Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

23.10.2008

Das Finanzsystem gehört in öffentliche Hand!
    Artikel von Sahra Wagenknecht zu den jüngsten "Rettungspaketen" in Deutschland und Europa
Mehr als zwei Billionen Euro für Banken
    Ergebnisse des EU-Gipfels vom 15. und 16. Oktober 2008
Ran mit der großen Axt
    Artikel von Andreas Wehr zum Krisenmanagement der EU in der Tageszeitung "junge welt" vom 16.10.08
Jeder gegen jeden
    Die EU und die Finanzkrise - Artikel von Andreas Wehr in der Tageszeitung "junge welt" vom 10.10.08
Linke Fraktion für Verstaatlichung des Bankvermögens
    Diskussion im Europäischen Parlament zur Finanzmarktkrise
Vorrang sozialer Grundrechte von Sozialdemokraten abgelehnt
    Zur Abstimmung über den Andersson-Bericht im Europäischen Parlament
Initiativbericht des Europäischen Parlaments zur Finanzaufsicht

Das Finanzsystem gehört in öffentliche Hand!

Der Kapitalismus hat abgewirtschaftet. Nach Jahrzehnten der ungebremsten Zockerei an den Finanzmärkten sollen nun die kleinen Leute für die Verluste geradestehen. Mit mehr als 2 Billionen Dollar wollen die EU-Staaten dem angeschlagenen Bankensystem unter die Arme greifen. Allein das deutsche »Rettungspaket« für die Banken, das am 17. Oktober von Bundestag und Bundesrat abgesegnet wurde, beläuft sich auf 500 Milliarden Euro. Dies ist eine enorme Summe - verglichen etwa mit den Ausgaben des Bundes für soziale Sicherung (zirka 141 Milliarden Euro) oder den Ausgaben für Hartz-IV-Empfänger (zirka 23 Milliarden Euro). Die neoliberale Behauptung, für Bildung, Gesundheit und andere soziale Leistungen sei einfach »kein Geld da«, ist damit als Lüge entlarvt. Peinlich sind die Rettungsaktionen aber auch für die Ideologen des »freien Marktes«, der anscheinend nur dann funktioniert, wenn die Gewinne sprudeln. Gehen die Spekulationen schief, ist der Staat gefragt, der mit Steuergeldern das Vertrauen in den Kapitalismus wieder herstellen soll.

Der von der Bundesregierung verabschiedete »Rettungsfonds« ist eine Zumutung. Statt die Akteure auf den Finanzmärkten für ihr Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen, stellt die Regierung ihnen einen Blankoscheck aus und belohnt damit ausgerechnet jene, die für die Finanzkatastrophe verantwortlich sind. Trotz öffentlicher Beteuerungen, dass nun die Finanzmärkte reguliert, die Profitgier von Managern begrenzt und öffentliche Hilfen nicht ohne Gegenleistung gegeben würden, sucht man entsprechende Auflagen im so genannten »Finanzmarktstabilisierungsgesetz« vergebens. Zwar enthält die zugehörige Durchführungsverordnung die Aussage, dass »eine monetäre Gesamtvergütung, die 500.000 Euro pro Jahr übersteigt« bei Organmitgliedern und Geschäftsleitern »grundsätzlich als unangemessen« gelten soll - dies bezieht sich jedoch nur auf den Zeitraum, in dem Gelder des »Rettungsfonds« in Anspruch genommen werden, d.h. von einer dauerhaften Begrenzung von (auch mit 500.000 Euro noch durchaus üppigen) Managergehältern kann keine Rede sein.

Mit hektischem Krisenmanagement und zur Schau gestelltem Zweckoptimismus versucht die Regierung über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass sie über keinerlei Konzept verfügt, wie der aktuellen Krise beizukommen wäre. Dabei ist es gar nicht so schwer, aus der wohl heftigsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren Lehren zu ziehen – vorausgesetzt man ist bereit, den neoliberalen Irrweg zu verlassen und das herrschende Wirtschaftssystem, das immer wieder Krisen und Crashs produziert, radikal zu verändern.

