Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

21.11.2008

Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft
    Neues Buch von Sahra Wagenknecht erschienen
Zu wenig und zu spät...
    EU plant Konjunkturprogramm
Viel Lärm um nichts
    Pressemitteilung von Sahra Wagenknecht vom 17.11.08 zum Weltfinanzgipfel
Keine Kehrtwende in Sicht
    Die Ergebnisse des Weltfinanzgipfels in Washington
Wir brauchen eine tiefgreifende Reform der europäischen Währungs- und Finanzarchitektur
    Rede von Sahra Wagenknecht im Europäischen Parlament am 17.11.2008
Große Koalition der Schulterklopfer
    Entschließung zum zehnjährigen Bestehen der Wirtschafts- und Währungsunion
Ungarn vor dem Staatsbankrott
    Europäisches Parlament billigt Finanzhilfe
Parlament verhindert Rückschritt
    Zur Richtlinie über das Verbrauchssteuersystem in der EU
Den Crash üben
    Artikel von Andreas Wehr in der Tageszeitung "junge welt" vom 21.11.08 über den Streit zwischen Berlin und Paris über die Zukunft der EU

Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft

Unter dem Titel »Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft« ist heute ein neues Buch von Sahra Wagenknecht erschienen. Die Tageszeitung "junge welt" veröffentlichte daraus vorab eine gekürzte Fassung des vierten Kapitels (»Kreditblase und Kredit«):

"Die aktuelle Krise ist eben nicht nur das Werk unkontrollierter Spekulanten und geldgieriger Investmentbanker, die durch eine bessere Regulierung wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen wären. Der endlose Finanzschaum speist sich aus Reservoirs, die sehr viel tiefer liegen. Er quillt aus den Lebensadern eines Wirtschaftssystems, das nur produziert und investiert, wenn die Rendite für die Kapitalgeber stimmt, und für das daher Löhne, Sozialabgaben oder auch Unternehmenssteuern nichts als lästige Kostenfaktoren sind, deren man sich nach Möglichkeit zu entledigen hat. In dieser Fixierung auf Profit statt Bedarf liegt die letzte Ursache aller Ungleichgewichte, Instabilitäten und Krisen, die selbst ein besser regulierter Kapitalismus immer wieder erzeugen wird, von einem ungezügelten und enthemmten nicht zu reden. (…)

Finanzmonopoly statt Investitionen

Das verarbeitende Gewerbe der Industrieländer hatte bereits Mitte der siebziger Jahre mit hohen Kapazitäten und schrumpfenden Gewinn­margen zu kämpfen. An dieser Situation änderte sich auch im Verlaufe der achtziger Jahre wenig, eher im Gegenteil. Die neoliberale Wende hin zu Lohndrückerei und Steuerdumping entlastete die Firmen zwar auf der Kostenseite, ergab aber umso weniger Gründe, die Produktionskapazitäten in den klassischen Massengütersektoren aufzustocken. Der forsche Eintritt japanischer (und später auch südostasiatischer) Unternehmen in den Weltmarkt machte den amerikanischen und europäischen Konzernen zusätzliche Konkurrenz und verschärfte das Problem von Überkapazitäten und schwindender Rentabilität.

In dieser Situation war zur Steigerung der Rendite nicht Kapazitätserweiterung, sondern Kapitalzerstörung angesagt. Dem dienten die zahllosen Unternehmensübernahmen und Fusionen, die immer zur Folge hatten, daß vorhandene Kapazitäten stillgelegt sowie Beschäftigte entlassen wurden und am Ende Unternehmen mit geringeren Fixkosten und weniger Konkurrenzdruck einen größeren Markt abdecken konnten. (...)"

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Zu wenig und zu spät...

