommission ist nicht der Ansicht, dass das Rüffert-Urteil konkrete Auswirkungen oder Folgen für den Grundsatz der Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit ausländischer Arbeitnehmer hat. In Bezug auf eine mögliche Diskriminierung eigener Staatsangehöriger steht es dem nationalen (bzw. in diesem Fall regionalen) Gesetzgeber darüber hinaus frei zu entscheiden, ob er die mit der gemeinschaftlichen Dienstleistungsfreiheit unvereinbaren Rechtsvorschriften auch im Hinblick auf rein innerstaatliche Fälle ändern sollte oder möchte.

3. Angesichts der vorstehenden Feststellungen und der Tatsache, dass es nach den Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen bereits gestattet ist, soziale Erwägungen zu berücksichtigen, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen, sieht die Kommission keine Notwendigkeit, Rechtsvorschriften auf europäischer Ebene zu erlassen, nach denen die vom Rüffert-Urteil des EuGH erfassten Tariftreueklauseln als konform mit dem Gemeinschaftsrecht angesehen werden könnten.

4. Wie bereits erwähnt, ist es den öffentlichen Auftraggebern nach den Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe bereits gestattet, besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags festzulegen, bei denen auch soziale Erwägungen berücksichtigt werden können, wenn diese Bedingungen (sowie darüber hinaus die Vergabe des öffentlichen Auftrags) und ihre Umsetzung im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen. Bei der Auftragsvergabe sind daher die im EG-Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten zu berücksichtigen, darunter auch der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit, der wiederum durch die Entsenderichtlinie mit der Notwendigkeit in Einklang gebracht werden soll, den Schutz der Rechte von Arbeitnehmern, die vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, um diese Dienstleistungen zu erbringen, zu garantieren. Angesichts der vorstehenden Feststellungen und unter Berücksichtigung der Antwort auf Frage 2 stellt sich daher im vorliegenden Fall nicht die Frage, welche der Richtlinien Vorrang hat oder einem „lex specialis" entspricht.

5. Das ILO-Übereinkommen Nr. 94 über Arbeitsklauseln in öffentlichen Verträgen, auf das sich die Frau Abgeordnete bezieht, wurde im Jahr 1949 von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedet und von 10 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert. Da Deutschland dieses Übereinkommen nicht ratifiziert hat, musste sich das Gericht im vorliegenden Fall nicht mit der Frage einer möglichen Anwendbarkeit des ILO-Übereinkommens Nr. 94 befassen.

Postbank-Verkauf muss verhindert werden!

Zur Diskussion über einen Verkauf der Postbank an die Deutsche Bank erklärt Sahra Wagenknecht, Mitglied des Vorstands der Partei DIE LINKE und Abgeordnete des Europäischen Parlaments:

„Für die Beschäftigten in der Bankbranche ist der aktuelle Konzentrationsschub eine einzige Katastrophe: Schon die 10 Milliarden teure Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank wird etwa 9000 Arbeitsplätze vernichten. Bei der West LB sollen 1350 Arbeitsplätze gestrichen werden, d.h. der krisenbedingten Umstrukturierung wird jeder vierte Arbeitsplatz zum Opfer fallen. Und jetzt streckt auch noch die Deutsche Bank ihre Hände nach der Postbank aus…

Zwar hat ver.di in weiser Voraussicht für die rund 21.000 Beschäftigten der Postbank eine Arbeitsplatzgarantie bis 2011 ausgehandelt. Allerdings ist auch der Gewerkschaft klar, dass der Verkauf tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr bringen wird. Und nicht nur die Beschäftigten, auch die Verbraucher werden noch unter der „Konsolidierung" der Bankbranche zu leiden haben. Denn weniger Banken bedeuten weniger Bankfilialen, weniger Auswahl und steigende Preise. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Postbank schon jetzt mehr als 20 Prozent des inländischen Zahlungsverkehrs abwickelt. Sollten sich hier monopolartige Strukturen herausbilden – was nach einer Übernahme durch die Deutsche Bank nicht mehr so unwahrscheinlich ist –, hätte dies für alle Verbraucher fatale Folgen. Dies zeigen jene europäischen Länder, in denen der Konzentrationsprozess schon weiter fortgeschritten ist.