Banken verstaatlichen, öffentliche Kontrolle durchsetzen

Die Stabilität der Finanzmärkte ist ein öffentliches Gut – und nur der Staat ist in der Lage, dieses Gut bereitzustellen. Die Krise sollte daher zum Anlass genommen werden, sämtliche Banken in öffentliches Eigentum zu überführen. Da Stützungsaktionen für einzelne Banken immer den Nachteil haben, dass sich die Probleme womöglich nur auf andere Banken verlagern, ist eine Verstaatlichung sämtlicher Banken nicht nur die vernünftigste Art des Krisenmanagements. Sie ist auch die Voraussetzung für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und das einzige Mittel, mit dem die Banken dauerhaft gezwungen werden können, ihre Geschäftspolitik am Gemeinwohl auszurichten.

Mindestens ist zu gewährleisten, dass öffentliches Geld nur im Tausch gegen öffentliche Eigentumsrechte freigegeben wird, der Staat also mit jedem Euro Steuergeld voll stimmrechtsfähige Aktien erwirbt und diese Stimmrechte dazu nutzt, um eine grundsätzliche Änderung des Geschäftsmodells der Banken zu erreichen. Um den Renditedruck, der inzwischen auch auf Landesbanken und Sparkassen lastet, zu verringern, sollte ferner die Gewährträgerhaftung für den öffentlich-rechtlichen Bankensektor wieder eingeführt werden.

Die Profiteure der Finanzblase zur Kasse bitten

Schon jetzt ist absehbar, dass die Bundesregierung versuchen wird, die Kosten ihres verfehlten Krisenmanagements auf die einfachen Leute abzuwälzen. Gerade Ländern wie Berlin, die hoch verschuldet sind und durch eine gnadenlose Sparpolitik bereits jetzt über die Grenzen des Erträglichen hinausgehen, wird mit dem Rettungspaket der Bundesregierung nun noch eine zusätzliche Last aufgebürdet. Doch während DIE LINKE im Bundestag das Rettungspaket geschlossen abgelehnt hat, ließ sich der Berliner Senat einschüchtern und stimmte dem Gesetz im Bundesrat zu. Dabei sollte gerade Berlin aufgrund seiner Erfahrungen mit der Berliner Landesbank gelernt haben, welch fatale Folgen Risikoabschirmungen haben können.

Egal, welche Bankenkrise man betrachtet: Es ist nicht hinnehmbar, dass Verluste in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe einfach sozialisiert werden. Auf die Frage, wie das Rettungspaket der Bundesregierung finanziert werden soll, kann es daher nur eine Antwort geben: Die Profiteure der Finanzmarktblase, die über Jahre hinweg hohe Gewinne gescheffelt haben, müssen bezahlen! Nach Angaben von ver.di haben die Konzerne und Vermögensbesitzer in den letzten zehn Jahren rund eine Billion Euro zusätzlich einstreichen können; die eine Hälfte aufgrund massiver Steuergeschenke, die andere Hälfte aufgrund zu niedriger Löhne. Diese krasse Umverteilung zugunsten der Reichen muss endlich beendet bzw. umgekehrt werden. Eine Millionärssteuer, die Vermögen jenseits eines Freibetrags von 1 Million Euro mit 10 Prozent belastet, würde über 200 Milliarden Euro im Jahr freisetzen, um für eine bessere finanzielle Ausstattung von Bund und Ländern zu sorgen und ein wirksames Konjunkturprogramm zu ermöglichen.

Eine solche Besteuerung bzw. Umverteilung des Vermögens wäre gleichzeitig auch das beste Mittel, um die Entstehung weiterer Finanzblasen zu verhindern. Denn wieso kommt es immer wieder zu Krisen auf den Finanzmärkten? Hauptgrund ist die neoliberale Umverteilungs- und Privatisierungspolitik: Durch die Senkung von Unternehmens-, Vermögens- und Spitzensteuersätzen, durch die Teilprivatisierung der Rente und durch eine Politik des Lohn- und Sozialdumpings sind erst jene Rekordgewinne entstanden, die anschließend auf den Finanzmärkten auf der Suche nach immer höheren Renditen verspekuliert wurden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Umverteilung zugunsten der Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner sowie der Arbeitslosen auch der beste Weg ist, um künftigen Finanzkrisen vorzubeugen. Außerdem hat die Krise gezeigt, dass man die Altersvorsorge der Menschen nicht von den Entwicklungen an der Börse abhängig machen darf: Die Teilprivatisierung der Rente muss daher schleunigst rückgängig gemacht werden.

