Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

23.02.2009

Handeln statt reden
    Presseerklärung von Sahra Wagenknecht vom 23.02.2009
Versickernde Geldflut
    Artikel von Sahra Wagenknecht über die internationalen Konjunkturprogramme in der Tageszeitung "junge welt" vom 07.02.2009
Die Axt ist angelegt
    Artikel von Andreas Wehr über die Krise der Wirtschafts- und Währungsunion in der Tageszeitung "junge welt" vom 23.02.2009
Unsinnige Schuldenbremse
    Defizitverfahren gegen Frankreich, Spanien, Irland, Griechenland, Lettland und Malta eingeleitet
Mehr Kompetenzen für die Europäische Zentralbank?
    Perspektiven der europäischen Finanzaufsicht
Klare Fragen - unklare Antworten
    Währungspolitischer Dialog mit EZB-Chef Jean-Claude Trichet
Europäisches Parlament spricht sich für reduzierte Mehrwertsteuersätze aus

Handeln statt reden

Zum Treffen der europäischen Mitglieder der G20-Gruppe in Berlin erklärt Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete und Mitglied des Vorstands der Partei DIE LINKE:

Angesichts der Herausforderungen fallen die Ergebnisse des europäischen Gipfeltreffens mehr als mager aus. Mit etwas mehr Transparenz und Kontrolle wird man die aktuelle Krise weder überwinden, noch künftige Krisen verhindern können. Vor allem aber stellt sich die Frage, warum die EU-Staaten nicht schon längst die Maßnahmen ergriffen haben, die sie nun so lautstark einfordern. Warum wurde es den deutschen Banken noch nicht untersagt, in Steueroasen tätig zu sein? Wie kann es sein, dass selbst Banken, die staatliche Rettungsgelder in Anspruch nehmen, ihren Kunden bei der Steuerflucht behilflich sind? Warum sind Hedgefonds in Deutschland noch immer erlaubt und wieso wurde noch kein Gesetz zur Begrenzung exorbitanter Managergehälter verabschiedet? Wie kann es sein, dass etliche Banken trotz enormer Verluste für das Krisenjahr 2008 hohe Boni ausschütten?

Wer eine neue Finanzordnung tatsächlich will, hätte schon längst mit gutem Beispiel vorangehen können. Wer dagegen dringend nötige Reformen aufschiebt, bis es für diese einen globalen Konsens gibt, handelt verantwortungslos, denn er will keine neue Finanzarchitektur, sondern nach Möglichkeit alles so lassen wie es ist.

Sahra Wagenknecht, Berlin, 23.02.2009

Versickernde Geldflut

Der Entstaatlichungswahn ist offenbar vorüber. Ein Blick auf die internationalen Konjunkturprogramme. Von Sahra Wagenknecht.

Dieses Mal haben wir es nicht mit einer normalen Rezession zu tun, sondern mit einer systemrelevanten Krise, die so groß ist und eine derart strukturverändernde Zerstörungskraft entwickelt, daß man sie nicht einfach laufen lassen kann. "(…) wir merken jetzt, daß die ganzen Theorien der letzten Jahre ins Elend führen." Der das merkt, ist einer, der die neoliberalen Elendstheorien selbst mit großem Vergnügen vertreten hat: der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU).

Rezession, Depression, verlorenes Jahrzehnt – die Termini zur Beschreibung der Zukunft, auf die wir uns einzustellen haben, werden immer düsterer. Und die, die sie verwenden, sind zu nicht geringen Teilen just jene Mainstream-Ökonomen, die noch vor einem Jahr frohgemut von der Heilkraft freier Märkte und einem lang anhaltenden »Aufschwung« träumten. Die Verrücktesten unter ihnen sahen sogar ein neues »deutsches Wirtschaftswunder« erblühen.

Weithin ohne Beispiel – zumindest in den letzten 60 Jahren – ist das, was jetzt losbricht, durchaus. Nur die Richtung ist eine andere, als der Terminus »Wunder« nahelegt. Ein Einsturz um bis zu vier Prozent wird der deutschen Wirtschaft für dieses Jahr vorausgesagt, der Euroraum soll um etwa zwei Prozent schrumpfen. Dramatische Zahlen auch jenseits des Atlantiks. Rechnet man den Warenstau in den Lagern ab, ist die amerikanische Wirtschaft bereits im letzten Quartal 2008 um 5,1 Prozent in die Tiefe gerauscht – ungeachtet aller Tricks, mit denen das US-Wachstum in den Statistiken normalerweise schöngerechnet wird. Die Aussichten für 2009 sind trübe. Auch die Wachstumskräfte der Schwellenländer haben sich erschöpft. Für die globale Ökonomie erwartet der IWF bestenfalls Stagnation.