Ein Verkauf der Postbank würde tausende Arbeitsplätze vernichten und den Service für Bank- und Postkunden verschlechtern. Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt für den Verkauf kaum schlechter sein könnte: So ist der Marktwert der Postbank in den letzten Monaten um drei Milliarden Euro auf nur noch sieben Milliarden Euro gefallen. Doch es geht nicht nur um den Zeitpunkt - der Verkauf einer Bank, die mit über 14 Millionen Kunden zu den führenden deutschen Retailbanken zählt und von der Finanzkrise aufgrund solider Geschäftspolitik nur wenig in Mitleidenschaft gezogen wurde, macht grundsätzlich keinen Sinn. Sowohl der Aufsichtsrat der Deutschen Post AG als auch die Bundesregierung als Großaktionär der Post können und müssen diesen Ausverkauf verhindern!"

Richtlinienvorschlag für ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem...

...hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen

Am 25. September 2008 nahm das Europäische Parlament mit großer Mehrheit einen Beschluss über den "Vorschlag für eine Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen" an. Grundlage dafür war ein Bericht des maltesischen sozialdemokratischen Abgeordneten Joseph Muscat .

Finanzdienstleistungen - darunter fallen u. a. Versicherungen und die Verwaltung von Investitionsfonds - sind in den EU-Mitgliedstaaten von der Mehrwertsteuer befreit. Die Gründe dafür liegen in den Schwierigkeiten, die steuerpflichtigen Beträge und die abzugsfähige Mehrwertsteuer im Einzelnen zu ermitteln. Daraus folgt, dass auch die zur Erbringung der befreiten Leistungen generierte Vorsteuer nicht abgezogen werden kann. Dadurch entstehen bei den Unternehmen nicht abzugsfähige, sogenannte eingebettete oder "versteckte Mehrwertsteuern". In Zeiten, in denen die Gewinnmargen der Finanzdienstleister sinken, werden dort auch solche, nun fehlende Beträge bemerkt. Da nach den europäischen Verträgen Mehrwertsteuern bis zu einem gewissen Grad harmonisiert sein sollen, ist es an der Europäischen Kommission, hier aktiv zu werden.

Zu bedenken sind aber auch die negativen Folgen, die die Erhebung von Mehrwertsteuern für Finanzdienstleistungen haben. So würden etwa die vorhandenen technischen Probleme, die heute eine Einführung von Mehrwertsteuern für Finanzdienstleistungen so schwierig machen, weiterhin bestehen. Sie wären nur mit einem hohen Verwaltungsaufwand zu überwinden. Die Erhebung von Mehrwertsteuern für Finanzdienstleistungen würde zudem wohl die Steuerbasis der Mitgliedstaaten verbreitern helfen aber damit noch lange nicht automatisch für zusätzliche Einnahmen sorgen, denn die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs führt, bei Nichtvorhandensein gegenläufiger Maßnahmen, zu einer Verringerung der Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten.

Der Grund dafür ist der hohe Anteil von Finanzdienstleistungen, die innerhalb der EU gehandelt werden. Diese grenzüberschreitenden Leistungen genießen aber, ebenso wie alle übrigen Lieferungen und Leistungen über EU-Binnengrenzen hinweg, Mehrwertsteuerfreiheit. Nachteile ergeben sich aber vor allem für die Verbraucher. Wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch, würde zumindest ein Teil der nicht abzugsfähigen Mehrwertsteuern an den Endverbraucher weitergereicht. Dies bedeutet höhere Kosten für Versicherungsleistungen und für andere Produkte. In einer Folgenabschätzung der Kommission wurde denn auch ausdrücklich auf diese Gefahr hingewiesen. Anträge im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, die deshalb vor einer Änderung der derzeitigen Mehrwertsteuervereinbarung die Durchführung einer Impaktstudie einschließlich einer Kosten-Nutzen-Analyse verlangten, wurden dort aber abgelehnt. Die Abgeordneten der europäischen Linken konnten deshalb dem Bericht Muscat nicht ihre Zustimmung geben.

