Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

08.05.2009

Linke Politik - jetzt und in Zukunft!
Verbriefungsmarkt trockenlegen!
    Presseerklärung von Sahra Wagenknecht vom 06.05.09
Die Reform von Basel II
    Ein Erfolg für die Kreditverpackungsindustrie
Der Einfluss der Finanzlobby auf die Finanzmarktregulierung
    Warum ein verpflichtendes Lobbyregister mehr als überfällig ist
"Abhängigkeit von der Industrie verringern"
    Parlament billigt Finanzierungsprogramme für Aufsichtsgremien der Finanzindustrie
Wirtschaft schrumpft um 4 Prozent im Jahr 2009...
    ... und Kommission rechnet mit Anstieg der Arbeitslosenquote auf 11 Prozent im Jahr 2010
Immer im Strom des Neoliberalismus geschwommen
    Zur Wirtschafts- und Währungspolitik der SPD im Europäischen Parlament in den Jahren 2004 bis 2009

Linke Politik - jetzt und in Zukunft!

Fünf Jahre war ich Abgeordnete in der Delegation der LINKEN in Brüssel und Strasbourg, nun endet mein Mandat im Europäischen Parlament und damit auch meine Tätigkeit als Koordinatorin der Linksfraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments. Da ich mich im September um ein Mandat im Deutschen Bundestag bewerbe, wird dies deshalb der letzte ECON-Newsletter sein, der von mir herausgegeben wird. Allerdings werden weiterhin sowohl dieser als auch ältere Ausgaben des Newsletters auf meiner homepage verfügbar sein.

Auch wenn ich nun nicht mehr im Europaparlament sein werde - die Schwerpunkte meiner dortigen Tätigkeit werden auch in Zukunft meine politische Arbeit bestimmen. Denn sowohl in Europa wie auch in Deutschland brauchen wir eine andere Wirtschaftspolitik - eine Wirtschaftspolitik, die nicht auf Profite für Reiche und Konzerne setzt, sondern auf Umverteilung von oben und unten, öffentliches Eigentum, Mitarbeiterbeteiligung und eine langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen! Europa- und bundesweit muss Widerstand entfaltet werden gegen eine Politik, die die Zocker freikauft und die Lasten der Krise auf die einfachen Leute abwälzt. Letztlich brauchen wir ein anderes Wirtschaftssystem jenseits des Kapitalismus, um Renditefixierung und Wirtschaftsmacht zu überwinden. Nur so kann eine solidarische, soziale und gerechte Gesellschaft möglich werden - mit sicheren Arbeitsplätzen und ohne Armut, Ausgrenzung und Not. Für diese Ziele setze ich mich mit aller Kraft ein - heute und auch in Zukunft.

Wenn Sie weiter über meine politischen Aktivitäten informiert werden wollen, können Sie sich gerne in meinen persönlichen Newsletter eintragen. Dieser erscheint etwa einmal im Monat und enthält eine Auswahl meiner Interviews, Artikel und Reden sowie eine Übersicht über anstehende Termine.

Ich bedanke mich herzlich für Ihr Interesse und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihre Sahra Wagenknecht

Verbriefungsmarkt trockenlegen!

Zur Abstimmung über die Reform der Eigenkapitalrichtlinie (Basel II) im Europäischen Parlament erklärt die Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht:

"Die Finanzlobby hat sich wieder einmal durchgesetzt. Statt den gefährlichen Verbriefungsmarkt trockenzulegen soll es den Banken weiterhin gestattet sein, Kredite weiterzuverkaufen. Diverse Anträge, den Selbstbehalt bei Kreditverbriefungen zu erhöhen, fanden keine Mehrheit, d.h. die Banken müssen bei Kreditverbriefungen lediglich 5 Prozent in ihren Büchern behalten. Damit ist die nächste Spekulationsblase vorprogrammiert. Zumal man es ebenso versäumt hat, die Gefahren einzudämmen, die mit der Risikobewertung durch Ratingagenturen oder der Kreditvergabe an Hedgefonds verbunden sind.

