Informationen aus dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des
Europäischen Parlaments von Sahra Wagenknecht, MdEP, Mitglied in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL).

News from the Committee on Economic and Monetary Affairs (ECON)

13.07.2007

EU-Postliberalisierung muss gestoppt werden!
Die Verfassung ist tot, es lebe der Reformvertrag
    Eine Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
Kein größeres Problem mit Heuschrecken
    Zur Entscheidung des Europäischen Parlaments über den Bericht über die "Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005-2010 - Weißbuch"
Verbraucher müssen für Steuergeschenke an Unternehmen büßen
Lobbymacht in der EU
    Neues Papier von Corporate Europe Observatory erschienen
Freier Warenverkehr vor Volksgesundheit!

EU-Postliberalisierung muss gestoppt werden!

Am 11. Juli hat das Europäische Parlament schon wieder eine Entscheidung gegen die Interessen der europäischen Bevölkerung getroffen. Obwohl Umfragen zufolge 77 Prozent der Europäerinnen und Europäer mit ihren Postdiensten zufrieden sind, soll nun auch noch die Sammlung und Auslieferung von Postsendungen unter 50 Gramm der Konkurrenz unterworfen werden. Dabei hat schon die bisherige Postliberalisierung zehntausende Arbeitsplätze gekostet und Lohn- und Sozialdumping europaweit vorangetrieben. Der von der Linksfraktion eingereichte Antrag auf Zurückweisung des Liberalisierungsvorhabens fand erwartungsgemäß keine Mehrheit im Europaparlament - die großen Fraktionen hatten sich im Vorfeld der heutigen Abstimmung auf den faulen Kompromiss verständigt.

Dank des Protestes von Beschäftigten und Gewerkschaften ist es immerhin gelungen, das Tempo der Liberalisierung zu bremsen. Schließlich sah der ursprüngliche Plan der EU-Kommission vor, das Briefmonopol schon bis Ende des Jahres 2009 zu kippen. Um die Postliberalisierung trotz des heutigen Votums doch noch gänzlich zu stoppen, muss nun vor allem der Druck auf jene Regierungen verstärkt werden, die sich als Vorreiter der unsozialen Deregulierungspolitik profilieren. Hierzu zählt vor allem die deutsche Regierung, die aufgrund der starken Position der Deutschen Post AG ganz besonders an der Öffnung und Eroberung neuer Märkte interessiert ist.

Die angestrebte Liberalisierung wird nur wenigen großen Versandunternehmen nutzen - zu den Verlierern zählen dagegen neben den Kundinnen und Kunden der Post auch die kleineren und mittleren Unternehmen ebenso wie die Postangestellten. Schließlich ist ein flächendeckender, kostengünstiger und qualitativ hochwertiger Universaldienst mit dem Interesse privater Konzerne an Profitmaximierung nicht vereinbar. Und was spricht eigentlich dagegen, die Überschüsse aus profitableren Versandgeschäften zu nutzen, um auch die Menschen in dünn besiedelten und ärmeren Regionen mit Briefkästen und Postfilialen zu versorgen? Wem nützt die vom konservativen Berichterstatter Ferber angepriesene "Differenzierung" in zuverlässige, schnelle und entsprechend teure Postdienstleistungen einerseits und eine "Schneckenpost" für Arme andererseits?

Die Linke wird jedenfalls weiter dafür kämpfen, dass die Post in Europa als ein Wirtschaftszweig, der insbesondere auf gut funktionierende Versorgungsnetze angewiesen ist, dem Wettbewerb entzogen und in öffentlichem Eigentum unter demokratischer Kontrolle organisiert wird!