EU plant Konjunkturprogramm

Die sich häufenden Schreckensnachrichten über Umsatzeinbrüche in zentralen Branchen wie der Automobil- und Chemieindustrie haben anscheinend auch die EU zum Umdenken bewegt. Vor zwei Wochen wurde die Kommission mit der Erarbeitung eines Konjunkturpakets beauftragt, dessen Inhalt kommenden Mittwoch vorgestellt werden soll.

Laut Bundeswirtschaftsminister Glos geht es um insgesamt 130 Milliarden Euro, was etwa einem Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts entsprechen würde. Allerdings soll es - nach den Vorstellungen der deutschen Regierung - kein Zusatzprogramm sein, sondern lediglich die entsprechenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten bündeln und koordinieren. Zum Vergleich: In China will man die Binnenwirtschaft mit einem 460 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramm auf Trab bringen. Die japanische Regierung hat - nach einem Konjunkturpaket von über 70 Mrd. Euro im September - Ende Oktober schon das zweite Konjunkturprogramm im Umfang von über 200 Mrd. Euro beschlossen. Auch in den USA hat der neue Präsident Obama ein großes Programm zur Stimulierung der einheimischen Wirtschaft angekündigt - nach einem 116 Mrd. Euro schweren Konjunkturprogramm, das man bereits im Februar verabschiedet hatte.

Nun sind absolute Zahlen nicht unbedingt entscheidend - wichtiger ist, was mit dem Geld konkret finanziert wird: Hier wären öffentliche Investitionen und eine direkte Erhöhung der Einkommen von gering Verdienenden deutlich sinnvoller als z.B. Steuerentlastungen. Entscheidend ist ferner, wie hoch die fiskalischen Gesamtimpulse gegenüber dem Vorjahr ausfallen. Diese liegen nach Schätzungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunktuforschung der Hans Böckler Stiftung im Fall des deutschen Konjunkturprogramms lediglich bei 4 Milliarden Euro und sind damit viel zu gering, um Wachstum und Beschäftigung spürbar zu beeinflussen.

Unterdessen hat der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, den Vorschlag unterbreitet, die EU-Kommission solle Euro-Anleihen auflegen, um aus den Einnahmen Investitionen in die Infrastruktur finanzieren zu können. Dumm nur, dass es der EU nach dem Maastricht-Vertrag gar nicht erlaubt ist, Schulden aufzunehmen.

An diesem Beispiel wird wieder einmal deutlich, wie sehr die Handlungsmöglichkeiten der Politik durch das neoliberale Korsett der EU-Verträge eingeschränkt worden sind. Die EU ist mit der Bewältigung der Finanzkrise überfordert. Zentrale Grundlagen der Wirtschaftsintegration wie der Stabilitätspakt oder die europäische Wettbewerbspolitik mit ihrem Beihilfeverbot sind durch die Krise schon längst ad absurdum geführt worden, ohne dass daraus die nötige Konsequenz gezogen würde: Die EU-Verträge mit ihrer einseitigen Ausrichtung auf neoliberale "Grundfreiheiten" und Wettbewerbsregeln grundlegend zu überarbeiten.

(lk)

Viel Lärm um nichts

Zu den Ergebnissen des Weltfinanzgipfels erklärt Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete und Mitglied im Vorstand der Partei DIE LINKE:

"Kann internationales Krisenmanagement unter kapitalistischen Konkurrenzbedingungen funktionieren? Es sieht derzeit nicht danach aus. Zwar war im Vorfeld des Weltfinanzgipfels viel von der Notwendigkeit radikaler Reformen, von einem "Bretton Woods II" oder einem neuen "New Deal" die Rede. Gemessen an solchen Erwartungen fielen die Ergebnisse des Gipfels jedoch geradezu erbärmlich aus: Etwas mehr Transparenz für den Handel mit Finanzprodukten, etwas strengere Regeln für Ratingagenturen, etwas mehr Kontrolle von Hedgefonds - alles in allem nur zaghafte Kosmetik an einem Weltfinanzsystem, das in seinen Grundfesten faul und marode geworden ist.