Woher soll es auch kommen? Das internationale Bankensystem ist praktisch insolvent, die Kreditvergabe eingefroren, die Kaufkraft fällt. Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Armut schnellen nach oben. Zwei Millionen Arbeitsplätze wurden in den USA allein in den letzten vier Monaten vernichtet, fast drei Millionen Menschen in unfreiwillige Teilzeitjobs abgedrängt. Für 2009 wird mit dem Wegfall von weiteren drei bis fünf Millionen Jobs gerechnet. Bereits im September 2008 waren in den USA 31,5 Millionen Menschen auf Lebensmittelmarken angewiesen – so viele wie noch nie seit dem Start dieses Programms, das diejenigen, die im sozialen Nichts angekommen sind, zumindest vor dem Verhungern bewahren soll. Auch in Deutschland beginnt die Krise, zum eiskalten Jobkiller zu werden. Und auch hier gibt es dank Agenda 2010 fast keine soziale Abfederung für den Fall nach unten mehr. Eine gefährliche sich selbst verstärkende Abwärtsspirale droht.

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Die Axt ist angelegt

Die Krise stellt die Wirtschafts- und Währungsunion und damit die gegenwärtige EU in Frage. Von Andreas Wehr.

Zur Erinnerung an den Beginn der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) am 1. Januar 1999 verabschiedete das Europäische Parlament kürzlich eine Resolution, in der es feststellte, daß »der Euro Stabilität herbeigeführt und die wirtschaftliche Integration im Euroraum gefördert« hat. Optimismus verbreitete auch Otmar Issing, einer der Architekten der Einheitswährung und bis 2006 Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB): »Die nun schon mehr als 15 Monate anhaltende Finanzmarktkrise macht die Vorteile der gemeinsamen Währung in ganz besonderer Weise offenkundig. Ohne den Euro hätten sich die Turbulenzen von den Finanzmärkten auf die Devisenmärkte übertragen. Ob D-Mark, französischer Franc oder italienische Lira, so gut wie alle nationalen Währungen wären zum Spielball von Spekulationen geworden.« (FAZ, 6.12.2008) Doch Issing vergißt nicht, seinem Lob zugleich eine Warnung anzufügen. All dies bedeute nicht, »daß die Akkumulation von Ungleichgewichten innerhalb der Währungsunion keine Probleme aufwerfen würde.« Issing vermerkt aber, daß die Konstruktion der WWU zur Tiefe der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise erheblich beigetragen hat.

Kritiker hatten seinerzeit, vor mehr als zehn Jahren, die verheerenden Konsequenzen kritisiert, die die Verpflichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion allein auf monetäre Stabilität bedeutet. Der Politikwissenschaftler Elmar Altvater schrieb 1996 über eine solche »Stabilitätsunion«: »Nur wer ein Europa von Geldvermögensbesitzern schaffen will, dürfte dem Schraubstock von Maastricht Positives abgewinnen können. Tatsächlich machen die monetären Kriterien (ökologische und soziale gibt es nicht) nur in der globalen Währungskonkurrenz, in der Auseinandersetzung mit Nordamerika und Ost­asien Sinn. Stabile Währungen sind die Bedingung für ›Standortattraktivität‹, auf die jene Geldvermögensbesitzer Wert legen, die das Geschehen auf den globalen Geld- und Kapitalmärkten bestimmen. Es ist jedenfalls ausgeschlossen, ein soziales Europa von Bürgern zu errichten, wenn man zugleich Maastricht folgt. (…) So kann Maastricht, ein Höhepunkt des europäischen Einigungsprozesses, zu dessen Sargnagel werden.« (taz, 22.7.1996) 

