Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

27.03.2009

Von Frankreich lernen
    Presseerklärung von Sahra Wagenknecht vom 19.03.09
Umverteilung von oben nach unten ist das beste Konjunkturprogramm
    Rede von Sahra Wagenknecht zum Bericht über ein europäisches Konjunkturprogramm am 11.03.2009 im Europäischen Parlament
"Wir wollen die EU neu gründen"
    Interview mit Sahra Wagenknecht in der Tagesschau vom 28.02.2009
Die Subvention von Privatisierungsprojekten muss beendet werden
    Zur Politik der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE)
Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts
    Ein Gesetzesgebungsvorschlag der Kommission ohne Rechtsgrundlage
Kosmetik statt Reformen
    Die Position der EU für den Gipfel der G-20 in London
Kleinstkredite - nun auch in Europa

Von Frankreich lernen

Zum Generalstreik am 19. März 2009 in Frankreich erklärt Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete und Mitglied des Vorstandes der Partei DIE LINKE:

Die Französinnen und Franzosen machen es uns vor: Um zu verhindern, dass die Krise auf die einfachen Leute abgewälzt wird, gehen sie auf die Straße und bestreiken die Betriebe. Sie kämpfen um Arbeitsplätze, höhere Löhne und Sozialleistungen und werden in diesem Streik von 78 Prozent der Bevölkerung unterstützt.

Viel wird nun davon abhängen, ob der Funke des Widerstands auf Deutschland und andere Länder übergreift. Es kann nicht sein, dass europaweit über eine Billion Euro in ein marodes Finanzsystem gepumpt wird, um die Renditen von Banken und Vermögensbesitzern zu sichern, während man für Mindestlöhne oder eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung keinen Cent lockermachen will. Allein die Hypo Real Estate hat bereits mehr als 100 Milliarden an Subventionen verschlungen. Hätte man diese Summe an die Erwerbslosen in Deutschland verteilt, wäre jeder von ihnen jetzt um knapp 30.000 Euro reicher.

Die Forderung nach einer Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 500 Euro ist daher alles andere als überzogen – sie ist ein Gebot der Stunde, ebenso wie die Einführung eines Mindestlohn von zehn Euro die Stunde, die Verkürzung der Arbeitszeit und die Schaffung von einer Million Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst. Für diese Ziele gilt es nun gemeinsam zu streiten, zum Beispiel am 28. März in Berlin und Frankfurt, wo unter dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ dafür demonstriert wird, dass die Verursacher der Krise zur Kasse gebeten werden.

Umverteilung von oben nach unten ist das beste Konjunkturprogramm

Rede von Sahra Wagenknecht zum Bericht über ein europäisches Konjunkturprogramm am 11.03.2009 im Europäischen Parlament

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die entscheidende Frage bei den Konjunkturprogrammen, die jetzt in ganz Europa geschnürt werden, ist: Wer bekommt letztlich das Geld? Sollen den Banken noch weitere Blankoschecks ausgestellt werden, obwohl eine rasche Verstaatlichung für den Steuerzahler viel billiger wäre? Sollen die Konzerne und die Bezieher hoher Einkommen noch weiter entlastet werden, obwohl sie schon jahrelang durch Steuergeschenke gemästet wurden? Je mehr Geld für solche Zwecke verschleudert wird, desto absehbarer werden die Programme scheitern und die europäische Wirtschaft in eine gefährliche Abwärtsspirale geraten.

Die jahrelange Politik der Privatisierung, Liberalisierung, und Deregulierung, die die Einkommen immer stärker bei den oberen Zehntausend konzentriert hat, ist die letzte und eigentliche Ursache der aktuellen Krise. Wer glaubt, die Krise dadurch überwinden zu können, dass er diese Politik mit leichten Modifikationen fortsetzt, hat nichts verstanden.

Das genaue Gegenteil ist nötig. Statt den Banken faule Papiere abzukaufen sollten die Steuermittel für die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern und für den ökologischen Umbau verwendet werden. Sofern privaten Unternehmen öffentliche Hilfen zugute kommen, muss gelten: Keine Steuergelder ohne Beschäftigungsgarantien und den Erwerb öffentlicher Eigentumsrechte! Damit der Staat auch an den künftigen Erträgen beteiligt wird.