Sahra Wagenknecht

Mehr als zwei Billionen Euro für Banken

Ergebnisse des EU-Gipfels vom 15. und 16. Oktober 2008

Die Schadenfreude währte nur kurz. Hagelte es vor wenigen Wochen noch scharfe Kritik am 700 Milliarden Dollar schweren Rettungspaket der USA, während man gleichzeitig versicherte, dass die Verluste in Europa "in keiner Weise mit denjenigen in den USA zu vergleichen" seien (so Finanzminister Steinbrück am 25. September in einer Regierungserklärung zur Finanzkrise), sieht die Situation inzwischen anders aus: Mit mehr als 2 Billionen Euro wollen die EU-Staaten ihren Banken zu Hilfe eilen; allein der deutsche "Rettungsfonds" kommt mit 500 Milliarden Euro nah an das Volumen des US-Pakets zur Stützung der Banken heran.

Zwar war man auf dem EU-Gipfel sichtlich um Geschlossenheit bemüht. Ein gesamteuropäischer Rettungsfonds ist allerdings am Widerstand u.a. von Deutschland und Großbritannien gescheitert. Auch eine zentrale europäische Aufsichtsbehörde wird es vorerst nicht geben, da viele Staaten (vor allem aus Osteuropa) befürchten, die in ihrem Staatsgebiet tätigen Konzerntöchter dann nicht mehr angemessen beaufsichtigen zu können.

Immer deutlicher zeigt sich, dass die EU über kein gemeinsames Konzept verfügt, wie der Krise zu begegnen wäre. So werden die Vorschläge des derzeitigen EU-Ratspräsidenten Sarkozy, der eine europäische Wirtschaftsregierung einfordert und nun sogar Schlüsselindustrien teilverstaatlichen will um sie vor dem Zugriff ausländischer Investoren und Staatsfonds zu schützen, nicht zuletzt von der deutschen Regierung abgelehnt. Auf dem EU-Gipfel konnte man sich daher nur auf ein paar überfällige Maßnahmen des Krisenmanagements verständigen, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen:

Sicherung der Spareinlagen

Damit es zu keinem weiteren Bank-Run kommt, sollen die Spareinlagen europaweit besser gesichert werden – eine sicher wichtige Maßnahme, die man allerdings schon vor Monaten hätte durchsetzen können und müssen. Die Vorschläge der Kommission zur Reform der Einlagensicherungssysteme sehen vor, dass Sparguthaben bis zu 50.000 Euro in allen EU-Staaten gesetzlich abgesichert sein sollen; bis Ende 2009 soll die Mindestdeckungssumme auf 100.000 Euro steigen. Außerdem sollen die Sparer ihr Geld im Fall einer Bankpleite künftig innerhalb von drei Tagen zurückbekommen.

Bilanzierungsregeln werden aufgeweicht

Ferner sollen die Regeln zur Bilanzierung von Wertpapierbeständen aufgeweicht werden, damit die Banken im dritten Quartal nicht mit weiteren Schreckensnachrichten aufwarten. Nachdem man erst vor wenigen Jahren die internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) für börsennotierte Unternehmen grundlegend umgekrempelt und an das amerikanische Modell der Bilanzierung nach reinen "Marktwerten" (fair value) angepasst hatte, stellt sich nun heraus, dass die neue Bilanzierungsregeln derart prozyklisch und krisenverschärfend wirken, dass die Kommission nun eilig Ausnahmen vom Grundsatz des sogenannten "fair value accounting" beschlossen hat (vgl. die Verordnung Nr. 1004/2008 der Kommission vom 15. Oktober 08 zur Änderung der Bilanzierungsregeln IAS 39 und IFRS 7). Damit wird das Problem jedoch lediglich in die Zukunft verschoben, d.h. die Banken müssen nun erst später das volle Ausmaß der Verluste, die sie im Handel mit Aktien und Schrottpapieren eingefahren haben, offenlegen.