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Unsinnige Schuldenbremse

Die EU-Kommission tritt auf die Schuldenbremse. Da immer mehr Mitgliedstaaten aufgrund der Belastungen aus der Banken- und Wirtschaftskrise gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen, hat die Kommission am 18. Februar 2009 sechs Defizitverfahren eingeleitet. Betroffen sind Irland mit einem Haushaltsdefizit von 6,3 Prozent des BSP im Jahr 2008, Lettland mit einem Defizit von 3,5 Prozent, Spanien und Griechenland mit einem Defizit von 3,4 Prozent, Malta mit einem Defizit von 3,3 Prozent und Frankreich mit einem Defizit von 3,2 Prozent. Und dies dürfte erst der Anfang sein. In diesem Jahr dürften 12 der 25 Mitgliedstaaten gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen; im Jahr 2010 vermutlich siebzehn. Am stärksten dürfte die Neuverschuldung in Staaten wie Irland und Großbritannien in die Höhe schnellen, die von der Finanzkrise besonders betroffen sind. So geht die Kommission davon aus, dass das irische Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf 11 Prozent und 2010 auf 13 Prozent ansteigen wird; auch in Großbritannien wird mit einem Defizit von 8,8 Prozent für 2009 und 9,6 Prozent für das Jahr 2010 gerechnet (für einen Überblick siehe Tagesschau vom 18.02.09).

Auch wenn die europäische Schuldenbremse in Form des Stabilitäts- und Wachstumspaktes offenkundig nicht funktioniert hat, scheinen die EU-Finanzminister wie die EU-Kommission fest entschlossen zu sein, an diesem neoliberalen Disziplinierungsinstrument festzuhalten. Zwar gilt der EU-Vertrag, der im Fall des Verstoßes gegen die Maastricht-Kriterien diverse Sanktionen vorsieht, prinzipiell für alle Länder. Größere Staaten wie Deutschland haben aufgrund ihres politischen Gewichts aber keine Strafen zu befürchten. Insofern sind die Maastricht-Kriterien vor allem ein Hebel, um schwächere Staaten zu neoliberalen Sparprogrammen, Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst sowie Privatisierungen zu zwingen. Derzeit richtet sich die Kritik der Kommission vor allem auf Griechenland - obwohl der politische Spielraum für weitere Sparprogramme und Sozialkürzungen dort besonders gering sein dürfte wie die jüngsten Massenproteste bewiesen haben. Dagegen wird die deutsche Regierung für ihr unsinniges Vorhaben, eine Schuldenbremse in der Verfassung festzuschreiben, ausdrücklich gelobt. Laut EU-Kommissar Almunia liegt "dieser interne Stabilitätspakt in Deutschland ...völlig auf einer Linie mit unseren Vorstellungen davon, wie nationale Maßnahmen unsere Anti-Verschuldungs-Maßnahmen ergänzen sollen."

Anscheinend ist weder die Kommission noch die Bundesregierung fähig, der Realität ins Auge zu sehen. Und in der Realität helfen abstrakte Schulden-Obergrenzen nicht weiter, wie das Scheitern des Stabilitätspakts zur Genüge bewiesen hat. Statt auf solche technokratischen Scheinlösungen zu setzen, sollte man lieber überlegen, mit welchen konkreten Maßnahmen der Anstieg der Verschuldung gebremst und langfristig wieder zurückgeführt werden kann. Da weitere Spar- und Kürzungsprogramme sozial unverantwortlich wären, kann es hier nur eine Lösung geben: Hohe Vermögen und Einkommen müssen deutlich stärker besteuert werden. Umgekehrt gilt: Wer von Millionärssteuern, höheren Spitzensteuersätzen und der Einführung von Steuern auf Finanztransaktionen nichts wissen will, sollte auch von einer "Schuldenbremse" die Finger lassen.

(lk) 

Mehr Kompetenzen für die Europäische Zentralbank?

"Regulierungs- und Aufsichtsstrukturen: Ist die EU auf dem richtigen Wege?" - über diese Frage wurde im ECON am 12. Februar 2009 diskutiert. Eingeladen war Lorenzo Bini Smaghi, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, der in seinem Vortrag auf die grundlegenden Probleme der Finanzaufsicht einging und aus Sicht der EZB einige Lösungen skizzierte.