Hinzu kommt, dass die führenden Industrienationen entschlossen scheinen, ausgerechnet jene Institution mit mehr Macht auszustatten, die durch ihre neoliberale Strukturanpassungspolitik Millionen Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien in Armut und Elend gestürzt hat. So soll der Internationale Währungsfonds, der die Deregulierung der Finanzmärkte und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs in den letzten Jahrzehnten rücksichtslos vorangetrieben hat, nun als oberster Krisenmanager fungieren - was nichts anderes bedeutet als den Bock zum Gärtner zu machen.

Voraussetzung für jede ernsthafte Reform des Weltwirtschaftssystems wäre die Auflösung all jener Institutionen, die - wie die G7, IWF oder Weltbank - in erster Linie die Interessen der reichen Industrienationen vertreten. Stattdessen müssen die Vereinten Nationen aufgewertet bzw. jene Institutionen gestärkt werden, in denen auch ärmere und weniger mächtige Staaten eine Stimme haben."

Sahra Wagenknecht

Keine Kehrtwende in Sicht

Die Ergebnisse des Weltfinanzgipfels in Washington

Am 7. November 08 trafen die Staats- und Regierungschefs der EU zu einer informellen Tagung zusammen, um ihre Positionen für den internationalen Finanzgipfel am 15. November abzustimmen. Neben allgemeinenen Aufrufen zur Geschlossenheit und dem Beschluss, den Kreditrahmen der EU von 12 auf 25 Mrd. Euro aufzustocken, sind in der gemeinsamen Erklärung auch vier Handlungsgrundsätze formuliert, an denen sich der Aufbau eines neuen internationalen Finanzsystems orientieren soll:

1.) Kein Finanzinstitut, Marktsegment oder Territorium darf ohne ihm entsprechende und angemessene Regulierung oder zumindest Beaufsichtigung bleiben.

2.) Das neue internationale Finanzsystem muss sich auf die Grundsätze der Verantwortlichkeit und der Transparenz stützen.

3.) Das neue internationale Finanzsystem muss die Bewertung von Risiken zum Zwecke der Krisenprävention ermöglichen.

4.) Der Internationale Währungsfonds soll "zum Dreh- und Angelpunkt
eines erneuerten internationalen Finanzsystems
" und "seine Mittel aufgestockt werden, damit er die von der Krise betroffenen Staaten wirksam unterstützen kann."

Anscheinend hofft man, der Krise durch ein bisschen mehr Transparenz und bessere Überwachung der Akteure auf den Finanzmärkten beizukommen. Eine tiefere Analyse der Krisenursachen und entsprechende Gegenmaßnahmen sind in der Erklärung hingegen nicht zu finden. Außerdem soll der IWF wieder mehr Macht erhalten - eine Institution, die eine Schlüsselrolle bei der weltweiten Deregulierung der Finanzmärkte und des Kapitalverkehrs im Interesse der Wall Street und anderer westlicher Banken und Pensionsfonds gespielt hat.

Am 15. November 2008 verabschiedete dann auch die Gruppe der 20 größten Industrienationen (G-20) eine gemeinsame Erklärung zur Finanzkrise. Auch in dieser stehen Reformen zur Verbesserung der Finanzaufsicht und der Transparenz im Vordergrund - wobei man gleichzeitig davor warnt, die Finanzmärkte zu stark zu regulieren, da dies das Wachstum und den Kapitalverkehr beeinträchtigen könne. Zudem werden Reformen, die nicht den Prinzipien des freien Marktes "including the rule of law, respect for private property, open trade and investment, competitive markets...", entsprechen, von vornherein ausgeschlossen.