Banken sollen Kreditrisiken besser absichern

Seit Anfang Oktober liegen endlich auch Vorschläge der Kommission für eine Neufassung der EU-Vorschriften für die Eigenkapitalausstattung der Banken vor. Beim Weiterverkauf von Krediten sollen Finanzinstitute künftig fünf Prozent des Kreditrisikos in ihren Büchern behalten; außerdem sollen die Banken bei der Kreditvergabe nicht über ein bestimmtes Limit hinausgehen dürfen und die Aufsicht über die Aktivitäten grenzüberschreitender Bankengruppen verbessert werden. Wie Sahra Wagenknecht in ihrer Pressemitteilung vom 1. Oktober feststellte, sind diese Vorschläge der Kommission jedoch alles andere als ausreichend: "Tatsächlich muss die Frage gestellt werden, welchen volkswirtschaftlichen Vorteil die Konstruktion hyperkomplexer Finanzinstrumente, deren Risikoprofil kein Investor mehr überschaut, überhaupt hat. Einzig sinnvoll wäre es daher, das Geschäft mit unübersichtlichen Verbriefungen und Kreditderivaten generell zu verbieten. Das gleiche gilt für die diversen Zweckgesellschaften und Conduits, die sich die Banken in den letzten Jahren zur Abwicklung hochspekulativer Geschäfte bei Umgehung der Eigenkapitalvorschriften zugelegt haben. Dieser Sumpf muss endlich trockengelegt werden."

Über diese und andere dringend nötige Reformen des Finanzsystems wird die EU jedoch in absehbarer Zeit keine Einigkeit erzielen. Dafür sind die Interessen der EU-Staaten einfach zu unterschiedlich; auch hat sich die Einsicht, dass die Deregulierungspolitik der letzten Jahrzehnte versagt hat, noch längst nicht überall durchgesetzt. Um über die eigene Konzeptlosigkeit hinwegzutäuschen, sollen die Probleme nun auf höherer Ebene verhandelt werden: So wird am 15. November in Washington eine erste Weltfinanzkonferenz stattfinden, an der außer den Staaten der G-20 auch die Chefs von Weltbank, IWF und der UN-Generalsekretär teilnehmen werden.

(lk)

Ran mit der großen Axt

Garantieerklärungen verschärfen Wettbewerb: Nur Übernahme des gesamten Bankensektors auf einen Schlag in öffentliche Hand beendet tödliche Konkurrenz

»Eine Revolution von oben«, so beschrieb am 13. Oktober die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die Ankündigung gigantischer Rettungspakte für die Finanzindustrie gleich in einer ganzen Reihe europäischer Länder. Und in der Tat, was da am Wochenanfang in Berlin, Paris, Rom, Madrid, Den Haag und Wien zur Rettung der jeweils nationalen Banken präsentiert wurde, ist nichts anderes als eine solche »Revolution von oben«. Sie ist die Reaktion auf die offenbar gewordene Tatsache, daß ungehemmter Wettbewerb in einer zugespitzten Krisensituation auf geradem Weg nach unten führt. Die Staatsinterventionen sollen verhindern, daß die Banken durch ihre Weigerung, sich untereinander Kredit zu geben, einander erdrosseln und dabei die gesamte Wirtschaft mit in den Abgrund reißen.