Wir brauchen wir eine radikale Umverteilung der Einkommen und Vermögen von oben nach unten. Der Hungerlohnsektor muss europaweit zurückgedrängt werden, statt ihn weiter zu fördern. Wir brauchen höhere Mindestlöhne und bessere Sozialleistungen.

Und wir brauchen Steuern, die sicherstellen, dass die Millionäre und die Profiteure der vergangenen Finanzmarktparty jetzt auch die Verluste tragen. Und nicht die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die von dem ganzen Finanzboom nie etwas abbekommen haben.

Das sozial Gerechte ist heute auch das einzig wirtschaftspolitisch Vernünftige. Und die einzige Möglichkeit, die verheerende Krisendynamik zu durchbrechen.

"Wir wollen die EU neu gründen"

Interview mit Sahra Wagenknecht in der Tagesschau vom 28.02.2009

tagesschau.de: Frau Wagenknecht, ist die Linkspartei europafeindlich?

Sahra Wagenknecht: Das wird immer wieder behauptet und ist eine Unverschämtheit. Was heißt Europa? Ich bin nicht dafür, dass wir zurückgehen auf die nationalstaatliche Ebene. Aber ich finde, dass die heutige EU hauptsächlich im Interesse von Konzernen und Renditen agiert. Diese EU muss von uns grundlegend kritisiert und angegriffen werden.

tagesschau.de: Aktuell und konkret greifen Sie den Lissabon-Vertrag an.

Wagenknecht: Ja. Er setzt hauptsächlich darauf, die offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, also ungehemmten Kapitalismus zu verankern - und er setzt auf Aufrüstung. Das ist keine Europäische Union im Interesse der Mehrheit. Wir wollen die EU neu gründen. Eine EU, die vielmehr auf soziale Belange, soziale Sicherheit und auf Armutsbekämpfung setzt. Das fordern wir in unserem Programm zur Europawahl.

tageschau.de: Für die Sie nicht mehr kandidieren. Stattdessen wollen Sie in den Bundestag. Warum?

Wagenknecht: Ich habe meine Arbeit in Brüssel gerne gemacht. Es gibt aber Entscheidungskompetenzen, die nicht bei der EU liegen, gerade in meinem Bereich, der Wirtschaftspolitik. Die Eigentumsordnung, die sozialen Sicherungssysteme, Steuerpolitik – das findet in den nationalen Parlamenten statt. Und auch die Anti-Krisen-Politik wird in der Bundesrepublik entschieden. Die grundlegenden Weichenstellungen sind eine Frage des Bundestages. Deswegen denke ich, dass ich mich dort besser einbringen kann.

tageschau.de: Der Realo André Brie steht nicht mehr auf der Kandidatenliste des Bundesausschusses für die Europawahl. Weil er der Parteiführung zu europafreundlich ist?

Wagenknecht: Das würde ja heißen, dass sich der Bundesausschuss der Parteiführung unterordnet. Er ist aber ein demokratisches Gremium. Offensichtlich war man dort der Meinung, dass Brie etwa mit seinen Positionen zum Bundeswehreinsatz im Afghanistan-Krieg eine andere Meinung vertritt als die Mehrheit der Linken.

tagesschau.de: Brie fordert als Afghanistan-Berichterstatter Ihrer Partei nicht den sofortigen Abzug.

Wagenknecht: Genau. Er hat sich unter anderem damit als Kandidat nicht durchgesetzt. Von oben kann man in dieser Partei nichts steuern. Ich kenne das aus meiner eigenen Biografie. Wenn von oben alles steuerbar wäre, hätte ich viele Funktionen auch nicht gehabt. Aber Brie wird hier ja wieder kandidieren.

tageschau.de: Sie wollten sich im vergangenen Jahr als stellvertretende Vorsitzende zur Wahl stellen - und haben das Vorhaben nach Kritik aus den eigenen Reihen schnell wieder fallen lassen.