Immer deutlicher zeigt sich, dass es der EU gar nicht darum geht, die Finanzmärkte besser zu regulieren um künftigen Krisen vorzubeugen. Das Gegenteil ist beabsichtigt: Wie die Milliardengeschenke an die Finanzindustrie zielt auch die laxe Bankenregulierung allein darauf ab, eine geplatzte Finanzblase wieder neu aufzupumpen. Die Hoffnung der Finanzelite ruht darauf, dass der Verbriefungsmarkt – geschmiert durch Steuergelder - wieder anspringt und man anschließend so weiter machen kann wie bisher.

Doch nach dieser Krise kann und darf es kein „weiter so“ geben! Verbriefungen und Hedgefonds müssen verboten, Steueroasen ausgetrocknet und Ratingagenturen sowie Großbanken verstaatlicht werden. Gerade die Reform von Basel II könnte genutzt werden, um das nötige Eigenkapital der Banken durch staatliche Beteiligungen deutlich aufzustocken. Auf diese Weise würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Das Finanzsystem wäre stabiler und der Staat könnte seinen Einfluss nutzen, um die Kreditvergabe wieder in Gang zu bringen und an sinnvollen Zielen auszurichten."

Die Reform von Basel II

Ein Erfolg für die Kreditverpackungsindustrie

Die Chance, durch eine Reform von Basel II zu einer Stabilisierung der Finanzmärkte beizutragen, wurde von Kommission und Europäischem Parlament nicht genutzt. Und dies, obwohl unter Experten weitgehende Einigkeit besteht, dass die unzulängliche Bankenregulierung zur Entstehung und Ausbreitung der Finanzkrise erheblich beigetragen hat. Nun mag man einwenden, dass Basel II in den USA gar nicht umgesetzt wurde - im Gegensatz zu Europa, wo die Umsetzung in verbindliches Recht im Juni 2006 mit der Bankenrichtlinie (2006/48/EG) und der Kapitaladäquanzrichtlinie (2006/49/EG) erfolgte. Doch auch in Europa wird nicht erst seit gestern über die Schwächen des Regelwerks diskutiert, die folgendermaßen zusammengefasst werden können:

- Basel II hat den exzessiven Handel mit Krediten (Verbriefungen) gefördert, da durch den Weiterverkauf der Kredite (auf der Grundlage von Basel II) neue Mittel für die Kreditvergabe frei wurden.

- Basel II hat die Kreditvergabe an Hedgefonds und Private Equity Fonds gefördert, da Letztere nicht den Eigenkapitalrichtlinien unterlagen.

-  Sowohl Ratingagenturen als auch interne Risikomodelle der Banken haben versagt, was dafür spricht, das Risikomanagement der Banken sehr viel stärker öffentlich zu überwachen statt auf Selbstregulierung zu setzen.

- Die Eigenkapitalanforderungen von Basel II waren zu niedrig und haben es den Banken erlaubt, mit großem Kredithebel (leverage) riskante Geschäfte zu tätigen.

- Die Eigenkapitalanforderungen wirken (zusammen mit der Bewertung von Wertpapieren zu Marktpreisen) prozyklisch: Im Aufschwung fördern sie spekulative Exzesse, in Krisenzeiten tragen sie zur Kreditklemme bei.

Obwohl diese und andere Probleme lange bekannt sind, hat die von der Kommission vorgeschlagene Reform von Basel II die Schwächen des Regelwerks nicht beseitigt. Dies gilt für die problematische Rolle von Hedgefonds, Ratingagenturen und internen Risikomodellen ebenso wie für das Problem der prozyklischen Wirkung. Hauptstreitpunkt war aber die Frage, wie man der gefährlichen Verbriefungspraxis Einhalt gebieten kann. Hier sehen die neuen Richtlinien vor, dass verbriefte Kreditforderungen von einer Bank künftig nur dann weitergegeben werden, wenn der Verkäufer selbst mindestens fünf Prozent in seinen Büchern hält. Dieser "Selbstbehalt" ist jedoch viel zu gering, um den Verbriefungsmarkt auszutrocknen - selbst Finanzminister Steinbrück hatte für einen Selbstbehalt von 20 Prozent plädiert. Zur Frage des Selbstbehalts wurden daher drei Änderungsanträge ins Plenum eingebracht, die jedoch alle klar scheiterten: Die Linksfraktion forderte (im Einklang mit dem SPD-Wahlprogramm) 20 Prozent - ein Antrag, der von 96 MdEPS (darunter 23 von der PSE, 34 von den Grünen und einem CDU-Abgeordneten) unterstützt wurde. Dagegen stimmten 486 Abgeordnete. Für die Forderung nach 15 %  Selbstbehalt (Gruppenantrag Bullmann, Rapkay, Rühle, Zimmer u. a.) stimmten 136 MdEPs (24 von der GUE/NGL, 27 von der PPE/DE, 40 von der PSE und 36 von den Grünen). Gegen diesen Antrag stimmten 447 Abgeordnete. Die Forderung nach 10 %  Selbstbehalt war u.a. vom CDU-Abgeordneten Langen eingebracht worden. Für diesen Antrag plädierten 159 MdEPs, darunter 24 von der GUE/NGL, 59 von der PPE/DE, 31 von der PSE und 35 von den Grünen. Dagegen stimmten 421 MdEPs.