Informelle Gremien

Der Anstoß zu diesem beispiellosen Vorgehen kam aber nicht aus Brüssel. Die Institutionen der EU spielten dabei keine Rolle. Die Rettungspläne entstanden weder an den Schreibtischen der Kommission noch des Rates und schon gar nicht im Europäischen Parlament. Als Blaupause diente vielmehr ein Plan, den der britische Premier Gordon Brown am 8. Oktober dem Unterhaus präsentierte. Das Treffen der Regierungschefs der Länder der Eurozone am vergangenen Sonntag in Paris diente denn auch nur noch der gemeinsamen Versicherung, es den Briten mit jeweils national angepaßten Rettungsplänen gleichzutun. Nicht zufällig war diese Sonntagsrunde ein informelles Gremium außerhalb der EU-Institutionen. Die Bedeutungslosigkeit der EU beim Krisenmanagement folgt aus der Tatsache, daß sie wohl behauptet, auch eine Wirtschafts- und Währungsunion zu sein, tatsächlich aber nur über eine gemeinsame Währung verfügt. In der Finanz- und Wirtschaftspolitik hat sie so gut wie keine Kompetenzen.

Die EU hat ihre wenigen Rechte nicht genutzt, um die Kontrolle der Banken zu erhöhen. Statt dessen haben Rat und Kommission zusammen mit dem Europäischen Parlament sogar noch ihren ganz eigenen Anteil Öl ins Krisenfeuer gekippt. Der von der EU betriebene Ausbau der europäischen Finanzdienstleistungsmärkte führte zu umfassender Deregulierung, so daß die faulen Kredite nur umso leichter innerhalb Europas weitergereicht werden konnten.

All die schönen und ausgefeilten Theorien, die fest von einer »Abdankung des Staates« zugunsten europäischer Entscheidungsmechanismen fabulieren, haben sich gründlich blamiert und ihre Autoren gleich mit. Auch erweist sich die in manch linken Kreisen so gern ausgesprochene Warnung vor einem »Rückfall in den Nationalstaat« endgültig als lächerlich. Wenn es, wie jetzt geschehen, einmal hart auf hart kommt, zeigt sich, daß die wirkliche politische Macht zu keinem Zeitpunkt den nationalstaatlichen Raum verlassen hat. Zu beobachten ist jetzt, wie einige EU-Mitgliedstaaten die »Rettungsmaßnahmen« zur Stärkung »ihrer« Großbanken auf Kosten anderer Länder nutzen. Dies ist das genaue Gegenteil der viel beschworenen europäischen Solidarität! Die gesellschaftliche Linke hat nun Gelegenheit, ihr Verhältnis zu EU und Staat gründlich zu überdenken. Da trifft es sich gut, daß Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen und hierfür Programme geschrieben werden müssen...

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Jeder gegen jeden

Die EU und die Finanzkrise: Wie national gestützte Bankengruppen in der Europäischen Union ihren Konkurrenzkampf austragen

In Brüssel geschehen in diesen Tagen erstaunliche Dinge. Unter der schönen Überschrift »Nach gemeinsamen, europäische Lösungen aus der Finanzkrise suchen« ist die Europäische Union heute tatsächlich nicht viel mehr als ein Austragungsort der Konkurrenzkämpfe der jeweils national gestützten Bankengruppen. Während die Öffentlichkeit täglich mit Schreckensmeldungen über schwindende Börsenwerte, immer neue taumelnde Bankriesen und »unumgängliche« Staatshilfen in Angst und Schrecken gehalten wird, werden hinter den Kulissen gigantische Fischzüge unternommen, unliebsame Konkurrenten versenkt und neue Märkte erobert. Da wir bekanntlich im System des staatsmonopolistischen Kapitalismus leben, geschieht dies regelmäßig unter Zuhilfenahme des »eigenen« Staatsapparats. Und diese europäischen Staatsapparate treffen eben in der EU aufeinander.

Sarkozys Idee

Da gab es die Idee des französischen und derzeitigen EU-Ratspräsidenten Nicolas Sakorzy, es dem amerikanischen Finanzminister Henry Paulsen gleichzutun und auch für Europa ein Bail-out-Paket zu schnüren. Vorgesehen war eine Summe von 300 Milliarden Euro. Doch aus dem Plan des französischen Präsidenten wurde nichts, inzwischen dementiert er sogar, daß er ihn überhaupt unterbreitet habe. Die deutsche Bundesregierung und Großbritannien stellten sich nämlich quer. Zu diesem Zeitpunkt betrachtete man in Berlin die Finanzkrise noch als eine vornehmlich angelsächsische Angelegenheit. Seit der Beinahepleite von Hypo Real-Estate weiß man es allerdings nun auch dort besser.