Doch nicht nur die Gipfelerklärung, schon der institutionelle Rahmen des Finanzgipfels machte deutlich, dass an den herrschenden Strukturen des Weltwirtschaftssystems nicht gerüttelt werden soll. Nicht die Vereinten Nationen waren Gastgeber des Gipfels, sondern die großen Industrienationen. Nun mag man einwenden, dass ein Treffen der G-20 im Vergleich zu den bisherigen Weltwirtschaftsgipfeln der G-7 oder G-8 schon einmal ein Fortschritt ist. Allerdings entspricht es nur den Interessen der USA und der EU, in der jetzigen Krise auch führende Schwellenländer in das - nach wie vor den Interessen der großen Konzerne und Banken dienende - System einzubinden und so die Kosten (z.B. für anstehende Rettungsaktionen des IWF) auf mehr Schultern zu verteilen. Ob dies jedoch gelingen wird, ist fraglich. So dürfte man in Asien und Lateinamerika nicht vergessen haben, mit welch fatalen Folgen der IWF die bisherigen Finanzkrisen in den Entwicklungs- und Schwellenländern "gemanagt" hat.

(lk)

Wir brauchen eine tiefgreifende Reform der europäischen Währungs- und Finanzarchitektur

Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Europäischen Parlaments am 17.11.08 zum zehnjährigen Bestehen der Wirtschafts- und Währungsunion (Bericht Berès/Langen)

"Zehn Jahre nach Verwirklichung der Währungsunion befindet sich Europa in einer schweren Krise. Banken brechen zusammen oder werden mit Milliardensummen aus dem Staatshaushalt gestützt, der Absatz bricht ein, Millionen Menschen fürchten um ihre Arbeitsplätze und um ihre Zukunft.

Aber nicht nur der Markt hat versagt, sondern auch die herrschende Politik scheint unfähig, aus Fehlern zu lernen.

Wir sind der Ansicht, dass bei der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion gravierende Fehler begangen wurden. Ein solcher Fehler ist das strukturelle Auseinanderfallen von Geld- und Fiskalpolitik. Man kann nicht eine gemeinsame Währung schaffen ohne gleichzeitig die Steuer- und Ausgabenpolitik wenigstens in Ansätzen zu harmonisieren. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone haben sich enorm verschärft. Was wir jetzt brauchen ist eine bessere Koordinierung der Wirtschafts- und insbesondere der Steuerpolitik. Wir brauchen wirksame Maßnahmen gegen Steuerdumping, außerdem müssen Steueroasen geschlossen und der Kapitalverkehr demokratisch kontrolliert werden.

Den zweiten gravierenden Fehler sehen wir in der Konstruktion des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wer in Zeiten wie diesen eine starke Konsolidierung der Haushalte für unumgänglich hält, lebt anscheinend in einer anderen Welt. Nichts wäre fataler, als auf die Krise mit Sparprogrammen zu reagieren. Der Stabilitätspakt hat sein Scheitern unter Beweis gestellt. Er sollte durch eine integrierte Europäische Strategie für Solidarität und nachhaltige Entwicklung ersetzt werden. Nötig wäre eine Investitionsoffensive zur Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur und zur Verbesserung der Lage der sozial Benachteiligten in Europa.

Einen dritten Fehler sehen wir in der Konstruktion der Europäischen Zentralbank, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt und allein dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Wir treten dafür ein, die Europäische Zentralbank zu demokratisieren. Außerdem fordern wir eine Korrektur des geldpolitischen Auftrags der EZB: Wachstum, Beschäftigung und Preisstabilität müssen ausgewogen gefördert werden.

Schließlich sind wir der Ansicht, dass die EZB einen aktiven Beitrag zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte und zu einer global abgestimmten Wechselkurspolitik leisten muss. Als ersten Schritt fordern wir die Stabilisierung der Wechselkurse zwischen dem Euro und anderen europäischen Währungen, die durch entsprechende Steuern auf Devisentransaktionen gewährleistet werden könnte.

Die gegenwärtige Krise bietet eine Chance für tiefgreifende Reformen der europäischen Währungs- und Finanzarchitektur. Diese Chance sollte nicht leichtfertig verspielt werden."