Sahra Wagenknecht

Die Verfassung ist tot, es lebe der Reformvertrag

Von Beginn an war klar, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft öffentlich daran gemessen werden würde, ob es Angela Merkel gelingt, dem Verfassungsprozess neues Leben einzuhauchen. Nach der Regierungskonferenz vom 21./22. Juni konnte die Kanzlerin nun mit stolzgeschwellter Brust ihren Erfolg verkünden: Der deutschen Ratspräsidentschaft ist es gelungen, die Verfassung zu retten. Denn nichts anderes ist das, was jetzt als Reformvertrag verkauft wird. Der Name hat sich gewandelt und künftig soll auf Symbole der Staatlichkeit wie Hymne und Fahne verzichtet werden, der Inhalt jedoch bleibt fast vollständig gleich: Es gibt keine Änderung an der neoliberalen Ausrichtung des Vertrags, Wettbewerbsorientierung und Militarisierung sind weiterhin Programm. Der Erfolg der Bundesregierung ist deshalb ein niederschmetterndes Ergebnis für die Menschen in der EU.
Ein soziales, gerechtes und demokratisches Europa rückt in weite Ferne. Die massiven Auseinandersetzungen vor dem Gipfel können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Ausrichtung des Vertrags kaum Differenzen zwischen den Regierungen gibt. Der neoliberale Inhalt der Verfassung, der maßgeblich zum negativen Votum der Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden geführt hatte, stand nie zur Debatte. Im Gegenteil: Er sollte auf Biegen und Brechen bewahrt werden. Um die Kritik zu bannen, brauchte es allerdings kosmetische Änderungen. Da ist es ein geschickter Schachzug, auf Betreiben des französischen Präsidenten Sarkozy zwar den Verweis auf den freien und unverfälschten Wettbewerb als Ziel der EU am Anfang des Vertrags herauszunehmen – die Substanz jedoch mit Hilfe eines Zusatzprotokolls durch die Hintertür genauso verbindlich wieder in den Vertragstext hineinzubekommen. Frohlockend stellte der europäische Unternehmerverband Businesseurope am Ende fest, dass seine Vorschläge umgesetzt worden seien, und Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erklärte, dass die Änderung keinerlei Einschränkung für die Politik bedeute.
»Europa gelingt gemeinsam«, so lautete das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft. Dass sich diese Parole aus Regierungssicht nicht gerade auf die Bevölkerung bezieht, wird dadurch unterstrichen, dass Volksabstimmungen über das Vertragswerk nach seiner Umbenennung unnötig werden. Dies dürfte bei allen Regierungen Erleichterung auslösen, schließlich waren es die unbotmäßigen Abstimmungsergebnisse der französischen und niederländischen Bevölkerung, die die Verfassungskrise der EU erst ausgelöst hatten. Diese Gefahr ist nun gebannt – demokratischer wird die EU so aber nicht.
Was der Öffentlichkeit als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft präsentiert wird, ist nichts anderes als die Neubestätigung einer verfehlten Politik. Vertan wurde die Chance, endlich eine Änderung des Kurses einzuleiten. In ihrer Bilanzrede vor dem Europäischen Parlament äußerte Angela Merkel die Hoffnung, dass man in 50 Jahren auf 2007 zurückblicken und denken werde, dass die Weichen damals richtig gestellt worden seien. Es steht zu hoffen, dass die Menschen sich nicht 50 Jahre Zeit nehmen werden, um ihr Urteil zu fällen. Dass die Änderung einer Politik, die vor allem den Profitinteressen der Großkonzerne dient und die Bedürfnisse der Bevölkerung hintanstellt, mehr als überfällig ist, lässt sich auch heute erkennen. Widerstand gegen den Reformvertrag bleibt deshalb so nötig wie gegen die Verfassung!

Sahra Wagenknecht

*Eine leicht geänderte Version dieses Artikels erschien am 29. Juni 2006 unter der Überschrift "Nein zum Reformvertrag" im Neuen Deutschland (ND).

Kein größeres Problem mit Heuschrecken

In Form eines Initiativberichts, erstellt von der niederländischen Sozialdemokratin Ieke van den Burg, nahm das Europäische Parlament am 11. Juli 2007 Stellung zum Weißbuch Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005-2010 (KOM (2005) 0629).

Das Parlament bleibt in diesem Bericht bei seiner bereits in der Vergangenheit eingenommenen weitgehend unkritischen positiven Haltung gegenüber der Schaffung eines europäischen Kapitalmarktes, eine Position, zu der sich ausdrücklich auch die in der PSE-Fraktion zusammengeschlossenen sozialdemokratischen Abgeordneten bekennen. So heißt es gleich im ersten Paragraphen des Beschlusses völlig unkritisch: "(Das Europäische Parlament) beglückwünscht die Kommission zu dem Beitrag, den der Aktionsplan für Finanzdienstleistungen zur Schaffung eines europäischen Kapitalmarktes geleistet hat, der nicht zuletzt wegen der Qualität und Solidität seiner Finanzregelung weltweit führend ist; begrüßt die im Weißbuch der Kommission genannten wirtschaftlichen Zielsetzungen, nämlich Konsolidierung des europäischen Finanzmarkts, Beseitigung der Hindernisse für den freien Kapitalverkehr und Verbesserung der Kontrolle der Finanzdienstleistungen".