Wie man »seinen« Staat effektiv einsetzt, demonstrierte wenige Tage später die irische Regierung. Sie gab eine Garantie für die gesamten Einlagen bei sechs irischen Banken ab. Ein entsprechendes Gesetz wurde umgehend verabschiedet. Money strömt seitdem reichlich vor allem aus Großbritannien herein, so daß sich London beeilen mußte, seinerseits die staatlich garantierte Deckung für Einlagen zu erhöhen. Die irische Regierung durfte sich ob dieses Schachzugs harte Kritik der übrigen EU-Regierungen anhören.

Doch jene Regierung, die die Iren am lautesten kritisiert hatte, nämlich die deutsche, tat es ihnen nur einen Tag darauf nach. Am Abend des 5. Oktober traten Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück vor die Kameras und verkündeten den staunenden Journalisten eine Staatsgarantie für alle privaten Spareinlagen, Termineinlagen und Girokonten. Nur wenige Stunden später folgten Österreich, Dänemark, Schweden und Griechenland. Überall dort wurde die Einlagensicherung heraufgesetzt, um einen Kapitalabfluß, nun vor allem nach Deutschland, aufzuhalten. Über diesen Schritt der Bundesregierung ist man in Frankreich und Großbritannien empört, denn nur einen Tag vor dieser Erklärung, beim Krisengipfel der vier großen EU-Staaten in Paris, fiel nicht ein Wort über dieses Vorhaben der Deutschen. Unterdessen hat die französische Regierung angekündigt, ihren eigenen nationalen Rettungsplan aufzustellen. Spanien wird den Finanzsektor seines Landes mit 30 Milliarden Euro unterstützen. Und London hat angekündigt, Anteile an britischen Banken in Höhe von 50 Milliarden Pfund zu übernehmen. So gab es bei den Treffen der Finanzminister der Euro-Zone am vergangenen Montag sowie des EU-Finanzministerrats am Dienstag eigentlich nichts mehr zu besprechen. Bundesfinanzminister Steinbrück zog es denn auch vor, erst gar nicht zu kommen...

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Linke Fraktion für Verstaatlichung des Bankvermögens

Diskussion im Europäischen Parlament zur Finanzmarktkrise

In einer Entschließung vom 22. Oktober 2008 reagierte das Europäische Parlament auf den vorangegangenen europäischen Gipfel vom 15. und 16. Oktober. Im Mittelpunkt der Entschließung steht die gegenwärtige Finanzmarktkrise und die Reaktion der Europäischen Union darauf.

Die Fraktion der Linken GUE/NGL hatte hierzu einen eigenen Antrag vorgelegt, in dem sie u. a. "gegenwärtige Tendenzen bestimmter Mitgliedstaaten (kritisiert), die Wettbewerbsposition 'ihrer' jeweiligen führenden nationalen Banken auf Kosten anderer zu stärken, indem sie billig einzelne Sparten bankrotter Banken (z.B. Fortis, Dexia usw.) erwerben, nachdem diese für den Verkauf aufgespalten wurden." In Paragraph 11 fordert die GUE/NGL, "dass der Rekapitalisierungsansatz auf eine nachhaltige Verstaatlichung der gesunden Bankvermögen im Hinblick auf die umfassende Sozialisierung des Bankensektors und die Schaffung eines Finanzsystems im öffentlichen Besitz abzielen muss, das Kredite auf sozial und ökologisch sinnvolle Investitionen lenkt, die hochwertige Arbeitsplätze schaffen". Die Beschlussfassung über die Kreditpolitik des Bankensektors muss zudem "der demokratischen öffentlichen Kontrolle und der demokratischen Beteiligung der Beschäftigten und Verbraucher unterstellt werden". Für notwendig hält es die linke Fraktion auch, "dass die Europäische Union ihre Rettungsaktion zur Stabilisierung des Banken- und Kreditsystems mit Maßnahmen kombiniert, die der Wiederbelebung und Stabilisierung der Realwirtschaft durch ihre Ausrichtung auf eine ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung dienen müssen."