Wagenknecht: Das war aber meine eigene Entscheidung. Ich wollte der gerade vereinigten Linkspartei auf ihrem ersten Parteitag eine solche Debatte nicht aufzwingen. Aber auch ohne Nominierung durch den Bundesausschuss kann man ja auf dem Parteitag kandidieren, wie Brie es tut, oder Tobias Pflüger, von dem ich sehr hoffe, dass er sich hier durchsetzt.

tageschau.de: Anders als bei André Brie?

Wagenknecht: Ich gehe nicht davon aus, dass er unentbehrliche Arbeit im Europäischen Parlament leistet. Aber sollte er gewählt werden, werde ich natürlich die Entscheidung meiner Partei akzeptieren.

tageschau.de: Ist der Fall Brie dann vielmehr ein Beweis für die Grabenkämpfe zwischen Realos und Fundis in Ihrer Partei?

Wagenknecht: Unsere Grundpositionen sind unstrittig: Für die Krise sollen die zahlen, die sie verursacht haben. Genauso klar als Parteilinie ist die Forderung von Umverteilung von Einkommen und Vermögen und, dass wir den Kapitalismus als Wirtschaftsordnung ablehnen. Aber natürlich gibt es Differenzen. Zum Beispiel in der Frage, wie man sich zu Regierungsbeteiligungen positioniert. Aber da gibt es inzwischen eine ganz klare Mehrheit: Regieren kommt nur in Frage, wenn wir unsere politischen Inhalte durchsetzen. Deswegen ist unser Platz gegenwärtig in der Opposition, weil die SPD zu einer neoliberalen Partei geworden ist. Inhalte sind wichtiger, als sich nach den Fleischtöpfen der Macht zu recken.

tagesschau.de: Warum dringen Sie mit Ihren Ideen nicht noch stärker durch? In Prognosen verharrt die Linkspartei in der Region um 10 Prozent.

Wagenknecht: Von Werten wie den aktuellen hätten wir vor fünf Jahren noch geträumt. Aber natürlich wollen wir bei der Bundestagswahl mehr erreichen. Ich glaube auch, dass wir das schaffen können. Natürlich warten viele Leute jetzt erstmal, ob die Programme der Regierung auch ziehen. Das kann ich verstehen. Ich gehe aber davon aus, dass das Konjunkturprogramm diese Krise nicht abmildern wird – was ich bedauere. Es ist zu klein und falsch strukturiert. Ich finde es auch empörend, wie zig Milliarden in maroden Banken versenkt werden und keinem anderen Zweck dienen, als die Zocker freizukaufen. Diese Programme tragen nicht dazu bei, dass das Finanzsystem seine Aufgabe erfüllt: realwirtschaftliche Investitionen zu ermöglichen. Spätestens im Sommer wird klar sein, dass es so nicht funktioniert. So bekämpft man eine Krise nicht.

Das Interview führte Nicole Diekmann, tagesschau.de

Die Subvention von Privatisierungsprojekten muss beendet werden

Am 24. März hat das Europäische Parlament über die Politik der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) debattiert und eine Entschließung verabschiedet, die die Jahresberichte 2007 der EIB und der EBWE zustimmend zur Kenntnis nimmt. Eine deutliche Mehrheit des Parlaments begrüßte "die Entscheidung, das Kreditvolumen der EIB in den Jahren 2009 und 2010 um 30% (15 Milliarden EUR) zu erhöhen, sowie die Entscheidung, das gezeichnete Kapital der EIB im Einklang mit der Lissabon-Strategie um 67 Milliarden EUR auf 232 Milliarden EUR zu erhöhen" (Paragraph 34). Auch die "Entscheidung der EBWE, ihr jährliches Geschäftsvolumen 2009 um ungefähr 20 % auf etwa 7 Mrd. EUR auszuweiten" (Paragraph 41), fand mehrheitliche Zustimmung.