In der Schlussabstimmung stimmten dem Bericht des konservativen österreichischen Abgeordneten Othmar Karas 454 Abgeordnete zu; dagegen stimmten 106 MdEPs (darunter 24 von der GUE/NGL, 10 von der PPE/DE, 25 von der PSE und 33 von den Grünen). Da die Annahme durch den EU-Ministerrat nur noch als Formsache gilt, können die veränderten Richtlinien bis Ende 2010 umgesetzt werden.

(lk)

Der Einfluss der Finanzlobby auf die Finanzmarktregulierung

Warum ein verpflichtendes Lobbyregister mehr als überfällig ist

Lobbyismus ist in Brüssel allgegenwärtig. Je wichtiger die Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, desto intensiver die Arbeit, die von Vertretern großer Konzerne und Banken, von Industrie- und Handelsverbänden, interessierten Anwaltskanzleien und Denkfabriken geleistet wird, um Entscheidungen der Europäischen Kommission oder des Europäischem Parlaments zu beeinflussen. Zwar hat sich eine Arbeitsgruppe der Kommission und des Parlaments im April endlich auf ein gemeinsames Lobbyistenregister geeinigt, dem ein Verhaltenskodex folgen soll. Allerdings ist das seit Juni 2008 bestehende Register weiterhin freiwillig. Lediglich die Lobbyisten, die per Hausausweis jederzeit Zugang zum Europäischen Parlament haben wollen, sind zur Registrierung verpflichtet.

Um die 1700 Organisationen mit weit über 4000 Lobbyisten sind auf der Seite des Europäischen Parlaments inzwischen verzeichnet. Gemessen an der Gesamtzahl der in Brüssel tätigen Lobbyisten ist dies vermutlich immer noch ein kleiner Anteil, der 20 Prozent kaum überschreiten dürfte. Vor allem bei Beratungsfirmen, Anwaltskanzleien und konzernnahen Denkfabriken (think tanks) ist die Grauzone groß; aber auch zahlreiche Finanzkonzerne sind noch nicht registriert. Große Player wie die Deutsche Bank, die Commerzbank, Barclays oder die HSBC sind auf der Liste beispielsweise nicht vertreten - obwohl auch sie auf Lobbyarbeit in Brüssel sicher nicht verzichten.

Der Einfluss der Finanzlobby auf die europäische (Finanzmarkt)gesetzgebung kann jedenfalls kaum überschätzt werden. Die Folge ist, dass Finanzkonzerne europaweit riskante Finanzprodukte verkaufen durften (und dürfen), während man es gleichzeitig versäumt hat, einen adäquaten Regulierungsrahmen zu schaffen. Nicht nur, dass Gesetze zur Regulierung von Banken, Versicherungen oder Investmentfonds zu lasch waren und so den exzessiven Handel mit Schrottpapieren überhaupt erst möglich gemacht haben. In der Krise rächt sich auch, dass sich die EU viele Jahre lang weder um eine funktionierende europäische Finanzaufsicht, noch um ein einheitliches System der Einlagensicherung, noch um eine Angleichung des Verbraucherschutzes auf hohem Niveau gekümmert hat.