Manch progressive Forderung - wenn auch selbstverständlich nicht das Verlangen nach "einer nachhaltigen Verstaatlichung der gesunden Bankvermögen" - fand sich auch im Entschließungsantrag der Sozialdemokratischen Partei Europas. Doch einmal mehr suchten die europäischen Sozialdemokraten die ganz große Koalition mit Konservativen, Liberalen und sogar der rechtsnationalen Fraktion UEN und verzichteten in den Verhandlungen über eine gemeinsame Resolution auf ihre Forderungen.

Die am Ende mit großer Mehrheit angenommene gemeinsame Resolution der fünf Fraktionen zeichnet sich denn auch durch große Fehlstellen aus: Kein Wort wird in diesem Text darüber verloren, dass die Finanzmarktkrise Ausdruck des krisenhaften internationalen Wirtschaftssystems ist. Auch wird darin keine wirkliche Kritik des Verhaltens der Mitgliedstaaten (der Beggar-thy-Neigbour policy) geübt. Es fehlt auch die ausdrückliche Forderung nach einer koordinierten und zeitlich abgestimmten Reaktion der Mitgliedstaaten mit Blick auf eine jetzt dringend notwendige wachstumsfördernde Ausgabenpolitik. Die Rüge an die Kommission für jahrelanges Nichtstun angesichts der seit Mitte 2007 heraufziehenden Krise fällt ausgesprochen moderat aus. Und die nun erhobenen Forderungen nach dringlichen Legislativmaßnahmen der Kommission zur Regulierung der Finanzmärkte bleiben allgemein. In der gemeinsamen Resolution fehlt zudem das Ziel, Steueroasen unverzüglich abzuschaffen und eine weltweite Steuerregulierung zu schaffen.

Das Parlament vergab schließlich die Chance, einen Tag nachdem es sich die Rede des französischen Präsidenten und gegenwärtigen EU-Ratspräsidenten Sarkozy in Straßburg anhören durfte, seine Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsregierung aufzugreifen. Davon will eben die Mehrheit der Parlamentarier nichts wissen. Am Ende bleibt nur festzustellen, dass vom Europäischen Parlament durch sein Verhalten einmal mehr die Chance zu einer schnellen und angemessenen Reaktion vergeben wurde.

(aw)

Vorrang sozialer Grundrechte von Sozialdemokraten abgelehnt

Am 22. Oktober hat das Europäische Parlament über den Andersson Bericht abgestimmt. Dieser befasste sich mit den Herausforderungen für die Tarifverträge bzw. mit der neuen Lage, die sich aus den höchst umstrittenen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen Laval, Viking und Rüffert ergeben hatte.

Die Linksfraktion brachte zu dem Bericht eine Reihe von Änderungsanträgen ein; zum Beispiel griff sie in Änderungsantrag Nr. 23 eine zentrale Forderung des DGB und seiner Einzelgewerkschaften (ver.di, IG BAU u.a.) nach Verankerung des Vorrangs für soziale Grundrechte im EU-Primärrecht auf. Dort bekräftigte sie, dass "die grundlegenden sozialen Rechte in einer Hierarchie der Grundfreiheiten nicht unterhalb der wirtschaftlichen Rechte anzusiedeln sind", woraus die Forderung abgeleitet wird, "dass im Primärrecht der Vorrang sozialer Grundrechte vor den wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarktes erneut festgestellt wird." Leider wurde diese Forderung nur von acht sozialdemokratischen Abgeordneten unterstützt, während die überwältigende Mehrheit der PSE den Antrag ebenso ablehnte wie die konservative und liberale Fraktion.