Die Gelegenheit, die von der EIB und EBWE finanzierten Projekte kritisch unter die Lupe zu nehmen und sich für eine Abkehr von der destruktiven Privatisierungs- und Deregulierungspolitik einzusetzen, wurde damit vertan. So wurde in der Debatte mit keinem Wort erwähnt, dass die EBWE noch 2007 darauf drängte, dass die osteuropäischen Staaten ihre Hypothekenmärkte liberalisieren und jene Praktiken der Kreditverbriefung und des Handels mit "mortgage backed securities" bei sich einführen, die sich im Zusammenhang mit der Subprime-Krise als fatal erwiesen haben (VGL: EBWE (2007): Mortgages in transition economies). Hinzu kommt, dass öffentliche Gelder zweckentfremdet werden, um privaten Wasserkonzernen neue Märkte zu erschließen. So hat die EBWE sogar einen 10 prozentigen Anteil am privaten französischen Wasserkonzern Veolia Voda erworben mit dem Ziel, die Privatisierung der Wasserwirtschaft vor allem in Osteuropa voranzutreiben bzw. die Expansion von Veolia in immer neue Märkte mit immerhin 105 Millionen Euro an Steuergeldern zu subventionieren (EBWE (2007): Jahresbericht, S.11: "The funds will be used by Veolia Voda to continue its expansion in the Bank’s countries of operations.").

Trotz der desaströsen Erfahrungen mit der Privatisierung des Wassers in Lateinamerika, Afrika, Asien und Europa setzt auch die EIB weiterhin auf umstrittene Public-Private-Partnerships (PPP), welche den Zugang der armen Bevölkerung zur lebensnotwendigen Ressource Wasser beschränken und den Regierungen der ohnehin armen Staaten noch höhere Schulden aufbürden. Zum Beispiel hat die EIB im Jahr 2007 drei Wasserprojekte in Afrika (Lesotho, Benin und dem Senegal) finanziert - mit der Folge, dass etwa in Lesotho Wasser nur noch gegen Vorkasse erhältlich ist, während die Aufstellung kostenloser Gemeinschaftszapfstellen für die arme Bevölkerung gestoppt wurde.

Von Selbstkritik auch hier keine Spur - im Gegenteil: Die Europäische Union hat die EIB sogar dazu aufgefordert "als Reaktion auf die Finanzkrise ihre Unterstützung für PPP-Projekte zu beschleunigen" (Paragraph 37). Zwar empfiehlt die Entschließung, "solche Projekte nur dann durchzuführen, wenn sie erschwinglich sind und tatsächlichen Nutzen bringen" - die zentrale Frage, für wen die Projekte von Nutzen sein sollen, wird allerdings offengelassen.

Solange die Projekte der EIB und der EBWE in erster Linie den großen Konzernen zugute kommen, wird sich die Linksfraktion jedem pauschalen Antrag auf Erhöhung des Kredit- und Geschäftsvolumens dieser Institutionen verweigern. Zwar halten wir die Ausgabe von Euro-Anleihen durch die EIB für sinnvoll, um einem Anstieg der Verschuldung der ökonomisch schwächeren Staaten der Eurozone entgegenzuwirken. Gleichzeitig müsste jedoch eine grundlegende Reform und Demokratisierung von EIB und EBWE erfolgen: Beide Institutionen sollten bereits in der Satzung auf ihren öffentlichen Auftrag verwiesen und zur Unterstützung von "Public-Public partnerships" verpflichtet werden, statt - wie bisher - marktradikale "Reformen" zu Lasten der einfachen Bevökerung durchzupeitschen.

(lk)

Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts

Ein Gesetzesgebungsvorschlag der Kommission ohne Rechtsgrundlage

Im April 2008 legte die Kommission ein Weißbuch mit dem Titel "Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts" vor. Mit der am 26. März 2009 angenommenen Entschließung reagierte nun das Parlament auf diese Vorlage. Berichterstatter war der deutsche CDU-Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne. Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung hatte auf dieser Grundlage den Bericht Anfang März angenommen.

In Paragraph 4 der Entschließung wird die Bedeutung des kollektiven Rechtsschutzes herausgestellt, "der eine Bündelung der individuellen Schadensersatzforderungen von Opfern von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht der Union ermöglicht und ihre Chancen auf Zugang zur Justiz erhöht (...)". Damit werde ein "wichtiges Abschreckungsinstrument" geschaffen.