Im Berichtsentwurf ursprünglich enthaltene kritische Positionen - etwa zur Marktkonzentration, zum Zugang zu Finanzmitteln im Privatkundensektor, zu Systemrisiken und zum Regulierungs- und Aufsichtsrahmen - wurden durch die Berücksichtigung von Positionen der Konservativen und Liberalen weichgespült und dabei bis zur Unkenntlichkeit verändert. Zu nahezu allen zentralen Fragen wurden zwischen PSE, konservativer EPP-DE und liberaler ALDE ausgehandelte Kompromissvorschläge vorgelegt. Der sozialdemokratischen Berichterstatterin war es offenbar wichtiger, einen Bericht im Konsens mit Konservativen und Liberalen durchzubringen als für linke Positionen zu streiten dabei gegebenenfalls auch mal zu unterliegen.

Im Bericht wird im Abschnitt "Alternative Investitionsvehikel" auch auf Hedgefonds und private Beteiligungspositionen eingegangen. Hedgefonds sind weltweit bekannt und berüchtigt für eine ganz besonders aggressive Art von Ausbeutung der Arbeitskraft, der Ausplünderung von Unternehmen und von rücksichtsloser Arbeitsplatzvernichtung. Zu Recht wird ihr Vorgehen denn auch mit dem von Heuschrecken verglichen. Doch da auch hier die Positionen von Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen zu einem Kompromissbrei zusammengerührt wurden, fehlt es fast gänzlich an kritischen Positionen dazu. Das Agieren der Hedgefonds wird sogar gutgeheißen. So heißt es: "(Das Europäische Parlament) erkennt an, dass sie für Liquidität und eine Diversifizierung des Marktes sorgen und eine Gelegenheit zur Verbesserung der Effizienz der Unternehmensführung schaffen." Im Unterschied zu diesem Lob kommt die Kritik ganz kleinlaut daher. Die Kommission wird lediglich aufgefordert, "einen Diskurs über Hedgefonds zu beginnen, um für die internationale und europäische Diskussion vorbereitet zu sein". Gefordert wird "ein umfassender und kritischer Ansatz hinsichtlich der Gefahr eines Marktmissbrauchs". Es dürfte wenig wahrscheinlich sein, dass sich ein Europäischer Kommissar wie Mac Creevy, der sich in der Öffentlichkeit damit brüstet, nichts aber auch gar nichts gegen das Treiben der Hedgefonds unternehmen zu wollen, von diesen windelweichen Positionen beeindrucken lassen wird.

In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament erklärte Sahra Wagenknecht dazu:

"Es ist absolut notwendig, dass das Parlament hier klare Aussagen trifft. Angesichts der von den Hedgefonds ausgehenden Gefahren bleiben die Formulierungen des Berichts leider weit hinter dem Erforderlichen zurück. Wir brauchen hier aber klare und eindeutige Bestimmungen: Es ist notwendig, in die Richtlinien für Geschäfte von Hedgefonds und privaten Beteiligungspositionen folgende Bestimmungen aufzunehmen:

- Mindestanforderungen für den Eigenkapitalanteil solcher Fonds,

- Einbeziehung der Veräußerungsgewinne in die Einkommens- und Gewinnbesteuerung in vollem Umfang im Land der jeweiligen Managementgesellschaft,

- Pflicht zur Registrierung, Verpflichtung zur Offenlegung der Vermögens- und Eigentümerstruktur und der laufenden Geschäfte,

- Aufklärung über Anlagerisiken und Investmentstrategien,

- Einführung von Meldeschwellen beim Erwerb wesentlicher Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen,

- Aufnahme eines Verbots, Aktien nur für wenige Tage auszuleihen, um damit Hauptversammlungen und Kurse manipulieren zu können, Meldepflicht für das Ausleihen von Aktien,

- Einführung eines Doppelstimmrechts für Aktionäre, die ihre Aktien seit mindestens zwei Jahren halten."