Wie aus einer Studie der US-amerikanischen Organisation Wall Street Watch hervorgeht, haben große Finanzkonzerne in den USA in den letzten Jahren systematische Lobbyarbeit geleistet, um die Deregulierung der Finanzmärkte voranzutreiben und unliebsame Gesetze zu verhindern. Allein die beiden großen Parteien erhielten zwischen 1998 und 2008 etwa 1,7 Mrd. Dollar von der Finanzindustrie; weitere 3,4 Milliarden Dollar wurden für direkte Lobbyarbeit ausgegeben. In Europa dürfte der Einfluss der Finanzlobby kaum geringer gewesen sein - nur dass es hier keine Zahlen gibt, da man die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters über Jahre verschleppt hat. In gewisser Hinsicht dürfte der Einfluss der Konzernlobbies in der EU sogar noch größer sein, da es beispielsweise keine Gesetze gibt, die es Politikern verbieten, nach ihrer Tätigkeit im Parlament oder der Kommission unmittelbar (d.h. ohne zweijährige Pause wie in den USA) in die Wirtschaft zu wechseln.

Was Deutschland betrifft, so vermittelt folgende Liste der Parteispenden einen ungefähren Eindruck von der Lobbymacht der Finanzindustrie, die in den letzten Jahren zu den großzügigsten Spendern zählte.  Spitzenreiter ist hier die Deutsche Bank, die seit dem Jahr 2000 über 4 Millionen Euro gespendet hat, wobei die CDU knapp 59,3 Prozent, die FDP 26,4 Prozent und die SPD knapp 10 Prozent erhielten. Dagegen wollte die Allianz wohl auf Nummer sicher gehen: Ihre Spenden in Höhe von insgesamt 2,7 Millionen Euro verteilte sie relativ gleichmäßig an CDU (24,6%), SPD (23,6%), FDP (18%), die Grünen (17,1%) und die CSU (16,7%). Ebenfalls zu den Großspendern zählte die Commerzbank mit einem Spendenvolumen von 1,1 Mio. € seit dem Jahr 2000, das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim (909.865 €) sowie die Dresdner Bank (281.210 €). Was die Empfänger betrifft, so wird die Liste ganz klar von der CDU angeführt, gefolgt von der FDP, der SPD und den Grünen. Allein DIE LINKE ging komplett leer aus. Dafür dürfte es gute Gründe geben: Wem die Interessen der Beschäftigten, Arbeitslosen und RentnerInnen am Herzen liegen, der wird die Wünsche der Finanzoligarchie nach Deregulierung, Privatisierung und Sozialdumping zwangsläufig enttäuschen müssen.

(lk)

"Abhängigkeit von der Industrie verringern"

Parlament billigt Finanzierungsprogramme für Aufsichtsgremien der Finanzindustrie 

Kaum jemandem ist bekannt, dass die wichtigsten europäischen Ausschüsse für die Aufsicht der Finanzmärkte weitgehend von der Industrie finanziert werden. Dies betrifft den Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden – CESR, den Ausschuss der Europäischen Bankenaufsichtsbehörden – CEBS und den Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung – CEIOPS. Da somit die Industrie selbst ihre eigene "Überwachung" finanziert, konnte dies nicht gut gehen. Und wie die Finanzmarktkrise zeigt, ging es eben auch nicht gut.   

Die Kommission schlägt nun die Auflegung eines Gemeinschaftsprogramms vor, mit dem den wichtigsten internationalen und europäischen Stellen, die u. a. mit dem Standardisierungsprozess für Rechnungslegung und Abschlussprüfung befasst sind, direkte Mittel aus dem Gemeinschaftshaushalt zur Verfügung gestellt bekommen sollen. 

Mit der Annahme der "Entschließung zwecks Auflegung eines Gemeinschaftsprogramms zur Unterstützung spezifischer Tätigkeiten auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen, der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung" hat das Parlament am 6. Mai 2009 seine Zustimmung zu diesem Programm gegeben. Damit kann zumindest eine Teilfinanzierung der Aufsichtsgremien gewährleistet werden.

Um diese Gremien aber wirksam dem Industrieeinfluss zu entziehen, ist es ebenfalls notwendig, den Ausschüssen der Aufsichtsbehörden auch einen angemessenen gesetzlichen Rahmen zu geben. Dass dies von der Kommission bisher nicht geleistet wurde, obwohl das Parlament sie wiederholt dazu aufgefordert hat, bezeichnete der Berichterstatter, der CDU-Europaabgeordnete Karsten Friedrich Hoppenstedt, als "unambitiös". Diesem Urteil kann man nur zustimmen.    