Dem Ausschuss ging es aber auch darum, Klageinflationen zu vermeiden, wie man sie etwa in den USA beobachtet, wo eine regelrechte Prozessindustrie im Zusammenhang mit exorbitanten Schadensersatzforderungen entstanden ist. Zur Vermeidung missbräuchlicher Streitigkeiten sollen daher "die Mitgliedstaaten die Klagebefugnis für Verbandsklagen staatlichen Stellen wie dem Bürgerbeauftragten oder qualifizierten Einrichtungen wie den Verbraucherschutzverbänden (...) einräumen" (Paragraph 9 der Entschließung).

Ein nicht ganz kleiner Schönheitsfehler des Vorschlags des Gesetzgebungsvorschlags ist allerdings, dass "die Kommission bislang keine Rechtsgrundlage für die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen angegeben hat, und dass weiter geprüft werden muss, welche Rechtsgrundlage für die geplanten Eingriffe in die nationalen Verfahren für nichtvertraglichen Schadensersatz und in das nationale Verfahrensrecht in Frage kommt". Schließlich ist die Schaffung von materiellem Zivilprozessrecht immer noch Angelegenheit der Mitgliedsstaaten. Man wird daher gespannt darauf sein dürfen, wie die Kommission auf diese Rüge reagiert.

Der Bericht des Ausschusses wurde ohne Änderungen vom Parlament angenommen. Die Fraktion der Linken stimmte ihm zu.

(aw)

Kosmetik statt Reformen

Am 19./20. März traf sich der Europäische Rat, um eine gemeinsame Position der EU für den Gipfel der G20 festzulegen, der am 2. April in London stattfinden wird. Dabei ließ er sich von dem Wunsch leiten "einen erheblichen Beitrag zur Ausgestaltung der künftigen globalen Ordnungspolitik für den Finanzsektor zu leisten." (Vgl. Schlussfolgerungen des Rates, S.1). Der vereinbarte Text für das Gipfeltreffen der G20 (Anlage 1 der Schlussfolgerungen) zeigt allerdings, dass es der EU nur um einige kosmetische Änderungen geht, während die neoliberale Wirtschafts- und Finanzordnung nicht angetastet, sondern noch fester zementiert werden soll.

Statt vor dem Hintergrund anschwellender Arbeitslosigkeit und sich verschlechternder Konjunkturprognosen über eine Ausweitung der Konjunkturprogramme nachzudenken, ist der Rat der Ansicht, bereits genug getan zu haben und fordert gar dazu auf, sich auf "eine geregelte Rücknahme der makroökonomischen Stimuli" vorzubereiten.

Statt der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut höchste Priorität einzuräumen und dem "Schutzschirm für die Banken" einen "Schutzschirm für die Menschen" folgen zu lassen, sieht die EU ihre Hauptaufgabe darin, den maroden Banken noch weitere Steuermilliarden hinterherzuwerfen.

Statt den Handel mit riskanten und überkomplexen Finanzprodukten zu verbieten, setzt sich die EU lediglich für eine "angemessene Kontrolle und Beaufsichtigung" der Finanzmärkte, Finanzmarktprodukte und -teilnehmer ein.

Statt sich für die Gründung einer öffentlichen europäischen Rating-Agentur stark zu machen und/oder dafür zu sorgen, dass die Bedeutung von Ratings für die Finanzmarktteilnehmer verringert wird, fordert die EU nur eine "angemessene, international kohärente Kontrolle und Beaufsichtigung von Rating-Agenturen."

Statt Kreditderivate zu verbieten und den Handel mit diesen gefährlichen Produkten auszutrocknen, setzt sich die EU für eine "Erhöhung der Transparenz und der Widerstandsfähigkeit der Kreditderivatmärkte" ein.

Zwar fordert die EU ein "entschlossenes Vorgehen gegen Steuerhinterziehung, Finanzkriminalität, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung" und den "Schutz des Finanzsystems vor nicht transparenten, nicht kooperierenden Gebieten mit laxen Vorschriften, einschließlich Offshore-Zentren." Vor der nötigen Konsequenz, den europäischen Banken die Nutzung dieser Offshore-Zentren zu untersagen, schreckt man allerdings zurück. Insofern handelt es sich auch bei dieser Forderung um einen Trick, der von der eigenen Verantwortung für das explosive Wachstum von Steueroasen und Offshore-Zentren ablenken soll.