Das Grundproblem ist schnell beschrieben: Obwohl immer mehr Banken grenzüberschreitend tätig sind und sich etwa 70 Prozent des gesamten EU-Bankvermögens in den Händen von rund 40 multinationalen Finanzkonzernen befindet, ist die Aufsicht und Überwachung der Banken in erster Linie Aufgabe der einzelnen Nationalstaaten. Wie die Krise demonstriert hat, waren die nationalen Aufsichtsbehörden mit der Kontrolle dieser multinationalen Bankkonzerne und ihrer zahlreichen Tochter- und Zweckgesellschaften heillos überfordert - zumal der Austausch und die europaweite Koordination zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden nur ansatzweise funktionierte. Hinzu kommt nach Ansicht von Bini-Smaghi, dass die verschiedenen EU-Richtlinien zur Regulierung der Finanzmärkte in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich umgesetzt würden und die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden durch die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Finanzplätzen behindert werde. Ein weiteres Problem gäbe es in Staaten wie Deutschland oder Österreich, wo Überwachungs- und Zentralbankfunktionen voneinander getrennt sind, was den Austausch von Informationen sowie das Krisenmanagement behindere.

Bini-Smaghi ist der Ansicht, dass sich das künftige Aufsichtssystem in der EU an zwei Grundprinzipien orientieren solle: Dezentralisierung einerseits und effektivere Kooperation in der EU andererseits. Dezentralisierung sei wichtig, da eine effektive Überwachung die genaue Kenntnis der Probleme der einzelnen Banken voraussetze, was nur auf nationaler Ebene gewährleistet sei. Was die verbesserte Koordination auf EU-Ebene angeht, so sieht Bini-Smaghi letztlich nur zwei Lösungsmöglichkeiten: Entweder die Schaffung einer völlig neuen zentralen Institution, die für Aufsichtsfragen in Europa zuständig ist oder die Übertragung von Überwachungskompetenzen auf eine bereits existierende Institution: Die Europäische Zentralbank. Letzteres hätte seiner Meinung nach die Vorzüge, dass man die EU-Verträge nicht ändern müsse, dass die Synergien zwischen Zentralbank- und Überwachungsfunktionen voll ausgeschöpft würden und dass man auf qualifiziertes Personal und technische Expertise zurückgreifen könne. Hinzu käme, dass die EZB unabhängig sei - ein Vorteil, den man nicht unterschätzen solle.

Am 25. Februar wird eine Expertengruppe unter der Leitung von Jacques de Larosière konkrete Vorschläge zur Reform des europäischen Finanzsystems und der Finanzaufsicht unterbreiten. Über diese Vorschläge wird dann auf dem EU-Gipfel im März entschieden - noch rechtzeitig vor dem G20-Gipfel, der am 2. April 2009 in London stattfinden wird. Vieles spricht dafür, dass die Expertengruppe für eine zentrale europäische Finanzaufsichtsbehörde plädieren wird - was womöglich auf den Widerspruch von Großbritannien und Deutschland stoßen wird, die sich traditionell gegen eine zentralisierte Aufsicht aussprechen.

Auf europäischer Ebene sind derzeit verschiedene Institutionen für die Aufsicht und Überwachung von Finanzinstitutionen zuständig: Das "Committee of European Banking Supervisors" (CEBS) kümmert sich um die Bankenaufsicht, das "Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors" (CEIOPS) ist für Versicherungen und Pensionsfonds zuständig und das "Committee of European Securities Regulators" (CESR) soll den Handel mit Wertpapieren beaufsichtigen. Da eine solche Dreiteilung der Aufsicht angesichts des Trends zu "Allfinanzkonzernen" mit vielen Nachteilen verbunden ist, kann man vermuten, dass eine zentrale und übergreifende Institution wie die EZB künftig auch bei der Finanzaufsicht eine wichtigere Rolle spielen wird. Dies mag angesichts der jetzigen Koordinations- und Kontrollprobleme sogar ein Fortschritt sein. Das Hauptproblem, das in der mangelnden Transparenz und demokratischen Kontrolle von Finanzinstitutionen besteht, wird man damit jedoch nicht lösen können.

(lk)

Klare Fragen - unklare Antworten

Am 21. Januar war EZB-Chef Jean-Claude Trichet im Ausschuss für Wirtschaft und Währung zu Gast, um mit den Abgeordneten über aktuelle Entwicklungen auf den Finanzmärkten zu diskutieren. Zur Vorbereitung auf diesen währungspolitischen Dialog wurden eine Reihe von Briefing papers veröffentlicht, die sich diesmal mit der Frage einer drohenden Deflation oder Stagflation sowie mit der anstehenden Reform der internationalen Finanzarchitektur befassten.