Die Fraktion GUE/NGL hatte zu diesen Forderungen entsprechende Änderungsanträge vorgelegt. Es handelte sich dabei um Positionen, wie sie etwa auch von der IG Metall formuliert wurden. Sie wurden aber sämtlich vom Parlament zurückgewiesen. Bis auf einen (zur Ziffer 9) verweigerten auch die Sozialdemokraten ihre Zustimmung. Von der Gefräßigkeit der Heuschrecken reden ist eben das Eine. Etwas anderes ist es aber auch zu handeln, an dieser Bereitschaft fehlte es wieder einmal.

(aw)

Verbraucher müssen für Steuergeschenke an Unternehmen büßen

Was Sahra Wagenknecht in ihrem Berichtsentwurf zur europäischen Steuerpolitik als zentrale Entwicklungstendenz ausgemacht hat, wurde von einer Studie des Wirtschaftsprüfers KPMG für die EU und Österreich erneut bestätigt: Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen mit höheren Umsatzsteuern für den Senkungswettlauf bei den Unternehmenssteuern bezahlen.

Die jährliche Studie von KPMG kommt zu dem Ergebnis, dass die Länder der EU die niedrigste Unternehmenssteuerbelastung aller Industriestaaten aufweisen; gleichzeitig sind die Umsatzsteuersätze in der EU weltweit am höchsten. Und der Trend geht weiter in diese Richtung, was nicht zuletzt an Ländern wie Deutschland liegt, wo eine "Reform" zur Senkung der Unternehmenssteuern am 6. Juli nun auch den Bundesrat passiert hat.

Vor diesem Hintergrund ist es nur bedingt glaubwürdig, wenn Finanzminister Steinbrück jetzt die Schuld beim Europäischen Gerichtshof sucht, der "grenzüberschreitenden Steuersparmodellen mittlerweile mehr Rechte ein(räumt) als den fiskalischen Interessen der Mitgliedsländer" - mit der Folge dass der deutsche Staat aus Luxemburg Urteile aufgebrummt bekomme, die ihn mehrere Millionen Euro an Steuereinnahmen kosteten (zit. nach FAZ vom 4. Juli 2007: "Steinbrück greift Europarichter an", S.11).

So zutreffend es ist, dass der Europäische Gerichtshof als "Sachwalter der Interessen multinationaler Konzerne" fungiert - Steinbrücks Kritik wäre glaubwürdiger, wenn er sich dafür einsetzen würde, dass dem Wettlauf nach unten bei den Unternehmenssteuersätzen im eigenen Land ein Ende gesetzt wird!

(lk)

Lobbymacht in der EU

Der Einfluss von speziellen Expertengruppen und Beratungskommittees auf die europäische Gesetzgebung kann kaum überschätzt werden. Doch leider weiss man über die Besetzung und die konkrete Tätigkeit dieser Gremien, deren Zahl in die tausende geht, nur sehr wenig.

In einem aktuellen Papier der niederländischen NGO Corporate Europe Observatory wird nachgewiesen, dass die von der EU-Kommission ins Leben gerufenen Expertengruppen fast immer von Industrie- und Konzernvertretern dominiert werden, die ihre Identität allerdings häufig zu verschleiern suchen.

Es ist den Aktivitäten von kritischen NGOs wie Corporate Europe Observatory zu verdanken, dass die Frage der Transparenz von vermeintlich unabhängigen "expert groups" und "advisory committees" nun immerhin auf die Tagesordnung der EU-Gremien gelangt ist.

Wer mehr über den Einfluss der Konzernlobbys und Industrieverbände in Brüssel erfahren will: Am Mittwoch, den 18. Juli bietet Corporate Europe Observatory eine Führung durch das Brüsseler EU-Viertel an. Im Mittelpunkt dieser Führung steht diesmal die Frage, wie europäische Industrievertreter gegen Maßnahmen zur Reduzierung von CO2-Emissionen mobil machen. (Wer daran teilnehmen will: Bitte eine email mit Kontaktdaten an ceo@corporateeurope.org schicken).