(aw)

Wirtschaft schrumpft um 4 Prozent im Jahr 2009...

...und Kommission rechnet mit Anstieg der Arbeitslosenquote auf 11 Prozent im Jahr 2010

Die Wirtschaftskrise trifft Europa schlimmer als zunächst angenommen. In ihrer Frühjahrsprognose vom 4. Mai 2009 sagt die Kommission für dieses Jahr einen Rückgang des BIP um 4 Prozent voraus. Damit schrumpft die europäische Wirtschaft doppelt so stark als bisher erwartet. Zwar wird für das zweite Halbjahr 2009 schon wieder mit einem Wachstum des BIP gerechnet und erste Erholungszeichen sind bereits jetzt zu erkennen - wenn man denn den jüngsten Anstieg der Börsenkurse als derartiges Zeichen werten mag. Für die Beschäftigten stehen die schlimmsten Zeiten jedoch erst noch bevor. So rechnet die Kommission für die Jahre 2009 und 2010 mit der Vernichtung von rund 8,5 Millionen Arbeitsplätzen in Europa. Damit würde die Arbeitslosenquote im Jahr 2010 auf 11 Prozent ansteigen - im Durchschnitt wohlgemerkt, d.h. einige Länder oder Regionen werden mit Arbeitslosenquoten von über 20 Prozent zu kämpfen haben.

Spätestens 2010 werden die Regierungen vermutlich auch neue Spar- und Kürzungsprogramme auflegen, um das öffentliche Defizit zu bekämpfen, das bis dahin auf etwa 7,5 Prozent des BIP gestiegen sein wird. Die heftigsten Auseinandersetzungen um die Frage, auf wen die Folgen der Krise am Ende abgewälzt werden, stehen also noch bevor. Zu befürchten ist, dass man bis dahin vergessen hat, wie bereitwillig die Regierungen ins Staatssäckel gegriffen haben, um die maroden Banken zu stützen - und wie wenig sie im Vergleich dazu getan haben, um die Massenkaufkraft zu stärken und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Um so wichtiger ist es, schon jetzt die Forderung nach einer Millionärssteuer, nach Steuern auf Finanztransaktionen und einer deutlichen Anhebung des Spitzensteuersatzes zu stellen und die Bevölkerung für diese Ziele zu mobilisieren. Denn nur, wenn die Zocker selbst für die Schäden aufkommen müssen, die sie angerichtet haben, wird eine neue Runde des Sozialkahlschlags zu verhindern sein.

(lk)

Immer im Strom des Neoliberalismus geschwommen

Zur Wirtschafts- und Währungspolitik der SPD im Europäischen Parlament in den Jahren 2004 bis 2009

"Haie würden FDP wählen", mit diesem Spruch macht die SPD gegenwärtig für sich im Europawahlkampf Werbung. Doch können die Finanzhaie nicht auch mit der SPD ganz zufrieden sein? Schließlich folgte sie ja im Europäischen Parlament in den vergangenen fünf Jahren stets der neoliberalen Politik von Konservativen und Liberalen. Wieder und wieder hoben die Abgeordneten der SPD ihre Hand für weitreichende Deregulierungen auf den Finanzmärkten. Anträge, in denen gefordert wurde, die Heuschrecken aus Europa zu verbannen, den mörderischen Steuersenkungswettlauf einzustellen, den Spekulationswahn endlich zu stoppen und Steueroasen auszutrocknen, wurden von ihnen hingegen regelmäßig abgelehnt. Lieber war man, zusammen mit FDP und CDU/CSU, Teil einer großen Koalition der Neoliberalen im Parlament. Eine sozialdemokratische Handschrift war bei den Entscheidungen des Europäischen Parlaments zur Wirtschafts- und Währungspolitik jedenfalls nicht erkennbar.

Im Folgenden werden einige Beispiele für das Abstimmungsverhalten der SPD-Europaabgeordneten in der Wirtschafts- und Währungspolitik im Zeitraum zwischen 2004 und 2009 dargestellt, schließlich soll man doch die Menschen, und das gilt ja erst recht für Politiker, an ihren Taten und nicht an ihren Worten messen.