Sahra Wagenknecht

Große Koalition der Schulterklopfer

Dass Sozialdemokraten und Konservative im Europäischen Parlament in Fragen der Ökonomie trotz gelegentlichen Streits am Ende dann doch regelmäßig eine große Koalition bilden und geschlossen abstimmen, daran hat man sich schon gewöhnt. Ungewöhnlich ist allerdings, dass die Gemeinsamkeit bereits bei der Konzeption von Texten demonstriert wird. So geschehen jetzt bei der Entschließung des Parlaments über "Zehn Jahre Wirtschafts- und Währungsunion - Errungenschaften und Herausforderungen". Berichterstatter waren dort die französische Sozialistin Pervenche Berès und der deutsche Christdemokrat Werner Langen. Angesichts dieses breiten Bündnisses konnte es nicht verwundern, dass die Entschließung bei der Abstimmung am 19.11.2008 im Parlament eine breite Mehrheit fand.

Was allerdings Klarheit und Zielgerichtetheit des Textes angeht, so sorgte die Koautorenschaft für Widersprüchlichkeiten und schwer vereinbare Gegensätze. So finden sich in der Entschließung einerseits unverfälschte konservative Positionen, etwa in den Paragrafen 12 und 14 zum Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, wo das entschiedene "Engagement (des Parlaments, AW) für die Unabhängigkeit der EZB" unterstrichen wird. Auf der anderen Seite finden sich dann auch wieder einige progressive Textstellen. So wird etwa die Forderung nach "Investitionen in die Bereiche Forschung, Entwicklung und Innovation, Bildung, lebenslanges Lernen und Kinderbetreuung sowie in die Erneuerung zuverlässiger sozialer Netze" (Paragraph 10) erhoben. Bei dieser Mischung fällt allerdings ins Auge, dass sich all die bekannten, harten Positionen der Konservativen wiederfinden, die Sozialdemokraten aber lediglich die Beigaben, die soziale Ausschmückung, beisteuern durften. Insgesamt ist auf diese Art ein ziemlich ungenießbares Hotchpotch, wie die Engländer zu sagen pflegen, herausgekommen.

Zu den wirklichen Problemen der Wirtschafts- und Währungsunion findet sich hingegen nur wenig im Text, und auch das nur in Andeutungen. So redet man bei der Finanzaufsicht lediglich von der Notwendigkeit einer "angemessenen Regulierung" und von einem "ausgewogenen Ansatz", auch soll "ordnungspolitische Willkür vermieden werden" (Paragraph 35) Selbst in der jetzt ausgebrochenen Finanzmarktkrise ist der Wille des Parlaments ungebrochen, Regulierungen, wenn überhaupt, dann nur in kleinsten Dosierungen zuzulassen. Sozialdemokraten und Konservative haben noch immer nicht den Ernst der Lage begriffen.         

Die linke Fraktion im Parlament hatte eine Reihe von Änderungsanträgen eingebracht. Wie nicht anders zu erwarten war, wurden sie alle abgelehnt.

(aw) 

Ungarn vor dem Staatsbankrott

Europäisches Parlament billigt Finanzhilfe

Ungarn befindet sich in erheblichen Zahlungsbilanzschwierigkeiten. Es ist damit das erste Land der EU, das in der Finanzmarktkrise ins Straucheln gerät. Zwar befindet sich sein Haushalt bereits seit Jahren in einer extremen Schieflage, doch die aktuelle Krise hat jetzt zu einer dramatischen Zuspitzung der Situation geführt. Neben Ungarn ist in Europa gegenwärtig nur Island in einer vergleichbaren Situation. Da Island aber nicht Mitglied der EU ist, kann das Land auch nicht auf Finanzhilfe aus Brüssel hoffen. 