(aw)

Mehrwertsteuerbetrug in der EU

Obwohl nicht in allen Mitgliedstaaten Untersuchungen zur Größenordnung von Mehrwertsteuerhinterziehung und –betrug angestellt wurden, sind verschiedene Schätzungen veröffentlicht worden. Nach der International VAT Association liegen die Mehrwertsteuerausfälle in der Europäischen Union zwischen 60 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr. Allein in Großbritannien sind der Finanz- und Zollbehörde zufolge im Steuerjahr 2005/2006 möglicherweise Mehrwertsteuerausfälle von bis zu 18,2 Milliarden Euro angefallen. Das deutsche Finanzministerium hat die Ergebnisse einer Untersuchung veröffentlicht, in der die Mehrwertsteuerausfälle für 2005 auf 17 Milliarden Euro veranschlagt wurden.

Dieser enorme Betrug wird begünstigt durch die Bestimmungen des Binnenmarktes, nach dem innergemeinschaftliche Umsätze mehrwertsteuerfrei sind, d.h. der Exporteur von Gütern oder Dienstleistungen stellt dem Empfänger keine Mehrwertsteuer in Rechnung, hat aber dennoch Anspruch auf Vorsteuererstattung. Der Einkäufer im anderen Land zahlt beim Kauf keine Mehrwertsteuer, muss diese aber bei Weiterverkäufen aufschlagen und die Mehrwertsteuereinnahmen an seine Steuerbehörde abführen. Dieses System erlaubte es, die Kontrollen an den Binnengrenzen abzuschaffen und gleichzeitig weiter Steuern im Bestimmungsland zu erheben. Bei diesen Geschäften kommt es zu Mehrwertsteuerhinterziehungen sowohl im Lieferland (da der Exporteur, nachdem er eine innergemeinschaftliche Lieferung gemeldet hat, Waren zum Verkauf auf dem Inlandsmarkt zurückbehält, für die er aber keine Mehrwertsteuer abführt) als auch im Bestimmungsland (indem der Empfänger die bei Ankunft fällige Mehrwertsteuer nicht entrichtet). Werden die Waren dann auch noch wiederholt ein- und ausgeführt, komme es zum sogenannten "Karussellbetrug".

Lösungen für diese gravierenden Probleme werden seit Jahren in der EU diskutiert, ohne dass ein Ergebnis in Sicht wäre. Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. September 2008 fordert nun eine "Strategie der Europäischen Union zur Bekämpfung von Steuerbetrug, (die) darauf abzielen muss, das Problem der Steuerausfälle infolge von Steuerbetrug anzugehen" (vgl. Paragraph 1) und zugleich werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, "die Bekämpfung des Steuerbetrugs endlich ernst zu nehmen" (vgl. Paragraph 2).

Zur Eindämmung des EU-internen Mehrwertsteuerbetrugs bieten sich zwei Wege an, die auch im Bericht als Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden. Entweder wird nach dem "Ursprungslandprinzip" gewährleistet, dass "mehrwertsteuerpflichtige Transaktionen zwischen Mitgliedstaaten die bereits im Ursprungsland erhobene Steuer enthalten und nicht mehr dem Nullsatz unterliegen" (vgl. Paragraph 3 der Entschließung) oder die Steuerschuldnerschaft wird verlagert (Reverse Charge-Mechanismus). Danach wird die Mehrwertsteuer nicht vom Lieferer, sondern vom steuerpflichtigen Kunden ausgewiesen. Da der Kunde, soweit er Anspruch auf vollen Vorsteuerabzug hat, seine Vorsteuer auf der gleichen MwSt-Erklärung zum Abzug bringt, ist das Ergebnis gleich Null und es erfolgt keine Zahlung (vgl. Paragraph 18 der Entschließung). Dieses System wird im Europäischen Rat gegenwärtig vor allem von Deutschland und Österreich befürwortet. In Paragraph 50 wird nun vom Parlament ein Pilotprojekt ausdrücklich unterstützt, um "die systemimmanenten Risiken eines Reverse-Charge-Mechanismus besser zu verstehen."