Mit der SPD zu einer Regulierung der Finanzmärkte?
Reichlich radikale Worte findet die SPD in ihrem Europamanifest 09 zur Finanzmarktkrise:
"Der Klimawandel und die tief greifende Krise der internationalen Finanzwirtschaft sind markante und mahnende Beispiele für den enormen Schaden, den das Gemeinwohl durch ein Versagen des Marktmechanismus nehmen kann. Sie zeigen auf das Deutlichste: Die Marktideologie von Konservativen und Liberalen, die den Rückzug der Politik und die alleinige Macht der Märkte beschworen hat, ist endgültig gescheitert. Die tief greifende Krise der Finanzmärkte, die die Welt derzeit erschüttert, stellt die bisherige Funktionsweise des internationalen Finanzsystems fundamental in Frage. Das über Jahre dominante marktliberale Modell der Deregulierung und Liberalisierung auf den internationalen Finanzmärkten, das ungehemmter Profitgier Tür und Tor geöffnet und eine Kultur der Maßlosigkeit befördert hat, ist endgültig gescheitert. Das eklatante Versagen der von Konservativen und Liberalen allzu oft und allzu lange beschworenen Selbstregulierungskräfte des Marktes hat dabei nicht nur die Finanzmärkte an den Rand des Abgrunds geführt. Die Finanzmarktkrise ist auch mit beträchtlichen Risiken für Wachstum und Beschäftigung in der realen Wirtschaft verbunden."

Tatsächlich haben aber die Europaabgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion, unter ihnen die der SPD, die Schaffung eines europäischen Finanzdienstleistungsmarktes über all die Jahre ausdrücklich befürwortet. Wie dieser Markt strukturiert sein sollte, darüber verabschiedete das Parlament 2005 in einer Entschließung mit Zustimmung der SPD Leitlinien. Der dieser Entschließung zugrunde liegende Bericht war von der niederländischen sozialdemokratischen Abgeordneten Ieke  van den Burg verfasst worden. In der Entschließung wird im Paragraph 8 gefordert, „dass die Gesetzgebung das Vertrauen in die EU-Märkte bewahren (...) die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beachten, den Wettbewerb fördern, gewährleisten, dass Regulierungsmaßnahmen effizient und förderlich für Innovationen sind und diese nicht entmutigen“. Wohlgemerkt: Bei diesen „Innovationen“ handelt es sich in erster Linie um die unseligen Praktiken der Verbriefungen von Forderungen, was bedeutet, dass Kreditrisiken so geschickt versteckt werden, dass sie für Käufer nicht mehr erkennbar und heute als toxische (giftige) Papiere nicht mehr handelbar sind.

Zur Schaffung eines Regulierungsrahmen für die Finanzmärkte heißt es in Paragraph 15 der Entschließung: Das Parlament „befürwortet einen schrittweisen, freiwilligen und induktiven Ansatz zur Standardisierung und Sicherung der Konvergenz der Vorgehensweisen im Hinblick auf den möglichen Aufbau europäischer Normen.“ Auch die sozialdemokratischen Abgeordneten befürworteten demnach einen schrittweisen“ und „freiwilligen Ansatz“ beim „möglichen Aufbau europäischer Normen“. Die Finanzindustrie wurde aufgefordert, sich „freiwillig“ selbst zu kontrollieren. Heute hingegen beklagt die SPD „das eklatante Versagen der von Konservativen und Liberalen allzu oft und allzu lange beschworenen Selbstregulierungskräfte des Marktes“ (SPD-Europamanifest 09). Ebenso gut könnte sie Klage über ihr eigenes eklatantes Versagen führen.

Zurückdrängung der „Heuschrecken“? Mit der SPD Fehlanzeige!
Private Beteiligungsgesellschaften (sogenannte Private Equity Fonds) sind spätestens seit dem Verdikt von Franz Müntefering als Heuschrecken in Verruf geraten. Und tatsächlich gehören diese Beteiligungsgesellschaften zu den übelsten Plünderern von Unternehmen und zu den schlimmsten Arbeitsplatzvernichtern. In ihrem Europamanifest 09 fordert die SPD denn auch: „Weiterhin müssen Hedgefonds und Private-Equity-Fonds deutlich effektiver kontrolliert und reguliert werden. Erforderlich sind mehr Transparenz, eine Offenlegung der Vermögens- und Eigentümerstruktur, verstärkte Aufklärungspflichten hinsichtlich der Risiken für Anleger sowie die Einschränkung einer übermäßigen Finanzierung durch Fremdkapital. Die Eigenkapitalanforderungen an Hedgefonds und Private-Equity-Fonds sind dazu zu verschärfen.“

Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sahen dies zumindest 2005 noch ganz anders. In Paragraph 27 der Entschließung vom 28.04.2005 wurde festgestellt, dass „privates Beteiligungskapital zur Zeit einen großen Aufschwung erlebt“. Das Parlament „fordert die Kommission auf, diese Entwicklung zu beobachten, um ihren Beitrag zur Innovation und zum Wachstum der Wirtschaft zu verstärken.“ Der Beitrag“ der Heuschrecken zu „Innovation“ und „Wachstum der Wirtschaft“ sollte also sogar noch „verstärkt“ werden. Bei so viel Wohlwollen gegenüber Hedgefonds und Private Equity Fonds ist es denn auch nicht verwunderlich, dass man keinen Handlungsbedarf für ihre Regulierung sieht. So heißt es in Paragraph 33 der Entschließung: Das Europäische Parlament „nimmt die Maßnahmen des US-amerikanischen Wertpapier- und Börsenausschusses zur Registrierung der Hedge-Fonds-Manager und/oder -Berater zur Kenntnis und fordert die Kommission auf, zu prüfen, inwieweit entsprechender Handlungsbedarf in der Union besteht.“ Mit anderen Worten: Man überließ es der EU-Kommission zu entscheiden, ob Handlungsbedarf besteht. Und die sah dazu keine Notwendigkeit.

Nun könnte man argumentieren, dass dies ja alles im Jahr 2005, also vor Ausbruch der Finanzkrise, beschlossen wurde. Inzwischen habe auch die SPD dazugelernt. Doch erst Ende September 2008 stimmten die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament einer Entschließung über Private Equity und Hedgefonds zu, in der diese Finanzmarktinstrumente erneut in unverantwortlicher Weise verharmlost werden. In dieser Entschließung heißt es in der Erwägung E: "dass Hedgefonds und Private Equity alternative Investmentfonds von wachsender Bedeutung sind, die nicht nur einen erheblichen und zunehmenden Anteil an den verwalteten Vermögenswerten weltweit haben, sondern auch die Effizienz von Finanzmärkten durch die Schaffung neuer Anlagemöglichkeiten steigern.“ Und in der Erwägung K kann man lesen, "dass Hedgefonds und Private Equity in vielen Fällen durch die Schaffung von Nachfrage nach innovativen Produkten für Liquidität sorgen und die Diversifizierung der Märkte und die Markteffizienz fördern, und dass sie auch die Preisfindung unterstützen."

Bei so viel Lob für Hedgefonds und Private Equity ist es wenig verwunderlich, dass man in der Entschließung keinen dringenden Bedarf für ihre strikte Kontrolle und für eine Regelung sah. Von der Kommission erwartete man lediglich, dass sie „die Auswirkungen des Handelns von Hedgefonds und Private Equity beobachten, analysieren und erwägen sollte, eine Richtlinie über Mindesttransparenzvorschriften zur künftigen Finanzierung von Investitionen, zu Risikomanagement, zu Bewertungsmethoden, zur Qualifikation der Manager und zu möglichen Interessenkonflikten sowie zur Offenlegung von Eigentumsverhältnissen und Registrierung von Hedgefonds vorzulegen“. Harmloser konnte man es nun wirklich nicht formulieren.