Ungarn wird hingegen zur Abwendung eines Staatsbankrotts von der Europäischen Union eine kurzfristige Hilfe über 6.5 Milliarden Euro gewährt. Diese Maßnahme empfahl die Europäische Kommission in einer Entschließung vom 30.10.08. Den Beschluss über die Hilfe fasste dann auf diese Empfehlung hin der Rat. Rechtsgrundlage ist Artikel 119 EGV, nach dem ein "gegenseitiger Beistand" im Falle von Zahlungsschwierigkeiten ausgesprochen werden kann. Die Einzelheiten dieses Verfahrens sind in der Verordnung EG Nr. 332/2002 geregelt. Bisher wurde von dieser Verordnung aber noch kein Gebrauch gemacht. Hingegen wurde die Vorgängerregelung (EWG Nr. 1969/88) zweimal angewandt: 1991 für Griechenland und 1993 für Italien.

In einer Resolution hat das Europäische Parlament am 20.11.08 diese Hilfe des Rates gebilligt. Zugleich hat es in ihr Kritik an der Haltung Ungarns geübt, zuvor Hilfe von außerhalb der EU gesucht zu haben (vgl. Paragraph 1 der Resolution). Neben dem "Beistand" der Union erhält nämlich Ungarn auch einen Kredit des Internationalen Währungsfonds in Höhe von rund 12.5 Mrd. Euro sowie einen von der Weltbank über eine Milliarde Euro. Vorsichtige Kritik übte das Parlament auch an dem Verhalten einiger ausländischer Banken. Sie hatten durch den kurzfristigen Abzug von Geldern aus dem Land erst die Situation in Ungarn auf den Siedepunkt gebracht (vgl. Paragraph 3 der Resolution). Es ist kein Geheimnis, dass es vor allem österreichische Banken waren, die, in klassischer "beggar thy neighbour" Manier, ihre Gelder aus Ungarn zur Stärkung der eigenen Finanzbasis ins Heimatland zurückgeholt hatten. In der Resolution wird die Kommission aufgefordert, dieses Verhalten näher zu untersuchen. Wir dürfen darauf gespannt sein, ob dies jemals geschehen wird.

(aw)

Parlament verhindert Rückschritt

Mit der am 19.11.2008 angenommenen Entschließung nahm das Parlament Stellung zu einem Vorschlag der Kommission über eine Revision der Richtlinie 92/12/EWG über das Verbrauchssteuersystem in der EU. Der von der Kommission vorgelegte Vorschlag zielt im Wesentlichen darauf ab, einen Rechtsrahmen für die Anwendung des Systems zur Kontrolle der grenzüberschreitenden Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (EMCS) zu schaffen.

Berichterstatterin im Ausschuss für Wirtschaft und Währung war die konservative Abgeordnete Astrid Lulling aus Luxemburg. Wie schon in ihrem Bericht über die "Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke" vom Frühjahr 2007 wollte sie die Angelegenheit erneut dafür nutzen, die restriktiven Bedingungen bei der Kontrolle der Beförderung verbrauchssteuerpflichtiger Waren aufzuweichen. Dies betraf vor allem den Internethandel solcher Waren, die Festsetzung von Mindestmengen bei der grenzüberschreitenden Beförderung von Tabakwaren und Alkohol sowie die Erleichterung des Tax-Free-Verkaufs an den EU-Außengrenzen an Reisende, die die EU verlassen. Es war offensichtlich, dass die Luxemburgerin hierbei vor allem an die Interessen ihres eigenen Landes dachte, denn das Großherzogtum verdient erheblich am Verkauf von Alkohol, Tabakwaren und Mineralöl, die wohl dort erworben aber außerhalb des Landes verbraucht werden, da die Mehrwertsteuern in Luxemburg niedriger sind als in seinen Nachbarländern.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung folgte ihr allerdings darin nicht. Mit Mehrheit stimmte er vielmehr gegen diese Versuche zur Aufweichung der geltenden Bestimmungen. Ausschlaggebend hierfür war die ablehnende Haltung der liberalen Fraktion, die der schwedische Abgeordnete Olle Schmidt auf ein Nein festgelegt hatte. Für die skandinavischen Länder hätte nämlich eine solche Rückwende, vor allem durch die vorgeschlagene drastische Erhöhung der Mindestmengen bei der grenzüberschreitenden Beförderung von Alkohol, erhebliche negative Folgen für deren Politik der Eindämmung des Alkoholmissbrauchs bedeutet.