(lk)

Freier Warenverkehr vor Volksgesundheit!

Seit 1992 gibt es eine Richtlinie über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke (Richtlinie 92/84/EWG). Mit ihr werden Mindeststeuersätze für Bier, reinen Alkohol und Zwischenerzeugnisse nicht aber für Wein bzw. Schaumwein (Sekt und Champagner) festgesetzt. Eine Reihe von Mitgliedsländern liegt mit ihren Steuern auf Alkohol und alkoholischen Getränke hingegen weit über diesen Mindestsätzen, so Dänemark, Großbritannien, Irland, Schweden und Finnland. Zum Schutz der Gesundheit ihrer Bevölkerungen verteuern und begrenzen damit diese Länder traditionell den Alkoholkonsum.

Im September 2006 legte die Kommission einen Vorschlag für die Änderung der Richtlinie 92/84/EWG vor, in dem die Erhöhung der Mindestsätze vorgesehen ist. Auf diese Weise soll den seit 1992 erfolgten realen Preissteigerungen Rechnung getragen und eingetretenen Wettbewerbsverzerrungen zwischen benachbarten Mitgliedstaaten begegnet werden. Von der Erhöhung betroffen wären Lettland, Malta, die Tschechische Republik, Deutschland, Luxemburg, Litauen, Spanien, Rumänien und Bulgarien. In diesen Ländern müssten die Verbrauchssteuersätze angehoben werden. In einigen neuen Mitgliedsländern, etwa in Bulgarien und Rumänien, würde es, aufgrund des dort sehr geringen Einkommensniveaus, zu spürbaren Preiserhöhungen für einige alkoholische Produkte kommen.

Im Verfahren der Konsultation nahm das Europäische Parlament am 23. Mai 2007 zum Vorschlag der Kommission Stellung. Vorgelegt wurde der Bericht im Ausschuss für Wirtschaft und Währung von der konservativen Abgeordneten Astrid Lulling aus Luxemburg. In ihrem mit der Mehrheit von EPP und liberaler ALDE angenommenen Bericht forderte Lulling nicht mehr und nicht weniger als die vollständige Aufhebung der Richtlinie 92/84/EWG, "da die Existenz von Mindeststeuersätzen in 15 Jahren keinerlei Auswirkungen auf eine Annäherung der Verbrauchssteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke gehabt hat und in keiner Weise zu einer Lösung vermeintlicher Wettbewerbsverzerrungen führt".

In der Tat würden selbst nach Anhebung der Mindestsätze die Abstände zwischen den Mitgliedstaaten groß bleiben. Um daraus allerdings schließen zu wollen, dass sogleich das gesamte Mindeststeuersystem überflüssig ist, bedarf es jedoch einer besonderen Logik. Die eigentlichen Motive der Abgeordneten Lulling finden sich denn auch in der Begründung ihres Berichts. Dort heißt es: "Jenen Mitgliedstaaten, die die betreffenden Verbrauchsteuersätze erheblich über den Mindestsätzen festgelegt haben und die sich über einen zunehmenden grenzüberschreitenden Handel beklagen, dürfte nicht unbekannt sein, dass die Ausweitung des grenzüberschreitenden Handels durch den freien Warenverkehr zu den Zielsetzungen des Binnenmarktes gehört. Der Steuerwettbewerb ist im Binnenmarkt in jeder Hinsicht rechtens" Und: "Die Zunahme des grenzüberschreitenden Handels ergibt sich nicht aus den Mindeststeuersätzen, sondern aus den übermäßig hohen Verbrauchsteuersätzen der nordischen Mitgliedstaaten." Damit ist alles klar: Schuld an Wettbewerbsverzerrungen sind vor allem die skandinavischen Länder mit ihren hohen Steuersätzen. Die sollen sie gefälligst senken. Wie sich der zu erwartende höhere Konsum von Alkohol dann auf die Gesundheit der Bevölkerungen dort auswirkt, ist unwichtig, schließlich geht der "freie Warenverkehr" vor.