Aus dem Protokoll des Dialogs sollen im folgenden die Fragen der Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht sowie die Antworten von Jean-Claude Trichet dokumentiert werden:

Sahra Wagenknecht (GUE/NGL): Zwei Fragen: Die eine Frage bezieht sich auf das schon mehrfach angesprochene Thema dieser doch offensichtlichen Diskrepanz zwischen der Zinspolitik der EZB und den Zinsen, die private Kreditnehmer im Euroraum tatsächlich bekommen. Herr Präsident, Sie haben vorhin gesagt, Sie appellieren an die Banken, dass sie doch die Zinssenkung weitergeben mögen. Aber es ist ja ganz offensichtlich erkennbar, dass diese Appelle keinen Erfolg haben. Wir erhielten in Deutschland vor kurzem erst Meldungen, dass auf der einen Seite die bekannte Situation herrscht, dass kleine und mittlere Unternehmen fast gar keine Kredite mehr bekommen. Auf der anderen Seite sind aber auch die Ratenkredite und Dispozinsen deutlich höher als vor einem Jahr. Meinen Sie nicht, dass in dieser Situation, wo so offensichtlich der Markt es nicht richtet, der Staat, der ja Milliarden in dieses Finanzsystem europaweit reingibt, vielleicht auch mal versuchen sollte, die Kreditbedingungen und auch die Zinsen zu regeln und dort mit einzugreifen.

Die zweite Frage bezieht sich auf Entwicklungen jenseits des Atlantik und deren Auswirkungen auf den Euroraum. Man hat ja doch den Eindruck, dass die Federal Reserve – anders als Sie das dargestellt haben – große Sorgen hinsichtlich einer Deflation hat. Das, was die Amerikaner zur Zeit machen, ist ja im Grunde nichts anderes als ein forciertes Anwerfen der Notenpresse, und zwar wirklich in unglaublicher Dimension. Nun glaube ich, dass man sicherlich auf diesem Weg Deflation möglicherweise verhindern kann. Aber was genauso sicher ist, ist, dass in dem Augenblick, wo die Krise möglicherweise überstanden ist, wo es eine wirtschaftliche Erholung gibt, eine sehr, sehr starke Inflation fast unvermeidlich ist. Man kann ja nicht ungestraft in solchen Größenordnungen Geld drucken. Man hat auch ein bisschen das Gefühl, dass die Amerikaner das vielleicht sogar als bewusste Strategie verfolgen, weil angesichts dieser gigantischen Verschuldung – private Verschuldung, Staatsverschuldung, Außenverschuldung – das ja eine elegante Lösung wäre, um irgendwann wieder bei Null anzufangen. Teilen Sie die Ansicht, dass das möglicherweise sogar eine direkte Strategie ist? Zweitens: Wie kann man den Euroraum davon abkoppeln? Oder ist es Ihrer Ansicht nach überhaupt möglich, davon abzukoppeln, und überhaupt sinnvoll?

Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank: Wie ich gesagt habe, ist es sehr wichtig, dass die Entscheidungen, die wir treffen – und die seit dem Zweiten Weltkrieg hinsichtlich Größe und Geschwindigkeit der Zinssatzsenkung ohne Vorbild waren – in die Wirtschaft geleitet werden sollten. Ich stimme dem zu, was Sie gesagt haben. Es ist wichtig, und ich werde unseren Aufruf an den Finanzsektor erneuern, vollständig zu berücksichtigen, was wir entschieden haben. Allerdings sollten wir dies nicht von einem gänzlich negativen Standpunkt aus sehen. Ich spreche gerade zu Europa-Abgeordneten aus Ländern, in denen insbesondere die Hypotheken in hohem Maße vom Dreimonats-Euribor abhängen. Es wurde eine hohe Abnahme des Dreimonats-Euribor beobachtet; dies sollte, unter Berücksichtigung der existierenden Verträge, normalerweise in die betreffenden Haushalte in diesen Ländern geleitet werden. Sie haben die Ausstiegsstrategie erwähnt. Sie haben vollkommen Recht. Was immer wir heute tun – und das gilt für alle von uns, Zentralbanken auf der einen sowie ausführende Organe und Parlament auf der anderen Seite – sollte mit der klaren Vorstellung getan werden, dass es nur zeitlich begrenzt ist, dass es zielgerichtet ist und dass es zu einem bestimmten Moment in der Zeit passiert, aber wir brauchen eine Ausstiegsstrategie, sonst würden wir uns, wie Sie vorgebracht haben, in permanenter Schwankung zwischen dem Abwärtstrend des Zyklus und einem Boom befinden, der selbst das beste Rezept für zukünftige Probleme wäre.