Auch der Aufforderung an den Rat, "eine Klausel über den sozialen Fortschritt als verbindliches Protokoll in die bestehenden Verträge aufzunehmen" - immerhin eine zentrale Forderung des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) und des DGB - stimmten nur neun Abgeordnete der PSE zu; 43 stimmten dagegen, der Rest der sozialdemokratischen Fraktion enthielt sich der Stimme. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Gewerkschaften durch die Position des Europäischen Parlaments in einer so entscheidenden Frage nicht entmutigen lassen und weiterhin für eine Korrektur der europäischen Verträge in Richtung eines sozialen Europa eintreten.

(lk)
PS: Die Broschüre "Vorfahrt für Sozialdumping? Zu den jüngsten Angriffen des Europäischen Gerichtshofs auf das Streikrecht, die Tarifautonomie und die Tariftreue" kann per email an: sahra.wagenknecht-assistant2@europarl.europa.eu bestellt werden.

Initiativbericht des Europäischen Parlaments zur Finanzaufsicht

Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Finanzmarktkrise wird auch an der Struktur der europäischen Finanzaufsicht massive Kritik geübt. Es herrscht die allgemeine Überzeugung, dass auch die europäischen Gremien in dieser Krise völlig wirkungslos geblieben sind. Höchste Zeit also, hier für Abhilfe zu sorgen. Da auf diesem Gebiet die Europäische Kommission in den letzten Jahren nicht bereit war, einschneidende Veränderungen vorzuschlagen, legte das Europäische Parlament hierzu nun einen Initiativbericht vor. Erstellt wurde er gemeinsam von der sozialdemokratischen Abgeordneten Ieke van den Burg und dem Liberalen Daniel Daianu.

Vorausgegangen war ein informatives Working Document, in dem die gegenwärtigen Probleme der Finanzmarktaufsicht übersichtlich und klar dargestellt werden. Die europäische Aufsicht ist danach auch deshalb so ineffektiv, da sie im sogenannten Lamfalussy-Verfahren mit verschiedenen Ausschüssen die nationalen Finanzaufsichtsbehörden nur zu koordinieren sucht. Die wichtigsten Gremien im Bankenbereich sind das European Banking Committee (EBC), das Committee of European Securities Regulators (CESR) und das Committee of European Banking Supervisors (CEBS). In einigen dieser Gremien sind sogar die Banken als private Organisationen selbst vertreten. Sie entscheiden also mit über die Aufsicht, die über sie ausgeübt werden soll! Weitere Aufsichtsgremien existieren zur europäischen Koordinierung der Versicherungsunternehmen sowie der Renten- und Pensionsfonds. Im Lamfalussy-Verfahren wurde diesen Gremien die Möglichkeit eingeräumt, in einem gewissen vorgegebenen Rahmen selbst europäische Regelungen zu schaffen.

Eine der Vorschläge des Europäischen Parlaments besteht nun darin, hier eine klare Struktur zu schaffen, indem den sogenannten Lamfalussy Stufe 3-Ausschüssen der Charakter von europäischen Aufsichtsbehörden gegeben wird. Die Entschließung des EP, in der auch Fragen der Verbriefung, Vergütungsregelungen, Unternehmenshaftungsregelungen und die Neuordnung der Ratingagenturen angesprochen werden, stellt einen guten Leitfaden für die jetzt dringend zu ergreifenden Maßnahmen der Europäischen Kommission auf diesem Gebiet dar. Leider wurden eine Reihe wichtiger Forderungen durch Kompromisse zwischen Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen erheblich abgeschwächt. Und selbst diese Kompromissanträge wurden in letzter Minute im Ausschuss für Wirtschaft und Währung durch mündliche Änderungsanträge der Konservativen weiter verwässert. Hier zeigte sich einmal mehr, dass man wohl nach außen laut nach besseren und schärferen Aufsichtsregelungen des Finanzmarktes rufen kann, während man nach innen aber weiter als Lobbyist genau dieses kritisierten Marktes agiert. Mit Änderungsanträgen im Plenum hat die linke Fraktion versucht, zumindest diese in letzter Minute in den Bericht hineingekommenen Verschlechterungen wieder hinaus zu stimmen. In einem Fall war sie damit sogar erfolgreich und dies dank der nicht alltäglichen Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten und sogar mit den Liberalen im Europäischen Parlament.

(aw)

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

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