Bei der Entscheidung im Parlament unterstützte eine knappe Mehrheit diese Position des Ausschusses. Lediglich bei der Erleichterung des Tax-Free-Verkaufs an den EU-Außengrenzen war Lulling und mit ihr die konservative Fraktion erfolgreich. In den übrigen umstrittenen Fragen wurden die Änderungsanträge der Konservativen jedoch abgelehnt. Die Berichterstatterin zog aus dieser Niederlage die entsprechende Konsequenz und stimmte gegen die Entschließung. 

(aw)

Den Crash üben

Paris und Berlin versuchen beiderseits, im Streit über die Zukunft der EU ihr Konzept ­durchzusetzen. Ziel ist jeweils die Schwächung der Gegenseite

"Wie hieß es doch noch so schön in der Präambel des europäischen Verfassungsvertrags? In der »Gewißheit, daß die Völker Europas, stolz auf ihre nationale Identität und Geschichte, entschlossen sind, die alten Gegensätze zu überwinden und immer enger vereint ihr Schicksal gemeinsam zu gestalten«. Doch das war gestern, vor der großen Krise, die man als Finanzmarktkrise bezeichnet und die womöglich bald eine der Weltwirtschaft sein wird. Für solche Sentimentalitäten gibt es heute keinen Raum mehr. In der Krise denken auch die Mitgliedstaaten der EU erst einmal an sich. Da kämpft jeder gegen jeden, und es herrscht das Prinzip »beggar thy neighbour« – »Ruiniere Deinen Nachbarn«. Dies ist die Realität in der Europäischen Union.

Die Bruchlinie geht dabei mitten durch die EU. Wir sind Zeugen eines Kampfes um ihre Ausrichtung zwischen Paris und Berlin. Spätestens seit der Rede des französischen Regierungs­chefs Nicolas Sarkozy vor dem Europäischen Parlament am 21. Oktober 2008 in Strasbourg ist das Klima zwischen Frankreich und Deutschland vergiftet. Man sehe sich nur einmal die Kommentare über den französischen Präsidenten in deutschen Zeitungen und Zeitschriften an. »Die Nervensäge von nebenan«, titelte Focus am 12.November 2008 und maß Sarkozy hämisch an Frankreichs vergangener Größe: »Wie einstmals der Sonnenkönig«. Vor allem die Überschriften von Artikeln und Kommentaren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) über den »Herrn des Elysée« sprechen eine unmißverständliche Sprache: »Haltet den Staat« (22.10.2008), »Sarkozy braucht Grenzen« (23.10.2008), »Berlin: Sarkozy könnte die EU spalten« (25.10.2008), »Grundlegender Dissens die Alleingänge des französischen Präsidenten verärgern nicht nur die Bundesregierung«, »Sarkozys Aktionismus läuft ins Leere« (27.10.2008). Zwar gesteht man ihm zu, daß er ein »vorzüglicher Feuerwehrmann« sei, doch viel mehr auch nicht, denn »als Architekt ist er noch nicht hervorgetreten« (FAZ vom 3.11.2008). Die Kritik gipfelt schließlich in dem Vorwurf, der französische Staatschef und gegenwärtige EU-Ratspräsident »mißbrauche einen europäischen Konsens über die Bewältigung der Krise« (FAZ vom 28.10.2008) (...)."

(aw)

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Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

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