Statt eine grundlegende Reform der internationalen Welthandels- und Finanzordnung anzustreben und die Rolle der Vereinten Nationen in diesem Bereich zu stärken, soll der IWF mit mehr Ressourcen und mehr Macht ausgestattet werden. Auch an der neoliberalen Freihandelsagenda wird eisern festgehalten, indem ein rascher Abschluss der Doha-Welthandelsrunde gefordert wird.

Die interessante Frage auf dem G20-Gipfel wird sein, ob sich die Entwicklungs- und Schwellenländer dieses Vorgehen bieten lassen werden. Werden sie sich von den USA und der EU vereinnahmen lassen und einer Stärkung des IWF zustimmen - wohl wissend, dass die Strukturanpassungsprogramme des IWF zu millionenfacher Armut geführt und Finanzkrisen begünstigt haben? Zu hoffen ist, dass sie diese Forderungen zurückzuweisen und sich für eine neue Weltwirtschaftsordnung stark machen, die auf Regulierung statt Privatisierung, auf Kontrolle von Wechselkursen statt freiem Kapitalverkehr und auf die Vereinten Nationen statt auf IWF und WTO setzt.

(lk)

Kleinstkredite - nun auch in Europa

Die Vergabe von Kleinstkrediten hat sich bewährt. Für Millionen Menschen bieten sie die Möglichkeit, der schlimmsten Armut zu entfliehen. Seinen Ursprung hat das Kleinstkreditwesen in Südasien und Lateinamerika, wo Mitte der 70er Jahre die ersten Kleinstkreditinitiativen entstanden. Das berühmteste Kleinstkreditprojekt ist die 1976 von Prof. Muhammad Yunus gegründete Grameen Bank in Bangladesh. Das Geschäftsmodell der Grameen Bank, die heute mit mehr als 6 Millionen Kreditnehmern das größte Mikrofinanzinstitut ist, diente vielen anderen Mikrofinanzinstituten als Vorbild. Im Jahr 2006 wurden Prof. Yunus und die Grameen Bank mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Doch wer bislang annahm, dass das Kleinstkreditwesen nur etwas für Entwicklungsländer ist, hat die veränderte europäische Realität noch nicht zur Kenntnis genommen. Längst hat sich Armut auch in der Europäischen Union derart verbreitet, dass auch hier für viele der Kleinstkredit der berühmte Strohhalm darstellt, an den man sich schließlich noch klammern kann. Hinzugekommen ist, das in der Wirtschaftskrise die Banken die Kreditvergabe stark eingeschränkt haben, so dass es für kleine Selbständige, die keine Sicherheiten bieten können, gegenwärtig sehr schwierig ist, überhaupt noch an tragbare Kredite zu kommen.

Da ist es an der Zeit, dass sich auch das Europäische Parlament einmal mit dem Kleinstkreditwesen beschäftigt. Die Erfolge, die durch die Vergabe von Kleinstkrediten bei der Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern erzielt wurden, sind bisher noch nicht auf EU-Ebene aufgegriffen worden. Es gibt zwar mehrere private und staatliche Initiativen, die dieses Modell auch in Europa zu fördern versuchen, doch fehlt es bislang an einem ganzheitlichen Ansatz.

Auf Grundlage eines Berichts des ungarischen konservativen Abgeordneten Zsolt Lászlo Becsey verabschiedete das Europäische Parlament am 24. März 2009 eine Entschließung, in der eine Reihe von sinnvollen Ratschlägen zur Vergabe solcher Mikrokredite unterbreitet werden. Vorgeschlagen wird u. a., dass Anbieter von Kleinstkrediten Garantien durch nationale oder EU-Fonds erhalten sollen. Die Resolution enthält auch die Empfehlung, einen harmonisierten EU-Rahmen für Mikrofinanzinstitute aus dem Banken- und Nichtbankensektor zu schaffen. Die Fraktion der Linken im Europäischen Parlament konnte dieser Resolution ihre Unterstützung geben.

(aw)

 

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

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Belgien
fon: +32-2-284 56 19
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