Ich bin sehr einverstanden mit dem, was Sie gesagt haben. Wir müssen uns immer bewusst sein, dass das, was zählt, mittel- bis langfristige Stabilität ist. Dies gilt für die Zentralbank, aber auch für die Steuerpolitik. Es ist wahr, dass das, was wir am meisten brauchen, der wichtigste Bestandteil unter den gegenwärtigen Umständen, Vertrauen ist. Die Menschen werden kein Vertrauen haben, wenn sie sehen, dass wir langfristig nicht in einer nachhaltigen Position sind. Die Ausstiegsstrategie ist extrem wichtig.

Europäisches Parlament spricht sich für reduzierte Mehrwertsteuersätze aus

Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze  befasst sich mit den wichtigsten, bis Ende 2010 befristeten Bestimmungen über reduzierte Mehrwertsteuersätze für lokale Dienstleistungen. Solche reduzierten Sätze gibt es in verschiedenen Mitgliedsländern, etwa für das Gaststättengewerbe oder für andere arbeitsintensive Dienstleistungen, so in Reparaturbetrieben. Die Fraktion der Linken begrüßt natürlich grundsätzlich geringe Mehrwertsteuersätze. Als indirekte Steuer belastet die Mehrwertsteuer bekanntlich vor allem die Lohnabhängigen und gering Verdienende. In allen EU-Mitgliedsländern ist in den letzten Jahren der Anteil der indirekten zugunsten der direkten Steuern an der Gesamtabgabenlast gestiegen, was mit zur Umverteilung von Einkommen von unten nach oben beitrug.

Um möglichst überall gleiche Mehrwertsteuersätze in einem einheitlichen Binnenmarkt zu erreichen, gestattete die Kommission die Anwendung der Reduzierungen bisher nur befristet. Die gegenwärtige Frist läuft Ende 2010 aus. Von den Unterstützern reduzierter Steuersätze wurde hingegen seit Jahren geltend gemacht, dass solche regionalen Dienstleistungen wenn überhaupt dann nur zu sehr geringen Beeinträchtigungen des Binnenmarktes führen. Diese Sicht wurde in einer von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie nun bestätigt. Darin werden die Beibehaltung und sogar die Ausweitung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf Dienstleistungen und sonstige Tätigkeiten vorgeschlagen. Dadurch können Arbeitsplätze vor allem in kleinen und kleinsten Betrieben gesichert und ganze Wirtschaftsbereiche aus der Schattenwirtschaft in eine geregelte wirtschaftliche Tätigkeit überführt werden. Im Rat hatte sich lange Zeit vor allem die deutsche Bundesregierung gegen eine dauerhafte Regelung ausgesprochen. Vor kurzem gab sie aber diese Haltung auf. Der unbefristeten Anwendung reduzierter Mehrwertsteuersätze steht nun nichts mehr im Weg. Bei den Anbietern dieser Dienstleistungen schafft dies Rechtsicherheit.

Dem Parlament lag nicht der eigentliche Bericht der sozialdemokratischen niederländischen Abgeordneten van den Burg sondern nur eine Erklärung zur Billigung des Kommissionsvorschlages zur Abstimmung vor. Der ursprüngliche Berichtsentwurf war von der Mehrheit des Ausschusses für Wirtschaft und Währung abgelehnt worden. Ausschlaggebend war das Nein von Konservativen und Liberalen. Nach der Niederlage bei Einzelabstimmungen war man dort nicht mehr bereit, überhaupt einen Bericht anzunehmen.

Einige dieser abgelehnten Änderungsanträge waren von den Konservativen nun in das Plenum erneut eingebracht worden. Sie zielten darauf ab, den Anwendungsbereich der reduzierten Steuersätze auf weitere Dienstleistungen auszudehnen. Die Fraktion der Linken konnte sie daher unterstützen. Diese Anträge wurden denn auch bis auf einen angenommen. Was das Verlangen anging, auch die "Lieferung alkoholischer Getränke" mit in den Anwendungsbereich zu nehmen, so lehnte die Linke dies aus gesundheitspolitischen Gründen ab. Die Mitgliedsländer sollten hier freie Hand für die Auferlegung höherer Sätze behalten. Dieser Antrag wurde denn auch nicht angenommen.

(aw)

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

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