Im Ausschuss für Wirtschaft und Währung wurde der der EP-Entschließung zu Grunde liegende Bericht der liberalen britischen Abgeordneten Sharon Bowles nahezu einstimmig angenommen. In der Plenarsitzung am 2. September 2008 wurden seine eindeutigen und klaren Aussagen dann aber durch erfolgreiche Änderungsanträge der liberalen und konservativen Fraktionen wieder verwässert, so dass die linke Fraktion am Ende gegen den Bericht stimmte, die Sozialisten enthielten sich.

(aw)

Stellungnahmen der Linksfraktion im Europäischen Parlament...

 ...zum Arbeits- und Legislativprogramm der Kommission für 2009 und zum "Sozialpaket"

Am Mittwoch, den 24. September, hat das Europäische Parlament über das Arbeits- und Legislativprogramm der Kommission für 2009 debattiert. Die Linksfraktion im EP brachte hierzu einen Entschließungsantrag ein, in dem die bisherige Politik der EU-Kommission in den verschiedenen Bereichen (von der Umwelt- über die Wirtschafts- bis zur Außenpolitik) einer deutlichen Kritik unterzogen wird. Nach Ansicht der Linksfraktion habe "die neoliberale Politik der EU, das Demokratiedefizit und die nicht transparenten Verfahren...eine schwerwiegende Legitimitätskrise der europäischen Organe heraufbeschworen", weswegen die Kommission ihre Arbeit überdenken und keine neuen Initiativen ergreifen dürfe, "deren Ziel eine Fortsetzung der Politik ungerechter Reformen im Bereich der sozialen Sicherheit, Einkommenskürzungen, Privatisierung und Liberalisierung von Dienstleistungen von öffentlichem Interesse sowie Standortverlagerungen von Unternehmen sind." Außerdem müsse der Ratifizierungsprozess des Vertrags von Lissabon gestoppt und die geltenden Verträge überarbeit werden, wobei als erster Schritt "die Einfügung einer „Klausel über den sozialen Fortschritt“ als verbindliches Protokoll in die bestehenden Verträge" nötig sei. Zwar stimmte eine Mehrheit im Europäischen Parlament am 24.9. gegen den Entschließungsantrag der Linksfraktion; allerdings wurde auch ein gemeinsamer Entschließungsantrag, den EVP-ED, ALDE und die UEN-Fraktion vorgelegt hatten, mit 102 Ja- zu 306 Nein-Stimmen (bei 207 Enthaltungen) abgelehnt.

Auch zum sogenannten "Sozialpaket", mit dessen zweitem Teil sich das Parlament am 25. September befasste, brachte die GUE/NGL-Fraktion einen Entschließungsantrag ein. Die im Sozialpaket enthaltenen Legislativvorhaben zielen nach Ansicht der Linksfraktion entweder darauf ab, "die Liberalisierung des Binnenmarktes voranzutreiben, wie im Fall der vorgeschlagenen Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung" oder sie würden "die Förderung des sozialen Fortschritts nicht ehrgeizig genug unterstützen, wie es bei dem Vorschlag zur Revision der Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat der Fall ist." Heftig kritisiert wird die politische Einigung des Rates „Beschäftigung und Soziales“ vom 9. Juni 2008 über die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie, da sie eine "weitere Deregulierung der ohnehin bereits niedrigen Mindeststandards für den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer vor unregelmäßigen und langen Arbeitszeiten" bewirke.

Alles in allem sei das Sozialpaket "nicht mehr als ein schlechter Versuch, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von der sozial rückschrittlichen Politik der Kommission und des Rates, wie der geplanten Deregulierung der Arbeitszeitrichtlinie, und den verheerenden Auswirkungen der jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu Grundrechten und Kollektivverhandlungen abzulenken".

(lk)

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

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