Die Abgeordneten der GUE/NGL - Fraktion konnten sich dieser Logik nicht anschließen. Obwohl sie die Erhöhung indirekter Steuern aus verteilungspolitischen Gründen generell ablehnen, erkennen sie durchaus die ökologische und gesundheitspolitische Lenkungswirkung von Verbrauchssteuern an. Und wenn zudem die wenigen existierenden europäischen Harmonisierungsregelungen bei Steuern geschleift werden, wird man nie zu einer europaweiten Annäherung, etwa bei Unternehmenssteuersätzen kommen.

Für die Luxemburgerin Lulling dürfte es noch einen weiteren, ganz und gar nationalen Grund für ihre Ablehnung einer jeglichen Mindestbesteuerung bei Alkohol geben. In einer Meldung des Nachrichtendienstes Europolitics konnte man nach der Abstimmung im ECON am 12. April lesen: "Pour Astrid Lulling, ce vote annonce en tous cas d'autres difficultés au Conseil. « Comme pour l'alcool il sera extrêmement difficile d'adopter l'augmentation des taux d'accise minimums pour le diesel », prévient la Luxembourgeoise." Zusammengefasst: Scheitert schon eine Erhöhung der Mindestbesteuerung für Alkohol, so wird auch eine Erhöhung der Steuern auf Diesel schwierig werden. Und dies würde der luxemburgischen Regierung ausgesprochen gut passen, profitiert doch das Großherzogtum schon seit Jahren von einem florierenden Tanktourismus vor allem bei Diesel. Dieser Tanktourismus verursacht zwar jährlich Millionen von unnützen Fahrkilometern vor allem von Lastwagen, da die preiswerten Zapfsäulen oft nur über lange Umwege erreichbar sind, spült dem Luxemburger Staat aber zugleich viel Geld in die Staatskasse. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Doch nicht immer gehen solche subtilen Rechnungen auf. Die im Ausschuss unterlegenen Befürworter höherer Mindeststeuern stellten für das Plenum einige Änderungsanträge, mit denen vor allem die Preiserhebung in den osteuropäischen Ländern gemildert werden soll. Welche Bedeutung dort eine Anhebung der Steuersätze hat, wurde bereits aus der Tatsache erkennbar, dass man die Abstimmung im Parlament ausdrücklich auf einen Termin nach der Wahl der bulgarischen Europaabgeordneten verschob, um das Thema Steuern auf Alkohol dort möglichst aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Diese Taktik war erfolgreich. Bei geringer Beteiligung (mehr als 100 Abgeordnete waren gar nicht erst erschienen!) fielen dann im Plenum die zentralen Anliegen der Berichterstatterin mit denkbar knappen Mehrheiten durch. Vor allem fand ihre Forderung nach einer Zurückweisung des Kommissionsvorschlags keine Unterstützung. Doch der beschlossene Text war in sich widersprüchlich, so dass am Ende eine große Mehrheit, einschließlich der Berichterstatterin, gegen den Bericht stimmte.

Da die Kommission ihren Vorschlag nicht zurückzog, wurde der Gegenstand an den ECON Ausschuss zurücküberwiesen. Dort setzten sich diesmal die Kritiker durch, und der Bericht wurde im Sinne des Kommissionsvorschlags abgeändert. Doch diese Version fand im Plenum am 10. Juli 2007 keine Mehrheit. In einigen entscheidenden Punkten stimmten die Liberalen nun anders als im Ausschuss ab. Es blieb demnach bei der in sich widersprüchlichen Version, und abermals lehnte das Parlament in der Endabstimmung fast geschlossen den Bericht ab.

Festzuhalten bleibt, dass das Europäische Parlament nicht in der Lage war, zum Vorschlag der Kommission Stellung zu nehmen. Es hat sich damit gründlich blamiert. Festzuhalten bleibt aber auch, dass den konservativen und liberalen Abgeordneten bei der Besteuerung von Alkohol der freie Warenverkehr wichtiger als die Volksgesundheit ist.

(aw)

Redaktion

Impressum

Sahra Wagenknecht

MdEP, Koordinatorin für die Fraktion GUE/NGL im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments

Parlament Européen
Rue Wiertz, ASP 6F258
B-1047 Brüssel
Belgien
fon: +32-2-284 56 19
fax: +32-2-284 96 19

Newsletter verwalten

Wenn Sie diesen Newsletter nicht mehr erhalten möchten, schicken Sie einfach eine E-Mail.