Mit der SPD gegen Steueroasen und Steuerdumping?
Vollmundig und kämpferisch heißt es im Europamanifest 09: „Steueroasen und weitgehend regulierungs- und rechtsfreie Offshore-Finanzzentren, von denen sich einige auch in Europa befinden, müssen dringend trockengelegt werden. Europa muss hier seine besondere Verantwortung erkennen und durch gemeinsames Handeln wahrnehmen.“ Dem steht die überaus harmlose Formulierung aus der Parlamentsentschließung vom 23.09.20084 gegenüber, die von den Europaparlamentariern der SPD unterstützt wurde: „In der Erwägung, dass die Kommission die Möglichkeiten einer globalen Regulierung in Bezug auf von Offshore-Finanzzentren aus operierende Marktakteure prüfen sollte“. An Stelle klarer Regelungen wird auch hier wieder lediglich ein Prüfauftrag an die Kommission gegeben. Zur übrigen Steuerpolitik kann man im Europamanifest 09 lesen: „Eine progressive Strategie für qualitatives Wachstum in Europa setzt darüber hinaus die finanzielle Handlungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten voraus. (...) Es wäre fatal, wenn sich die europäischen Staaten durch ungehemmte steuerliche Konkurrenz untereinander, gerade bei den Unternehmenssteuern, gegenseitig der hierfür erforderlichen öffentlichen Finanzgrundlagen berauben. Das Wirtschaften im europäischen Binnenmarkt muss nach fairen Regeln verlaufen, Steuerdumping darf kein Raum gegeben werden. Wir treten deshalb für eine einheitliche Bemessungsgrundlage bei den Unternehmenssteuern ein, die eine Verschärfung des Steuerwettbewerbs mit Steuermindereinnahmen und den Verlust von Arbeitsplätzen für die deutsche Volkswirtschaft vermeidet. Dies muss zumindest in der Währungsunion durch gemeinsame Mindeststeuersätze flankiert werden. Als einen ersten Schritt in diese Richtung wollen wir den Verhaltenskodex gegen schädlichen Steuerwettbewerb weiter stärken und ausbauen.“

Man achte hier auf den genauen Wortlaut. Die SPD wendet sich ausdrücklich nur gegen eine „ungehemmte steuerliche Konkurrenz“ und gegen „schädlichen Steuerwettbewerb“ der Mitgliedstaaten untereinander, denn gegen eine steuerliche Konkurrenz und gegen einen Steuerwettbewerb an sich hat sie, wie mehrfach in den von ihr unterstützten Entschließungen deutlich wurde, nichts einzuwenden. Dass aber in solcher, gern als „gesund“ bezeichneter Steuerwettbewerb genau jenes Steuerdumping herbeiführt, dem man ja eigentlich „keinen Raum geben“ will, verschweigt man lieber. In seiner Entschließung vom 24.10.2007 hatte sich das Europäische Parlament grundsätzlich zur Steuerpolitik der EU geäußert. Es hielt danach für notwendig, „ein Umfeld für die staatliche Finanzpolitik zu schaffen, das günstig für Wachstum und Beschäftigung in der Wirtschaft ist, und einen gesunden Steuerwettbewerb in der Europäischen Union zu fördern, so dass die Steuerlast auf breiter Grundlage von Arbeitnehmern und Verbrauchern, Unternehmen und Beziehern von Einkünften aus Kapital geteilt wird“. Der darin enthaltenen Forderung nach einem „gesunden Steuerwettbewerb in der Europäischen Union“ gaben natürlich auch die deutschen Sozialdemokraten ihre Zustimmung. Und was die nun von der SPD in ihrem Europamanifest 09 geforderten „gemeinsamen Mindeststeuersätze zumindest in der Währungsunion“ angeht, so wurde in der Entschließung ausdrücklich festgestellt, dass „gemeinsame Regeln für die Steuerbemessungsgrundlage (...) in keiner Weise die Freiheit der Mitgliedstaaten berühren wird, weiterhin ihre eigenen Steuersätze festzulegen“. Die Forderung der linken Fraktion GUE/NGL nach europaweiten Mindestsätzen für Unternehmenssteuern wurde hingegen auch mit den Stimmen der sozialdemokratischen Abgeordneten abgelehnt.

Fazit
Auf den Wahlplakaten der SPD zu den Europawahlen findet sich nicht alleine ein Haigesicht, versehen mit dem Spruch, dass es FDP wählen würde. Dort findet sich auch ein Fön, den man aufsagen lässt, dass er DIE LINKE wählen würde. Doch begäbe sich die SPD-Führung wirklich einmal auf die Suche nach heißer Luft, so würde sie in ihrem eigenen Europamanifest 09 zu den Wahlen zum Europäischen Parlament mehr als reichlich fündig werden.

(aw)

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

Newsletter verwalten

Wenn Sie diesen Newsletter nicht mehr erhalten möchten, schicken Sie einfach eine E-Mail.